Es ist Frühling. Und da sprießt es auch am Gehwegrand – zumindest bis die angewiesenen Hausmeister mit dem Unkrautvertilgungsmittel oder dem Brenngerät kommen und alles entfernen. Dabei erzählen die Pflanzen, die in der Stadt in Gehwegfugen sprießen, von einem Artenreichtum, den man einfach übersieht, wenn man das nur als „Unkraut“ betrachtet. Ab heute ist deshalb große Krautschau.

Die oft übersehenen kleinen Pflanzen in Pflasterfugen und Mauerritzen sind die geheimen Stars der städtischen Flora. Und sie sind wichtig für das Ökosystem der Stadt. Die #Krautschau schafft mit der von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung initiierten bundesweiten Aktionswoche vom 18. bis 26. Mai mehr Bewusstsein für die kleinen Wildpflanzen im urbanen Raum und für die Bedeutung von Natur in den Städten.

Alle sind eingeladen mitzumachen und den pflanzlichen „Ritzenrebellen“ mit bunter Kreide vor Ort Aufmerksamkeit zu verschaffen, die Beschriftung zu fotografieren und in den sozialen Medien zu teilen.

Eine Übersicht aller gemeldeten öffentlichen Rundgänge findet man unter www.senckenberg.de/krautschau. Gemeinsam mit Senckenberg-Forscher/-innen kann man in Frankfurt und Görlitz die urbane Vielfalt „zum Niederknien“ erkunden.

Und natürlich auch in Leipzig, wo der Ökolöwe dazu aufruft, sich an der Krautschau zu beteiligen.

Erstaunlich widerständiges Kraut

Überall dort, wo Flächen versiegelt sind, leben Pflanzen unter Extrembedingungen – und kaum jemandem fällt das auf. Die bereits zum vierten Mal bundesweit stattfindende #Krautschau-Aktionswoche hat zum Ziel, mehr Menschen zum Hinschauen und zur Wahrnehmung der oft übersehenen kleinen Wildpflanzen in den Städten zu bewegen.

Dabei wird das Grün auf Gehwegen, in Mauerritzen oder Pflasterfugen mit bunter Kreide beschriftet und fotografiert. Die Fotos werden anschließend in den sozialen Netzwerken geteilt – so erhalten die „pflanzlichen Kämpfernaturen“ vor Ort und im Netz die verdiente Aufmerksamkeit.

Pflanzenerkennungsapps helfen auch Nichtbotaniker/-innen bei der Bestimmung der Kleinstflora. Die mit der Aktion kooperierende App „Flora Incognita“ belohnt fleißige Artensammler/-innen im Aktionszeitraum mit Abzeichen. Zudem werden die erfassten Daten wissenschaftlich ausgewertet. Der 2023 erschienene Naturführer „Das wächst in deiner Stadt“ von Senckenbergerin Julia Krohmer und Alexandra-Maria Klein ist für Freund/-innen von Printmedien eine perfekte Hilfe zur Bestimmung der Pflanzen.

Da gibt es was zu entdecken

„Wer genau hinschaut, entdeckt sogar in unseren von Beton und Asphalt geprägten Innenstädten überall Pflanzen. Zwischen Pflastersteinen, in Rinnsteinfugen und Mauerritzen wächst winziges, zähes Grün – eine atemberaubende Vielzahl von Kräutern, Gräsern und Moosen“, betont Dr. Julia Krohmer von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

In Deutschland haben sich etwa 500 Arten an die extremen städtischen Bedingungen angepasst und stellen, indem sie Tritt- und Fahrbelastung, Hitze, Bodenverdichtung und Verschmutzung trotzen, wertvolle Mikro-Ökosysteme für zahlreiche andere Arten dar.

„Auch für uns Menschen hat dieses kleine Stadtgrün einen nicht zu unterschätzenden Nutzen: Ein dichter Bewuchs in den Fugen des Kopfsteinpflasters erhöht dessen Festigkeit; grüne Fugen lassen Regenwasser tief im Boden versickern, wirken kühlend und binden Staub. Zudem haben Wildpflanzen in der Stadt eine große Bedeutung für das städtische Ökosystem, indem sie anderen Organismen wie Wildbienen oder Käfern Schutz und Nahrung bieten.

Außerdem sind sie, spätestens auf den zweiten Blick, auch richtig schön, nicht nur durch ihre Blüten, sondern auch durch die Formenvielfalt ihrer Blätter“, ergänzt Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Eine echte Graswurzel-Bewegung

Die #Krautschau-Aktion ist eine Grassroot-Bewegung von Botaniker/-innen und Pflanzenfans und entstand als Reaktion auf das weit verbreitete Phänomen der „Plant Blindness“ (Pflanzenblindheit) – die Unfähigkeit, Pflanzen in der eigenen Umgebung detailliert wahrzunehmen. In den sozialen Medien, vor allem auf X (vormals Twitter) und Instagram, etablierte sich die Aktion unter den Hashtags #Krautschau und #MehrAlsUnkraut.

An der bundesweiten Aktion beteiligen sich neben Senckenberg und der Universität Freiburg zahlreiche Städte, Institutionen und Botaniker/-innen mit öffentlichen #Krautschau-Spaziergängen. Aktuell werden 36 Spaziergänge in 10 Bundesländern und 28 Städten und Gemeinden angeboten. In Leipzig leider noch nicht. Da muss man mit der Pflanzenbestimmungs-App allein losziehen. Zu entdecken gibt’s trotzdem was.

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