Der PEN ist, auch wenn er Autorinnen und Autoren vorbehalten ist, ein zutiefst politisches Gremium. Und ein Ort, an dem sich die Schreibenden genauso gründlich zerstreiten können wie die Politiker in den Parlamenten. Und das vielleicht sogar unerbittlicher, weil es auf die richtigen Worte ankommt. Und damit auch auf Welt-Sichten. Nun hat sich im PEN Deutschland eine eigene Gruppe Leipzig gegründet.
Die sich aber nicht auf Leipzig beschränkt. Leipzig steht da eher stellvertretend für die ganze Region, aus der die Mitglieder der Gruppe kommen: 21 Mitglieder des PEN aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Berlin haben sich am 7. Dezember 2024 im Leipziger „Haus der Selbstständigen“ unter dem Namen GRUPPE LEIPZIG als Bestandteil des PEN-Zentrums Deutschland konstituiert und den Schriftsteller Benedikt Dyrlich (Dresden) als 1. Sprecher sowie die Schriftstellerin Kathrin Aehnlich (Leipzig) als 2. Sprecherin gewählt.
Die Ziele, die sich die Gruppe gesetzt hat, haben direkt mit den Erfahrungen aus dem ostdeutschen Alltag zu tun: „Die Gruppe will das literarische Leben und vor allem die Literaturförderung in den Bildungseinrichtungen der östlichen Bundesländer und Berlin unterstützen. Sie wird um sich greifenden Bestrebungen zur Einschränkung der literarischen und diskursiven Freiheit ebenso entgegnen wie der Tendenz, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk literaturfrei zu machen. Auch hofft sie, öffentliche Aufmerksamkeit für die soziale Notlage vieler älterer Autoren mobilisieren zu können.“
Gehör verschaffen
Aber noch zentraler ist ein Anliegen, das die Gruppe so in Worte fasst: „Die GRUPPE LEIPZIG bekennt sich zu einem beständigen Austausch unter allen Mitgliedern des PEN und deren Vereinigungen in Deutschland und will den Dialog insbesondere auch mit den Kollegen des PEN in den östlichen und südlichen Nachbarländern aktivieren.“
Denn was funktioniert, muss man ja nicht aktivieren. Doch im gesamtdeutschen PEN funktioniert eben das augenscheinlich nicht. Der Sitz des deutschen PEN-Zentrums ist in Darmstadt und im dortigen Vorstand ist kein einziges Mitglied aus den ostdeutschen Bundesländern. Was ja übrigens schon ein Grund dafür war, dass sich vor zwei Jahren der PEN Berlin vom PEN Deutschland abspaltete.
Was eben nicht bedeutet, dass sich das Gefühl des Nichtgehörtwerdens damit in Luft auflöst. Im Gegenteil. Der PEN Berlin hat mittlerweile seinen eigenen internen Streit über eine Resolution zum Krieg in Gaza, bei dem es – obwohl es doch eher um das Schicksal der vom Krieg betroffenen Autorinnen und Autoren in Gaza gehen sollte – am Ende um die Schuldfrage ging. „Die Unzufriedenheit entzündet sich unter anderem an der Frage, ob es statthaft ist, auch jene palästinensischen Journalisten als ‚Kolleg:innen‘ zu bezeichnen, die sich in den Dienst antiisraelischer Propaganda gestellt haben“, schreibt die „Zeit“.
Aber das ist wohl eher ein Zeichen der eh schon völlig überhitzten (und oft genug mitleidlosen) politischen Debatte im Land, nicht das von literarischer Genauigkeit. Oder Vorsicht. Die man eigentlich beim literarischen Schreiben lernt: Beim Schreiben geht es nicht um Schuldfragen, sondern um Aufmerksamkeit und das Aushalten (und Gestalten) von Widersprüchen, Abgründen, Menschlichkeiten. Die wirklich guten Autorinnen und Autoren wissen das und halten sich mit Schuldzuweisungen lieber zurück.
Hochpolitische Anliegen
Auch dann, wenn sie ein politisches Anliegen von Herzen teilen. Denn das war ja einst Anlass der Gründung des ersten PEN 1921, kurz nach den grausamen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, als es darum ging, „Frieden und Völkerverständigung zu fördern und dabei möglichst viele Nationen einzubinden. Angesichts von Verfolgung, Unterdrückung und Zensur von Schriftstellern in aller Welt setzte sich der PEN zunehmend für deren Rechte und die Durchsetzung freier Meinungsäußerung ein.“
Diese Anliegen haben bis heute nichts von ihrer Relevanz verloren. Wobei neue Herausforderungen dazukommen, die Autorinnen und Autoren durchaus Angst machen dürfen, wie Kathrin Aehnlich aus eigenen Erfahrungen aus Lesereisen im Osten zu berichten weiß, wo engagierte Bibliothekarinnen und Bibliothekare oft „die letzte kulturelle Bastion in ihren Orten verteidigen“. Und das ist genau so gemeint, denn selbst die Schulen fallen als Ort anregender Begegnung mit Gegenwartsliteratur zunehmend aus.
Kathrin Aehnlich: „Ein Drittel aller Eltern lesen ihren Kindern nicht mehr vor. Im Deutschunterricht werden seit Jahrzehnten dieselben Bücher behandelt, oft weil es einen Klassensatz Bücher gibt und für neue Bücher kein Geld da ist. Die Schüler lernen keine lebenden Autoren kennen.“
Die Verdrängung von Literatursendungen aus dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk verschärft die Lage noch. Und sorgt eben auch mit dafür, dass das Buch als Kulturgut verschwindet, während die Kinder mit den chaotischen, unstrukturierten und oft genug verlogenen „News“ aus den von ihnen genutzten Online-Plattformen aufwachsen. Und das geht nun einmal an den Kern von Gesellschaft und Demokratie.
Genug Arbeit also für den PEN in allen seinen Gliederungen.
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