Gemeinsam mit der Etz-Hayyim-Synagoge auf Kreta lädt der „Ariowitsch-Haus” e. V. tatsächlich ein, bei der Vorstellung des ersten internationalen Projekts des jüdischen Kultur- und Begegnungszentrums dabei zu sein – aber die Premiere wird auf einer Insel Griechenlands gefeiert. Kreta, ein Ort voller Mythen, mit Sonnenschein an 300 Tagen im Jahr, beliebt wegen der sonnenschirmbestandenen Strände, ist eines der populärsten Urlaubsziele der Deutschen.
Die einzige Synagoge Kretas befindet sich in Hania, der ehemaligen Hauptstadt. Jährlich wird sie von fast 40.000 Menschen besucht. Die wenigsten Tourist/-innen kennen jedoch die Geschichte des Ortes – und wie diese mit der Geschichte der Deutschen zusammenhängt.
Während der Besatzungszeit zwischen 1941 und 1945 kam es auf Kreta zu Massenhinrichtungen Hunderter Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder – und zur totalen Zerstörung zahlreicher Dörfer bei sogenannten Vergeltungsaktionen. Einheimische mussten Zwangsarbeit verrichten oder wurden für Widerstandsaktionen in Konzentrationslager wie Mauthausen deportiert. Dort, wo heute Sonnenschirme stehen, landeten einst Wehrmachtssoldaten mit ihren Fallschirmen.
Schatten neben dem Sonnenschirm (Oktober 2023, dt. Version)
Die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner der Insel wurden am 20. Mai 1944 von Soldaten der Wehrmacht verhaftet. Zur Deportation nach Auschwitz vorgesehen, wurden sie auf das Transportschiff Tanaïs gebracht. Das nicht als Gefangenentransporter gekennzeichnete Schiff sank am frühen Morgen des 9. Juni 1944 nördlich von Kreta, torpediert von einem englischen U-Boot.
Keine Gefangenen überlebten. 2024 jährt sich der tragische Untergang, der das Ende einer 2.300 Jahre andauernden Geschichte der jüdischen Gemeinde auf Kreta markiert, zum achtzigsten Mal.
Gemeinsam mit der kleinen Gemeinde, welche die Etz-Hayyim-Synagoge heute wieder nutzt, hat sich der „Ariowitsch-Haus” e. V. deshalb aufgemacht, die lokale Geschichte und die Verantwortung Deutschlands aufzuarbeiten und vor Ort präsent zu machen. Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt aus Mitteln des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds finanziert.
Unter der künstlerischen Federführung von Jürgen Zielinski, ehemaliger Intendant und Regisseur des Theaters der Jungen Welt in Leipzig, ist ein Projekt entstanden, das die beinahe vergessene Tragödie des Schiffes Tanaïs und das Schicksal der griechischen Juden, von denen etwa 90 Prozent im Holocaust starben, thematisiert.
„Schatten neben dem Sonnenschirm“, heißt die beeindruckende Theater-Performance am historischen Ort. Ein kleiner filmischer Eindruck von Projekt, Protagonisten und Synagoge ist auf YouTube zu finden (siehe oben). Zwischen dem 18. und dem 26. Oktober finden acht Aufführungen auf dem Gelände der Synagoge in Hania statt. Schon jetzt sind fast alle Karten vergriffen.
Am 16. Dezember wird dann das deutsch-griechische Ensemble Ausschnitte der Performance einmalig im Ariowitsch-Haus in Leipzig zeigen, über die schwierige Quellenlage für das Projekt und die spannenden Entdeckungen während der Recherche vor Ort sowie das pädagogische Begleitprogramm sprechen.
Keine Kommentare bisher