Am 24. Februar jährt sich der Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine zum dritten Mal. Am Tag zuvor wird der neue Bundestag gewählt und reihenweise ziehen Parteien mit Friedens-Slogans in den Bundestagswahlkampf. Nur dass hinter der Forderung nach Frieden in einigen Fällen nichts anderes steht als ein Ende der Unterstützung für die Ukraine, das nur einem in die Karten spielen würde: dem russischen Aggressor. Friedensfrauen aus Ost und West veröffentlichen deshalb eine Erklärung „Die Ukraine soll in Frieden und Freiheit leben“, die deutlich macht, worum es wirklich geht.
Denn wer die Ukraine im Stich lässt, schafft keinen Frieden. Im Gegenteil: Er stärkt den russischen Aggressor, der mit massiver Propaganda jetzt schon eine Menge Einfluss auf die Demokratien des Westens nimmt. Und mindestens zwei Parteien verbreiten diese Propaganda und verkaufen das den Wählern auch noch als Friedenspolitik.
Weshalb sich jetzt ehemalige Mitglieder der Gruppen „Frauen für den Frieden“ aus Ost und West sowie ihren Unterstützerinnen zusammengetan haben, um die Erklärung „Die Ukraine soll in Frieden und Freiheit leben“ zu schreiben und auf der Homepage der Robert Havemann-Gesellschaft zu veröffentlichen. Die Mail-Adresse sz@havemann-gesellschaft.de kann von allen Interessierten zur Mitzeichnung der Erklärung genutzt werden.
Die gesammelten Unterschriften werden auf der Internetseite der Robert-Havemann-Gesellschaft ergänzt.
Die Erklärung:
Die Ukraine soll in Frieden und Freiheit leben
Erklärung von ehemaligen Angehörigen der Gruppen „Frauen für den Frieden“ Ost und West und ihren Unterstützerinnen
Seit nunmehr drei Jahren wird unser europäisches Nachbarland, die Ukraine, mit einem Krieg überzogen, dessen Ziel die Zerstörung der staatlichen Souveränität und die Unterwerfung des ukrainischen Volkes ist.
Bereits 2014, als die Halbinsel Krim annektiert wurde und die Kämpfe im Donbass begannen, hat sich das Großmachtstreben Putins offenbart. Wir alle registrierten seit langem mit großem Unbehagen die Entwicklung in Russland – den Einmarsch in Tschetschenien, die Bombardierung der Zivilbevölkerung in Syrien, die Verfolgung und Ermordung von Journalisten und Oppositionellen, die Destabilisierungsversuche in den jungen Demokratien Osteuropas, aber auch in der westlichen Welt.
Wir machen uns über das Wesen des putinschen Systems keine Illusionen – entstammt Putin doch einer Geheimpolizei, deren gewalttätige Geschichte weit zurückreicht. Womit die wenigsten von uns gerechnet hatten, war der von Putin befohlene Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 – begleitet von einer beispiellosen Desinformationskampagne über eine angebliche Bedrohung Russlands durch die Ukraine und den Westen.
Der Protest gegen solche Verhältnisse, wie sie im heutigen Russland herrschen, hat uns vor Jahrzehnten zusammengeführt. Die ostdeutschen „Frauen für den Frieden“ kommen aus einer Gesellschaft, in der Kinder schon im Kindergarten mit Panzern spielten, in der Jugendliche und Studierende in Wehrlagern in Uniformen gesteckt und militärisch ausgebildet wurden. Wer sich verweigerte, wurde in der Regel vom Abitur ausgeschlossen, der Fachschule und Universität verwiesen.
Als 1982 ein neues Wehrdienstgesetz erlassen wurde, das in bestimmten Fällen auch die Einbeziehung von Frauen in den aktiven Wehrdienst vorsah, begannen sich Frauen aus der DDR zu wehren. Sie wollten sich nicht unter die Befehlsgewalt einer Diktatur stellen lassen. Unterstützt wurden sie von „Frauen für den Frieden“ im Westen.
„Keine Gewalt“, diese Losung hat uns bis in die Revolution 1989 getragen. Wir waren so erleichtert über das Ende der Diktaturen des Ostblocks. Es sah einen Moment danach aus, als wenn, zumindest in Europa, tatsächlich keine Armeen und Waffen mehr gebraucht würden. Zusammenarbeit im Dienste der Menschheit und zur Rettung des Klimas; zivile Konfliktlösungen – unsere Zukunftsträume schienen Wirklichkeit zu werden. Aber bereits im Jugoslawienkonflikt zeigte sich, dass militärisches Eingreifen zum Schutz von Menschenleben und zur Friedenssicherung notwendig sein kann.
In der Zeit des Kalten Krieges war es unser Ziel, den Rüstungswettlauf zu stoppen, um so den Kreis der Gewalt zu durchbrechen, nicht mit mehr Waffen, sondern mit gewaltlosem Widerstand, Abrüstung und einer Entspannung von unten über Länder- und Blockgrenzen hinweg.
Weil wir im Herzen noch immer für Gewaltfreiheit eintretende „Frauen für den Frieden“ sind, unser Verstand uns jedoch sagt, dass die Ukraine nicht ohne Waffen ihr Land und ihre Freiheit gegen den Aggressor Putin verteidigen kann, stehen wir an der Seite derer, die die Ukraine mit militärischen, humanitären, ökonomischen und politischen Mitteln unterstützen.
Wir sind solidarisch mit den Kriegsgegnern in Russland und Belarus, die in ihren Ländern unterdrückt und verfolgt werden und mit allen Menschen in der Welt, die ihre Stimme gegen die grausame Aggression Russlands erheben.
Selbstverständlich muss auch verhandelt werden. Aber ein dauerhafter und sicherer Frieden kann nur erreicht werden, wenn die Ukraine als souveräner Staat weiterbestehen und über seine politische Ordnung und seine Bündnisse mit anderen Staaten gemäß dem Völkerrecht selbst bestimmen kann. Eine Kapitulation der Ukraine durch Schwächung ihrer Verteidigungskraft, wie sie die Frauen Wagenknecht, Schwarzer und Weidel heraufbeschwören, könnte zwar zu einem zeitweiligen Waffenstillstand führen, aber um den Preis der Unterwerfung unter russische Vorherrschaft. Ein Frieden ist das nicht, sondern eine Ermutigung für weitere Eroberungskriege.
Wer ein sofortiges Ende des Krieges durch Verweigerung von Waffenhilfe für die Ukraine erzwingen will, nimmt in Kauf, dass die Ukrainer ihren demokratisch verfassten Staat aufgeben müssen und zwangsweise ins russische, autokratisch regierte Reich eingegliedert werden. Unter Missachtung völkerrechtlicher Vereinbarungen hat Putin die Ukraine angegriffen, weil er die Existenz eines demokratischen Nachbarstaates nicht duldet. Es ist Teil seiner Auseinandersetzung mit der westlichen Zivilisation.
Wenn wir verstehen, dass die Ukrainer und Osteuropäer nicht heim wollen in Putins Reich, mit einem Marionettenregime, mit Unterdrückung der demokratischen Opposition, mit Verfolgung von Homosexuellen, ohne freie Presse und ohne freie Wahlen, dann müssen wir sie unterstützen mit allem, was wir haben: mit unseren Herzen, unserem Verstand und unseren Waffen!
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Zu den Leipziger Erstunterzeichnerinnen gehören Katrin Hattenhauer, Liane Plotzitzka, Marianne Ramson, Renate Sarosi und Rita Sélitrenny.
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