Wern es um die Einschätzung rechtsextremer Parteien als verfassungsfeindlich geht, tut sich der deutsche Verfassungsschutz schwer, prüft erst einmal jahrelang und veröffentlicht seine Verdachtsmeldungen in kleinen Dosen. Doch wenn es um Proteste gegen Klimazerstörung geht, folgt der Verfassungsschutz gleich einmal der Linie konservativer Politik, die jeden Klimaprotest für links und extremistisch hält. Mit dieser Position ist jeder Klimaprotest ein Angriff auf die Verfassung.

Eine Haltung, die auch UN-Sonderberichterstatter Michel Forst in einem Papier zur Situation von Umweltschützer/-innen vom 28. Februar 2024 deutlich kritisierte.

„Die Unterdrückung, der Umweltaktivisten, die friedlichen zivilen Ungehorsam praktizieren, derzeit in Europa ausgesetzt sind, ist eine große Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte. Der Umweltnotstand, mit dem wir alle konfrontiert sind und den Wissenschaftler seit Jahrzehnten dokumentieren, kann nicht bewältigt werden, wenn diejenigen, die Alarm schlagen und Maßnahmen fordern, dafür kriminalisiert werden.

Die einzige legitime Antwort auf friedlichen Umweltaktivismus und zivilen Ungehorsam ist zu diesem Zeitpunkt, dass die Behörden, die Medien und die Öffentlichkeit erkennen, wie wichtig es für uns alle ist, zuzuhören, was Umweltschützer zu sagen haben.“

Am Mittwoch, dem 19. Juni, hat der Verfassungsschutz in seinem jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht das Klimagerechtigkeitsbündnis Ende Gelände als „linksextremistischen Verdachtsfall“ eingestuft.

Über 100 Gruppen und Organisationen stellen sich jetzt in einer Solidaritätserklärung hinter das Bündnis Ende Gelände, das vor einem Monat vom Verfassungsschutz als linksextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. In der Erklärung heißt es, die Gruppen seien erschüttert über die Entscheidung des Verfassungsschutzes. Dass ein Bündnis wie Ende Gelände, das seit fast zehn Jahren für globale Klimagerechtigkeit einstehe, derart kriminalisiert würde, sei ein fatales Signal für die Demokratie in Deutschland.

Unterzeichnet haben die Erklärung neben den Parteijugenden Jusos und Linksjugend solid auch die Letzte Generation, ROBIN WOOD sowie das Komitee für Grundrechte und Demokratie.

Philipp Türmer, Bundesvorsitzender der Jusos, empört sich über die Einstufung: „In einer Zeit, in der Konservative und Neoliberale an jeder Ecke die Klimakrise befeuern, ist der aktive Einsatz einer breiten Zivilgesellschaft für konsequenten Klimaschutz essenziell. Wir erleben schon längere Zeit, dass genau diesem Einsatz immer wieder mit repressiven Maßnahmen begegnet wird. D

ass nun auch noch die Einstufung als linksextremistischer Verdachtsfall erfolgte, ist nicht nachvollziehbar und muss schleunigst revidiert werden. Klimaaktivismus ist auch immer ein Kampf für eine gerechte und lebenswerte Zukunft – dem darf sich der Staat nicht in den Weg stellen!“

Florian Kubitz, Vorstandssprecher von ROBIN WOOD, ergänzt mit Blick auf die von Ende Gelände formulierte Systemkritik: „Dass unser Wirtschaftssystem die planetaren Grenzen sprengt, ist ein Fakt. Die von Ende Gelände erhobene Forderung nach System Change ist für uns keineswegs extremistisch, sondern im Gegenteil dringend geboten, um ein gutes Leben für alle zu erreichen. Das heißt, wir brauchen Alternativen zu einem von ständigem Wachstum abhängigen Wirtschaftssystem und müssen demokratische Strukturen schützen und Grundrechte stärken – hier und jetzt.“

Die Klimazerstörer wehren sich mit Repression

Zuletzt war von unterschiedlichen Seiten Kritik an einem zunehmend repressiven Vorgehen staatlicher Akteure gegen soziale Bewegungen in Europa und speziell auch in Deutschland laut geworden. So bemängelt ein in der vergangenen Woche erschienener Bericht der Nichtregierungsorganisation Amnesty International, dass in Deutschland insbesondere Klimaaktivismus mit unverhältnismäßigen Maßnahmen durch Polizei und andere staatliche Behörden ins Visier genommen würde. Auch diffamierenden Aussagen von Politiker/-innen in Bezug auf Aktivist/-innen wird in dem Bericht eine polarisierende Wirkung zugeschrieben.

Jule Fink, Sprecherin von Ende Gelände, kündigt an, das Bündnis werde seine Proteste fortsetzen: „Ende Gelände setzt sich mit Aktionen zivilen Ungehorsams für den Erhalt unser aller Lebensgrundlagen ein – so wie es auch klar die Entscheidung des höchsten Gerichts in Deutschland, des Bundesverfassungsgerichts, von 2021 einfordert. Das ist gelebter Verfassungsschutz. Wir werden auf jeden Fall weiter machen, auch wenn der Verfassungsschutz mal wieder auf dem Holzweg ist.“

Eine Einstufung mit Folgen

Am 18. Juni stufte der Verfassungsschutz Ende Gelände als linksextremistischen Verdachtsfall ein. Damit kann ein erweitertes Spektrum an geheimdienstlichen Mitteln bei der Beobachtung von Ende Gelände zum Einsatz kommen. Der Landesverfassungsschutz Berlin beobachtet die dortige Ortsgruppe von Ende Gelände seit 2020. Bereits an dieser Entscheidung hatte es breite Kritik von zivilgesellschaftlichen Gruppen gegeben.

Ende Gelände ist seit 2015 dafür bekannt, Massenaktionen des zivilen Ungehorsams an Orten fossiler Infrastruktur einzusetzen. Angefangen hatten die Proteste in den Kohlerevieren im Rheinland und in der Lausitz. Zuletzt kamen mit Gasinfrastruktur und der Automobilindustrie neue Schwerpunkte hinzu.

Der Text der Solidaritätserklärung wurde auch auf der Petitionsplattform WeAct veröffentlicht und kann dort ab sofort unterzeichnet werden.

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