„Advent, Advent – nicht nur das Späti-Bier brennt!“ Auch wenn im Aufruf zur Demo am Sonntag, dem 15. Dezember, nur das Bier benannt wird, bei den Spätverkaufsstellen, liebevoll Spätis genannt, geht es um mehr als Bier. Spätis sind auch soziale Räume im Kiez. Das machte bei der Demo auch eine Anwohnerin über den Lautsprecher deutlich: „Bereits zu DDR-Zeiten dienten diese Spätkauf-Vorläufer als Begegnungsstätte, soziale Knotenpunkte und Einkaufsmöglichkeiten.“
Für sie steht fest: „Heute gibt es in nahezu jeder Großstadt eine Späti-Kultur, welche sich mehr oder weniger ungehindert etablieren, entwickeln und kultivieren konnte. Noch immer sind Spätis untrennbar mit dem Bild des Nachtlebens verbunden und sind abendliche Begegnungsstätten, Einkaufsmöglichkeiten und Räume der sozialen Interaktion. Wir als treue Späti-Kund/-innen nutzen sowohl das Einkaufsangebot als auch den sozialen Gesichtspunkt sehr gern und können gar nicht überbetonen, wie viel es den Anwohner/-innen bedeutet, einen Späti an der Ecke zu haben.“
Während man in Köln mitten in der Nacht im Büdchen sein Päckchen Kaffee oder ähnliches kaufen kann, werden in Sachsen, somit auch in Leipzig, die Spätis massiv kontrolliert und sanktioniert.
Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete für Die Linke, sagte dazu: „Wir haben in Leipzig das Problem, dass es gerade wieder eine massive Welle der Kontrollen von Spätis gibt. Bis zum November waren es 132 Kontrollen, und zwar nicht aufgrund von Beschwerden, sondern einfach weil Ordnungsamtsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter im Außendienst Lust darauf haben, die Spätis zu kontrollieren.
Das empfinden wir als ganz schöne Schikane und fordern von der Stadt Leipzig mit dieser Demonstration, dass sie diese Kontrollpraxis unterlässt. Wir fordern natürlich auch, dass das Land endlich eine Rechtsgrundlage schafft, damit Spätis auch länger als 22 Uhr aufmachen können.“
Tom Rieger, der ehemalige Betreiber des Spätis Connserve, vor dem auch die Demonstration startete, stellte das so dar: „Ich habe jahrelang hier mit meiner Frau zusammen diesen Laden betrieben. Aus gesundheitlichen und privaten Gründen haben wir uns entschlossen, den Laden zuzumachen. Nichtsdestotrotz waren wir, als wir den Späti betrieben haben, immer in der Gefahr, mit dem Ordnungsamt Probleme zu haben, weil wir gegen das Sächsische Ladenschlussgesetz verstoßen würden.
Wir haben das vor Gericht geklärt. Beide Seiten haben mehr oder weniger Recht bekommen, weil es eben nicht nur ein Einzelhandel, sondern auch ein gastronomischer Betrieb ist und dafür eben andere Regeln gelten. Das ist alles Schwachsinn, mit dieser Bürokratie und einer Kontrolle des Spätverkaufs, wenn wegen einer Rolle Klopapier oder einem Stück Butter, welches verkauft wurde, Sanktionsgelder erhoben werden, die jenseits von Gut und Böse sind. Das ist verschwendetes Steuergeld.“
Ein Gesetz für die Supermarktketten?
Menschen sollen scheinbar nach 22 Uhr in Leipzig ihre Waren nur noch in Tankstellen kaufen können. Da gibt es zwei Probleme: Erstens kommt man zu diesen am besten mit dem Auto und zweitens ist man dort an das gelistete Angebot bei Aral & Co., mit überhöhten Preisen verbunden.
Nach Auskunft der Stadtverwaltung an den Veranstalter erfolgen die Kontrollen nicht aufgrund von Anwohnerbeschwerden, sondern im Ermessen der Mitarbeiter der Polizeibehörde. Die Veranstalter haben eine andere Vermutung, wie in der Eröffnungsrede deutlich wurde.
„Sie haben den Verdacht, dass Supermarktketten wie Rewe, Konsum, Kaufland und weitere Spätverkäufe bei den Behörden anzeigen. Hierzu passt, dass die eingangs geschilderte Situation (es wurde eine Kontrolle geschildert, Anm. d. Red.) nicht ausgedacht, sondern sich wirklich so zugetragen hat und die Männer an diesem Sonntag selbst von Rewe und Kaufland gesprochen haben, zu denen die Produkte im Spätverkauf in Konkurrenz stünden.
Eine Konkurrenz für Supermärkte, die für Lieferdienste wie Flink oder Tankstellen nicht gilt. Ebenfalls nicht für Automaten-Spätis, von denen Einkauf24 gerne 50 Standorte in Leipzig eröffnen möchte.“
Man soll also an Automaten ein Sortiment, welches im Späti verboten ist, rund um die Uhr kaufen können. Warum dann nicht gleich im Späti? Die Kontrollen auf Verstöße gegen das Ladenschlussgesetz werden mit dem Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen begründet. Die Spätis sind meist inhabergeführt, das ist etwas anderes.
Dies betonte auch Juliane Nagel explizit: „Wir wollen auch nach 22 Uhr einkaufen gehen. Allerdings beschränken wir unsere Perspektive auf kleine inhabergeführte Spätis, nicht auf die großen Ketten. Die sollen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ruhe lassen, zu den Ruhezeiten und an den Wochenenden. Aber für die kleinen inhabergeführten Spätis macht es keinen Sinn, dass die so reglementiert werden.
Es gehört einfach zum Lebensalltag von Menschen, auch nach 22 Uhr mal was Kleines einzukaufen. Spätis sind auch soziale Treffpunkte in den Vierteln und die dürfen nicht weiter so schikaniert werden, wie wir es gerade erleben.“
Für viele Menschen eine Notwendigkeit
Besonders für Menschen, die zum Beispiel im Schichtdienst bis in die Nacht hinein arbeiten, aber auch wenn unverhofft Besuch kommt, sind die Spätis oft die bessere Alternative. Das machte auch die oben genannte Anwohnerin deutlich.
„Spätis dienen aber nicht nur dazu, den Wohlfühlfaktor in den Kiezen zu erhalten, sondern haben auch ganz praktisch absolute Notwendigkeit. So stellen sie zum Beispiel für Schichtarbeiter nach wie vor eine wichtige Möglichkeit dar, am späten Abend nach dem Dienst ein paar Kleinigkeiten einzukaufen. Auch viele Mütter und oder Väter sind sehr dankbar für das Angebot eines Spätis, denn Care-Arbeit hat keine Schichtzeiten, sodass es vorkommt, dass Menschen auch nach 22 Uhr oder an einem Sonntag mal eine Milch, Brötchen, Seife etc. brauchen.“
Der aus etwa 100 Menschen bestehende Demonstrationszug lief, begleitet von einem großen Polizeiaufgebot, von der Probstheidaer Straße zum Connewitzer Kreuz, wo die Abschlusskundgebung stattfand.
Fazit: Zum dauerhaften Erhalt der Späti-Kultur braucht es eine Änderung des sächsischen Ladenschlussgesetzes. Der letzte Antrag dazu kam von der Fraktion Die Linke und wurde vor der Neuwahl des Landtages abgelehnt. Bis zu einer dauerhaften Lösung würde es ausreichen, wenn das Ordnungsamt die Kontrollen nur nach wirklichen Anwohnerbeschwerden, wegen Lärm, Vermüllung oder ähnlichem, durchführt.
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