Die Europäische Union (EU) wird nach Einschätzung des Leipziger Soziologen Prof. Dr. Georg Vobruba von ihren Bürgern daran gemessen, ob sie die gegebenen Versprechen einhält. "In der Politik geht es nicht mehr um das Hochhalten von Prinzipien", sagt Vobruba, der an der Universität Leipzig den Lehrstuhl für Sozialpolitik am Institut für Soziologie inne hat.
“Bei den Politikern und auch bei der EU schauen die Leute darauf, ob die Leistungsversprechen eingelöst werden”, benennt der Leipziger Wissenschaftler ein wichtiges Wahrnehmungsproblem vieler Politiker. Die EU sei auf ein politisches Leistungsprinzip festgelegt. “Auch für die EU gilt: Sie muss liefern”, erklärt Vobruba, der Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und Mitglied des Executive Committee der European Sociological Association ist.
Auf der Buchmesse-Akademie der Universität Leipzig wird sich Vobruba am 17. März um 15.00 Uhr zusammen mit Jenny Preunkert, akademische Rätin am Institut für Soziologie der Universität Leipzig, der Frage “Von der Euro-Krise zum EU-Ende?” widmen.
“Die Leute interessieren sich dafür, was am Ende als Ergebnis der Politik für sie herauskommt.” Der Professor publizierte zur Zukunft Europas unter anderem die Bücher “Integration und Erweiterung. Europa im Globalisierungsdilemma” und “Die Dynamik Europas”.
“Wir werden verschiedene Szenarien zur Zukunft der EU entwerfen und besprechen”, kündigt Preunkert an, die das Buch “Chancen für ein soziales Europa?” veröffentlicht hat. Ein Szenario werde zum Beispiel sein, wenn Griechenland die gemeinsame Währung des Euro durch die nationale Währung Drachme ersetze. “Eine massive Abwertung der griechischen Währung wäre die Folge”, sagt Vobruba. Die Gläubiger Griechenlands müssten mit massiven Verlusten rechnen, Exporte beispielsweise von Deutschland oder Österreich nach Griechenland würden unrentabler und schwieriger.
“Egal, welches Land die Euro-Zone verlässt: Das Ende der gemeinsamen Währung führt in den betroffenen Ländern zu einer starken Verarmung. Ein massiver Migrationsdruck innerhalb Europas entstünde”, schätzt Preunkert ein.
Vobruba erinnert daran, weshalb die Länder Griechenland (1981) sowie Portugal und Spanien (beide 1986) in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aufgenommen worden waren. “Die Süderweiterung war der Versuch, Probleme an der Peripherie Europas zu beseitigen und den Übergang von autoritären Systemen zu demokratischen Strukturen unumkehrbar zu machen”, sagt der Soziologe. Spanien hatte unter der Diktatur Francisco Francos (1892-1975) gestanden, und in Portugal wurde nach der Nelkenrevolution 1976 der Übergang zur parlamentarischen Demokratie geschafft. Griechenland hatte nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur Beitrittsverhandlungen 1976 aufgenommen.
Vobruba und Preunkert vertreten die Auffassung, dass auch die heutigen Erweiterungsbemühungen der EU dazu dienen, Probleme an der Peripherie, den heutigen Außengrenzen der EU, zu lösen. Zuletzt hatten sich im Januar bei einer Volksabstimmung zwei Drittel der Kroaten für einen Beitritt zur EU ausgesprochen, Kroatien wird damit das 28. Mitgliedsland der EU. “Die Attraktivität der EU ist ungebrochen”, sagt Preunkert. “Es ist widersprüchlich: Einerseits hat die EU große Probleme, andererseits ist sie weiterhin für viele Staaten sehr attraktiv.”Zu den Problemen der EU zählen die beiden Soziologen auch die Auseinandersetzungen zwischen der EU-Kommission und dem Mitgliedsland Ungarn, das 2004 beigetreten war. Die EU-Kommission hatte im Januar drei Verfahren wegen Vertragsverletzungen gegen Ungarn eingeleitet, weil Zweifel an der Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank, der Justiz sowie der Datenschutzbehörde bestehen. “Gäbe es die Eurokrise nicht, wäre das Problem viel stärker in der Diskussion”, schätzt Vobruba ein. “Die Debatte um Griechenland überdeckt derzeit die anderen Probleme der EU.” Ungarns Regierungschef Viktor Orbán zeigte sich vor allem von der Drohung der EU und des Internationalen Währungsfonds beeindruckt, die Gespräche über dringend benötigte Hilfskredite für Ungarn nicht weiterführen zu wollen.
Trotz aller Probleme sind sich Vobruba und Preunkert sicher, dass der EU und dem Euro eine lange Zukunft bevorstehen. “Den Euro und die EU wird es länger geben als mich”, vermutet der 63-jährige Vobruba. Selbst wenn einzelne Länder wieder nationale Währungen einführen sollten, bedeutete das nicht das Ende des Euro und der EU.
“Die symbolischen Effekte, die dem Euro in Sonntagsreden immer wieder zugeschrieben werden, sind verschwindend gering und mit dem bloßen Auge nicht sichtbar”, sagt Vobruba. “Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Zusammenhang zwischen dem Bestehen des Euro und der Zukunft der EU konstruiert hat, ist er nicht zwingend.” Die EU selbst, so schätzen Vobruba und Preunkert ein, werde sich künftig wahrscheinlich teilen: In einen stärker integrierten Teil der Nordländer Deutschland, Frankreich, Österreich, Polen, den Beneluxstaaten und Skandinavien sowie einem schwächer integrierten restlichen Teil Europas.
Veranstaltungstipp: 17. März, 15:00 Uhr, Buchmesse-Akademie der Universität Leipzig auf der Neuen Messe (Halle 3, Stand G201/H200)
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