Im Europaparlament wurden in der Plenarwoche vom 10. bis 13. März verschiedene Erklärungen und Anträge zur europäischen Sicherheitsarchitektur diskutiert und auch beschlossen. Einen großen Teil dabei nahm die Debatte um Rüstungsausgaben und Hilfen für die Ukraine ein. Es gibt selbstverständlich viele Möglichkeiten, darüber zu schreiben.

Man kann, wie RND, Putins Meinung bei der Überschrift präsent in den Fokus stellen oder man spricht mit Beteiligten. Im vorhergehenden Artikel haben wir Riho Terras zum Thema „Wie ist die Sicht der direkten Nachbarn auf Russland?“ zu Wort kommen lassen. Im Gespräch vom 20. März ging es natürlich auch um Fragen der europäischen Sicherheitspolitik.

Zur Erinnerung: Riho Terras ist Mitglied des Europaparlaments für Estland, unter anderem im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung und war bis 2018 Befehlshaber der estnischen Streitkräfte.

Herr Terras, in der Plenarwoche des EU-Parlaments wurden die „Erklärungen des Europäischen Rates und der Kommission zur Europäische Sicherheitsarchitektur: dringende entscheidende Schritte und unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine“ diskutiert. Es wurden Entschließungsanträge zur „Fortsetzung der unerschütterlichen Unterstützung der Ukraine durch die EU drei Jahre nach dem Beginn von Russlands Angriffskrieg“ abgestimmt. Wie schätzen Sie die Ergebnisse der Plenarwoche ein?

Also, es ist eine harte Arbeit. Jeden Tag, jede Stunde müssen die Leute, welche die Ukraine unterstützen, Aufklärungsarbeit machen. Immer müssen sie darüber sprechen, was tatsächlich in der Ukraine passiert. Weil die Staatsbürger in Spanien, Italien, Frankreich usw. das gar nicht so sehen wollen, wie es tatsächlich ist. Und deshalb müssen wir viel Arbeit leisten. Aber auch bei den Politikern, die vertreten ja die Interessen der Staatsbürger.

Es ist nicht so, dass sich die Politiker hier zu viel ausdenken. Deshalb muss das Parlament immer darüber sprechen, muss das Parlament immer Diskussionen darüber führen. Und auch diese Entscheidungen, die wir getroffen haben, die bis jetzt noch sehr gut unterstützt wurden durch den großen Teil des Parlaments, also meistens von über 500 Mitgliedern des Parlaments, was eine sehr große Nummer ist.

Voller Plenarsaal des EU-Parlaments, Übersichtsaufnahme.
Der Plenarsaal des Europaparlaments in Strasbourg zu den Abstimmungen. Foto: Thomas Köhler

Es ist eine ständige Arbeit. Wir haben das mindestens seit dem 24. Februar ständig und systematisch gemacht. Aber es muss weitergemacht werden. Und auch für dieses Verständnis, dass Europa selbst etwas machen muss, hat Trump sehr viel beigetragen, dass das auch jetzt ein Thema ist. Denn 2014 hat der ukrainische Krieg angefangen. 2019, bei der Erarbeitung des Multiannual financial framework 2021–2027, haben die Staats- und Regierungschefs den europäischen Defense Fund, Verteidigungsfonds, deutlich verkleinert.

Das heißt, es war kein Bewusstsein da, was falsch ist. Also Europa war in Koma. Und ich hoffe, dass wir heute nicht mehr an diesem Punkt sind.

Zurück zur Plenarwoche des Europaparlaments: Es wurde ja auch ein Antrag auf Beratung im Dringlichkeitsverfahren für das EDIP, das Programm für die europäische Verteidigungsindustrie, gestellt. Der Vorschlag der Kommission für das Programm ist von März 2023. Und jetzt wird erstmal ein Antrag gestellt, das dringend zu beraten. Sind das manchmal nicht zu lange Wege und Zeiten, bis dort was passiert?

Das wurde ja von der Kommission an uns gerichtet und dann kam es zu den Wahlen und deshalb ist es zwischen den Wahlen gefallen. Und zweitens hat man sich damit keinen Druck gemacht, weil kein Geld da war. Also das heißt, jetzt wo das Geld tatsächlich vorhanden wäre, ergibt es auch Sinn, diese Strategie zu machen.

Und deshalb ist das jetzt dringend. Und die zweite Frage war, wer es machen soll, soll es der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (AFET), der für die Common Security and Defence Policy zuständig ist, oder müsste es der neue Ausschuss SEDE sein? Jetzt hat man dann eine sehr gute Entscheidung getroffen, dass die beiden das zusammen machen. Aber auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir damit schnell sind. Eine Strategie hat einen Sinn.

Das hat man mir in der Militärschule beigebracht: „Ends, ways and means“ müssen da sein. Also man muss wissen, wo wir hinwollen, wissen, wie wir da hinkommen und als das Dritte, wo das Geld herkommt. Und das Dritte war nicht vorhanden. Jetzt ist es da. Jetzt müssen wir damit schnell anfangen.

Eine letzte Frage: Was sehen Sie als die dringenden Maßnahmen für die Verteidigungsbereitschaft Europas und die Wiederherstellung und Sicherung von Frieden?

Für meinen Geschmack war das Weißbuch, welches heute veröffentlicht wurde, nicht genau genug. Das heißt, es gibt keine Verpflichtungen, ich hätte gewollt, dass da eine Verpflichtung für Verteidigungsausgaben der europäischen Mitgliedsländer da sein könnte. Heute ist die Situation, in der einige Länder 5–6 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für die Verteidigung ausgeben und die anderen 0,3 oder 0,8 Prozent.

Man muss verstehen, dass die estnischen, lettischen oder polnischen Staatsbürger genauso viele soziale Unterstützung brauchen wie die in Spanien oder in Irland. Auch die Kinder in Estland brauchen Kindergärten und so weiter. Deshalb ist es nicht fair, dass einige Länder einfach drei oder viermal mehr zahlen als die anderen. Und diese sich hinter dem Feigenblatt von Neutralität verstecken, das sollte nicht mehr möglich sein. Deshalb müssten die Länder, die gar nicht zahlen oder wenig zahlen, sehr viel mehr machen.

Das gilt auch für die Ukraine. Wir hören immer von Frankreich: Wir müssen die Ukraine unterstützen. Nur Frankreich, Italien, Spanien und Portugal zusammen haben die Ukraine mit dem gleichen Geld wie Dänemark alleine unterstützt. Und wenn wir die Wirtschaft angucken, dann ist das anders.

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: Estland hat die Ukraine mit einer Milliarde Euro militärisch unterstützt. Italien hat das mit zwei Milliarden Euro getan. Das Bruttoinlandsprodukt von Italien ist 20-mal größer als das von Estland. Über diese Sachen muss gesprochen werden und diese Staaten müssen viel mehr machen. Hoffentlich macht Deutschland das, was jetzt besprochen worden ist, jetzt wo ihr euer Grundgesetz geändert habt.

Das ist nicht für Estland oder für Litauen, das ist für Deutschland. Die Bundeswehr fähig ist fähig zu machen, wofür sie bezahlt wird. Heute ist sie es nicht, zumindest in der Menge, wie es für die Landesverteidigung Deutschlands nötig ist. Für mich war es ein Schock, als Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft hat. Ich habe gedacht, es gibt gewisse Sachen, die sich in der Welt nie ändern. Und das war leider der Fall.

Wie gesagt, das Geld, was Herr Merz versprochen hat, was die Regierung heute verspricht, ist nicht für die estnische Verteidigung oder die estnische Sicherheit. Es ist für die deutsche Sicherheit. Artikel 3 vom NATO-Vertrag, den Artikel 5 kennen alle, aber Artikel 3 sagt, dass jedes Land sich selbst verteidigen muss in den Mengen, wie es nötig ist. Und wenn wir alle das machen, dann sind wir insgesamt stark.

Nehmen wir das als Schlusswort. Herr Terras, ich bedanke mich für das Gespräch.

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