Die Zahl steht ja. 70 Prozent des Verkehrs in Leipzig soll künftig mit dem Umweltverbund absolviert werden. Heute sind es 60 Prozent. Was kaum auffällt, weil die restlichen 40 Prozent alles dominieren. Auch die Stadtverkehrsplanung. Auch die Konzeption von Einkaufszentren. Parkplätze fressen den Stadtraum. Forderungen nach Verkehrsberuhigung lösen Alarmsirenen aus. Die "Bürgerumfrage 2011" fragte auch nach der Verkehrsmittelwahl der Leipziger.
Die ist komplex. Nicht jeder nutzt immer das gleiche Verkehrsmittel für jeden Zweck. Auch Autofahrer nicht. Oft sind es Zwänge, die die Verkehrsmittelwahl bestimmen. Entfernungen zum Beispiel, schlechte Anbindungen, fehlende Angebote. Es ist kein Gütesiegel für die Stadt, wenn das Kraftfahrzeug da dominiert, wo es um kurze Wege geht. Beim Einkauf zum Beispiel. 53 Prozent der Leipziger fahren mit dem Pkw zum Einkauf. Da hat sich gegenüber den Umfragen der Vorjahre nicht geändert. 2010 wurden 54 Prozent ermittelt. Dabei werden die meisten Einkäufe nach wie vor in Wohnnähe getätigt – 87 Prozent der Leipziger tätigen den Einkauf für den täglichen Bedarf ein bis mehrmals die Woche in wohnortnahen Geschäften, maximal 12 Gehwegminuten von der Wohnung entfernt.
Auffällig: Hier nehmen zwar auch 24 Prozent der Befragten das Kraftfahrzeug zum Einkaufen – aber 71 Prozent gehen zu Fuß oder nahmen das Fahrrad. Wenn die Stadtverwaltung einen Beleg dafür haben wollte, wie wichtig die Einkaufsmöglichkeiten in Wohnortnähe auch für die Verkehrspolitik der Stadt ist, hier hat sie ihn.
Und sie bekommt noch einen. Denn je weiter entfernt die Einkaufsziele sind, umso öfter kommt das Kraftfahrzeug zum Einsatz. Bei Wegen ins Stadtzentrum sind es noch 33 Prozent, bei Wegen in andere Stadtteile aber schon 68 Prozent.
Kann man natürlich fragen: Warum fährt man für den Familieneinkauf in andere Stadtteile? Macht das Sinn? – Es ergibt Sinn, wenn die von der Stadt geliebten “Stadtteilzentren” Ziel der Fahrt sind. Sie machen für die Versorgung des Stadtteils mit Waren des täglichen Bedarfs keinen Sinn – aber für den bequemen Auto-Einkauf machen sie Sinn. Da fährt man dann zwar nicht täglich hin und auch nicht jeder fährt hin. Nur 26 Prozent der Leipziger geben an, dass sie ein- bis mehrmals im Monat in ein Einkaufszentrum (ja, die Bürgerumfrage 2011 verwendet wirklich das Wort Einkaufszentrum und nicht Stadtteilzentrum) fahren. Zwar wird hier prononciert nach dem Kauf von “Kleidung, Sportartikeln, Unterhaltungselektronik usw.” gefragt, aber die Tendenz wird deutlich.
Wobei die Frage offen bleibt, ob man den “täglichen Einkauf” und damit die Folgen der Leipziger Zentren-Politik hier doch lieber vernebeln wollte. Denn – siehe oben – was versteckt sich wirklich bei der Frage nach dem täglichen Einkauf hinter “in anderen Stadtgebieten”? Die Logik legt nahe: Es sind die gepriesenen Zentren. Und dann nutzen immerhin 42 Prozent der Leipziger diese “Zentren” auch zum Wocheneinkauf. Und sie benutzen zu 68 Prozent das Auto – nur noch zu 8 Prozent das Fahrrad.
Natürlich geht’s noch weiter. Wenn Leipziger in den Einkaufstempeln “außerhalb Leipzigs” einkaufen, nehmen sie zu 85 Prozent das Auto. Die meisten betrachten es wohl eher als Erlebnis-Shopping, denn wirklich regelmäßig (ab 1 x im Monat) kaufen da nur 3 Prozent der Leipziger ein. 32 Prozent der Leipziger geben sogar an, dass es sie nie dorthin verschlägt. Warum auch? Es gibt ja dort nichts, was es nicht in Leipzig selbst auch gibt.
68 Prozent der Leipziger kaufen übrigens mittlerweile dann und wann oder noch viel öfter im Internet ein.Eine Frage der Verkehrsmittelwahl ist freilich auch die gefühlte Sicherheit. Oft geht es auch in der Stadtpolitik nur um Gefühle. Das wird oft vergessen. Auch von Lobby-Verbänden, die für die Verkehrsmittel ihrer Wahl kämpfen.
Thema: Fahrrad. Immerhin baut ja die Stadt jedes Jahr ein neues Stück Radverkehrsanlage. Nur nicht schnell genug. Mit der Qualität der Radverkehrsanlagen sind nur 24 Prozent der Leipziger wirklich zufrieden – auf Ortsteilebene sind es 32 Prozent. Mit dem Angebot an solchen Anlagen ist es ähnlich.
Logische Folge: 32 Prozent der Leipziger finden, es wird zu wenig für den Radverkehr getan. – Ist das wichtig, kann man fragen? Und: Ist das viel? – Es ist eine Menge, wenn nur 17 Prozent mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, 32 Prozent es in der Freizeit nutzen. Die Nutzung des Fahrrades als alternatives Verkehrsmittel scheitert nicht an der Verfügbarkeit der Räder (nur 24 Prozent der Haushalte besitzen kein Fahrrad), sondern an der Verfügbarkeit als sicher empfundener Wege. Wege, die sich die Radfahrer eben nicht mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen müssen.
Und wo findet man die? – “Abseits der Straßen”, wie es auch in der Umfrage heißt. 81 Prozent der Leipziger fahren mit dem Rad am liebsten auf separaten Wegen abseits des üblichen Verkehrs. “Gern” und “am liebsten” nutzen sie aber auch baulich getrennte Radwege neben der Straße (86 Prozent), ein kleines bisschen weniger gern die aktuell von der Stadt favorisierten Radfahrstreifen (73 Prozent). Und das war’s.
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Auf Straßen ohne separate Radverkehrsführung fahren nur 14 Prozent der Leipziger gern. Auf Gehwegen dürfen sie eigentlich nicht fahren. Tun 30 Prozent der Leipziger aber trotzdem – “z.B. bei schlechten und gefährlichen Straßen”, wie es die Umfrage formuliert.
All diese Antworten deuten darauf hin, dass die Stadt bei der Stärkung des Radverkehrs tatsächlich einen Schritt vorankommen würde, wenn sie für separierte und sichere Radwegeverbindungen in einem komplettierten Netz sorgt. Das Gefühl von Sicherheit beeinflusst die Entscheidung für oder gegen das Rad.
Der nächste Faktor könnte der Spritpreis werden. Das wurde freilich im “Schnellbericht zur Kommunalen Bürgerumfrage 2011” nicht berücksichtigt. Aber ums Geld ging’s trotzdem. Ohne Geld funktioniert der ganze Laden nicht. Und irgendwie suggeriert schon die erste Grafik im Bericht, dass vom Geld auch die Lebenszufriedenheit der Leipziger abhängt.
Mehr dazu morgen an dieser Stelle.
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