Seit 2016 setzt sich der gemeinnützige Verein Mütterzentrum e.V. Leipzig mit dem Umweltbildungsprojekt „Restlos – Werkstatt für Umweltbildung und Upcycling“ (Restlos) für nachhaltiges Denken und Handeln ein. Mit einer Kombination aus Reststoff-Materialfundus, Upcycling-Werkstatt und mobilen Workshops schult „Restlos“ auf spielerische Art das Material-, Rohstoff- und Umweltbewusstsein von Kindern und Jugendlichen. Doch nun droht eine Mittelkürzung der Stadt, dem Projekt das Licht abzudrehen.

Das Projekt mit Sitz in der Gießerstraße 29 musste schon von Beginn an um seine Finanzierung bangen. Es hangelte sich von Förderung zu Förderung und lebt über weite Strecken von Idealismus, ehrenamtlichem Engagement und der Entscheidung des Vereins, „Restlos“ als Herzensprojekt aus Eigenmitteln zu unterstützen.

Groß war dementsprechend die Freude über den Stadtratsbeschluss im September 2023, der „Restlos“ für das erste Halbjahr 2024 eine Zwischenfinanzierung von monatlich 10.000 Euro zusicherte. In gutem Glauben und Vertrauen auf die Umsetzung des Beschlusses wurden zwei neue Mitarbeitende eingestellt, um der großen Nachfrage gerecht zu werden und mit dem mobilen Bildungsangebot „Restlos on tour“ Leipziger Schwerpunktgebiete anzufahren, teilt der Mütterzentrum e.V. Leipzig mit.

Doch groß war der Schock, als das Umweltamt der Stadt, entgegen dem Stadtratsbeschluss, im ersten Halbjahr nur 50 Prozent der für die Durchführung des Projekts benötigten Summe bewilligte. Gleichzeitig fordere das Umweltamt trotz der geringeren Förderung die vollumfängliche Umsetzung des Projektvorhabens, wie im ursprünglichen Förderantrag beschrieben. Andernfalls würden auch diese Gelder nicht ausgereicht.

Und die dann gab’’s gleich noch die nächste kalte Dusche: Für das zweite Halbjahr kam ein Ablehnungsbescheid. Somit ergibt sich für den Trägerverein für 2024 ein Finanzierungsloch von insgesamt 68.000 Euro.

„Wir sind sehr enttäuscht und fühlen uns regelrecht hinters Licht geführt“, sagt Projektleiterin Sandra Lehmann. „Wir haben Widerspruch beim Umweltamt eingelegt und hoffen nun sehr auf Unterstützung seitens des Oberbürgermeisters und der politischen Vertreter/-innen im Stadtrat.“

Projekt vor dem Aus

Die möglichen Folgen: Sofern kein Umdenken erwirkt oder eine alternative Finanzierung gefunden werden kann, müssen die neuen und fachlich kompetenten Kolleg/-innen entlassen werden. Ohne Personal können dann auch die geplanten stationären und mobilen Bildungsangebote letztendlich nicht durchgeführt werden.

Eine Finanzierung der Restlos-Werkstatt allein aus Teilnahme-Gebühren ist nicht möglich, da die wenigsten Bildungseinrichtungen (Kitas, Schulen, Horte) über ausreichend Budget verfügen, um für die Restlos-Angebote einen kostendeckenden Preis zu zahlen, so der Mütterzentrum Leipzig e.V. Die Kosten auf die Eltern/Nutzer/-innen individuell umzulegen, würde bedeuten, einkommensschwache Bevölkerungsschichten auszuschließen.

Die Projektleiterin Sandra Lehmann beim Arbeiten in der Restlos-Textilecke. Foto: Mütterzentrum Leipzig
Projektleiterin Sandra Lehmann beim Arbeiten in der Restlos-Textilecke. Foto: Mütterzentrum Leipzig

„Die permanente finanzielle Unsicherheit und das endlose Schreiben von Förderanträgen fressen zu viele Ressourcen. Zeit und Energie, die eigentlich in die Umsetzung und Erweiterung der Angebote fließen sollten. Zudem wird das Einwerben neuer Fördergelder fast unmöglich, weil die meisten Fördermittelgeber explizit nur neue Projekte unterstützen.

Erprobte Projekte, bei denen anstelle der Gewinnmaximierung die Gemeinnützigkeit im Vordergrund steht, die sich also nach der Anschubphase nicht zwangsläufig selbst tragen können, fallen durchs Raster. Wir sind mit unseren Kräften und unserem Latein am Ende“, beschreibt Geschäftsführerin Raymonde Will die sich zuspitzende Situation und fordert die Umsetzung des Stadtratsbeschlusses.

Stadt kürzt Fördermittel

Am 20. September 2023 fasste der Stadtrat einen Beschluss im Zusammenhang mit dem Antrag VII-A-08404-NF-03 „Freiräume für junge Menschen in Leipzig sichern“.

Dabei wurde mittels eines Änderungsantrages der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen unter Punkt 2 und 3 beschlossen, dass den Trägern Mütterzentrum Leipzig e.V. sowie Kinder- & Jugendwerkstatt e.V. eine Übergangsfinanzierung in Höhe von monatlich 10.000 Euro aus dem allgemeinen Haushalt der Stadt Leipzig für den Zeitraum vom 1. Oktober 2023 bis 30. Juni 2024 zur finanziellen Absicherung zur Verfügung gestellt werden, damit die Vereine Miet-, Betriebs-, Personal- und Umgestaltungskosten für ihre Projekte im Bereich Upcycling decken können.

Grundlage der Auszahlung sollte ein entsprechendes Konzept und dessen tatsächliche Umsetzung bilden. In diesem Zeitraum sollte zudem in Abstimmung mit den Trägern eine Anpassung der künftigen inhaltlichen Nutzungskonzepte bzw. des Angebotsschwerpunkts erarbeitet und vereinbart werden, um eine langfristige Finanzierung ab Juni 2024 zu ermöglichen.

Beide Träger erarbeiteten daraufhin entsprechende Anträge und Konzepte und reichten diese beim Amt für Umweltschutz ein. Auf Grund der Kurzfristigkeit und der für 2023 schon gewährten Förderung für das Projekt „Restlos“ verzichtete der Mütterzentrum Leipzig e.V. für 2023 auf die zusätzlichen Mittel. Der Antrag für 2024 musste dann in mehrfachen Absprachen mit dem Umweltamt und Überarbeitungsrunden entsprechend getrennt auf die beiden Halbjahre und die Möglichkeit der erhöhten Fördersumme bis einschließlich Juni 2024 angepasst werden.

Zu sehen ist das Restlos-Team vor der Halle (v.l.n.r.): Beniamino Grabosch, Sandra Lehmann und Dio Carrasco. Nicht im Bild: Eva Wulff. Foto: Mütterzentrum Leipzig e.V.
Das Restlos-Team vor der Halle (v.l.n.r.): Beniamino Grabosch, Sandra Lehmann und Dio Carrasco. Nicht im Bild: Eva Wulff. Foto: Mütterzentrum Leipzig e.V.

Für 2024 hatte der Träger für das erste Halbjahr 2024 bei einem Gesamtvolumen von rund 80.000 Euro beim Umweltamt eine Summe von rund 52.000 Euro beantragt. Dennoch wurde seitens des Umweltamtes ein Bescheid in Höhe von lediglich 29.800 Euro statt der beschlossenen 60.000 Euro bzw. der beantragten 52.000 Euro erteilt.

Gleichzeitig erfolgte die Auflage, dass der Finanzierungsplan in der Gesamtsumme als verbindlich gilt, das Projekt wie im Antrag beschrieben umzusetzen ist und die fehlenden 20.000 Euro eingespart und/oder aus Eigenmitteln erbracht werden sollen. Andernfalls würden die Fördermittel des Umweltamtes nicht ausgereicht. Für das zweite Halbjahr 2024 wurde eine Förderung sogar komplett versagt.

Bei der Kinder- und Jugendwerkstatt stellt es sich so dar, dass der Träger nach Einreichen seines Antrages bzw. der Konzeption in 2023 eine Förderung erhielt, ab Januar 2024 jedoch eine Ablehnung. Die Mitarbeitenden mussten daraufhin die Projektarbeit beenden und sich zu Beginn des Jahres arbeitslos melden.

Gelten Stadtratsbeschlüsse nicht für die Verwaltung?

In der Stadtratssitzung am 24. April will die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dazu ein paar kritische Nachfragen stellen. Denn damit torpediert das Umweltschutzamt auch Stadtratsarbeit.

„Dem Ratsbeschluss gingen lange Aushandlungsprozesse zwischen den Fraktionen vorweg, die einerseits mit den Förderentscheidungen des Jugendhilfeausschusses zur Umsteuerung in einigen Bereichen der offenen Kinder- und Jugendarbeit einhergingen“, erklärt Michael Schmidt, stellvertretender Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses, der den Beschluss vom September 2023 ausgehandelt hat.

„Andererseits wollte der Stadtrat mit dem Beschluss gleichzeitig die nach wie vor unbefriedigende oder teils versagte Finanzierung von wichtigen Projekten im Bereich des nachhaltigen Umganges mit Ressourcen und der Kreislaufwirtschaft, etwa durch Selbsthilfe- und Upcycling-Werkstätten, Sozial- und Second-Hand-Läden und Umweltbildungsprojekte korrigieren.“

Der Stadtrat Michael Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen). Foto: Jan Kaefer
Stadtrat Michael Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen). Foto: Jan Kaefer

Das Ergebnis: Das Handeln des Umweltamtes als zuständige Förderinstanz provoziert nun eine Auseinandersetzung um die Verbindlichkeit von Stadtratsbeschlüssen. Auf Nachfrage wurde der Grünen-Fraktion mitgeteilt, dass man aus dem Beschluss einerseits nicht herauslesen könne, dass es sich bei der Finanzierung um zusätzlich bereitzustellende Finanzmittel handele und andererseits, dass es sich bei den monatlichen 10.000 Euro nicht um eine feste Summe, sondern eine Maximalförderung handeln würde. Man merkt: Da entwickeln Sachbearbeiter eine erstaunliche Kreativität, Stadtratsbeschlüsse zu interpretieren.

„Die Interpretation von Beschlüssen kann nicht nach Gutdünken gedehnt werden wie es einem lieb ist. Wenn der Stadtrat, der die Haushaltshoheit hat, zusätzliche Mittel beschließt, sind diese konsequent durch die Verwaltung bereit zu stellen und entsprechend der aufgestellten Kriterien auszureichen“, sagt Schmidt. „Dies ist nachweislich nicht geschehen und veranlasst meine Fraktion hier zunächst kritisch nachzufragen. Im Zweifel wird aber auch eine Prüfung durch die Landesdirektion für Klarheit sorgen müssen.“

Kein Herz für Zero Waste?

Und auch Jürgen Kasek, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion, fragt sich, wer da eigentlich im Umweltamt eine zentrale Strategie der Stadt einfach untergräbt. Denn auch die Verwaltung hat sich eigentlich ganz eindeutig zur Zero-Waste-Strategie bekannt.

„Wir erwarten, dass den beiden Upcycling-Werkstätten eine Förderung entsprechend der vorgelegten Konzeption zuteil wird, die aber auch nicht zulasten anderer Umweltprojekte geht, die aus dem Budget zur Förderung von Vereinen und Verbänden finanziert werden. Mit der Zero-Waste-Strategie hat sich die Stadt Leipzig, beschlossen durch den Stadtrat, zu einer klaren Zielstellung bekannt, die nun endlich auch mit Leben gefüllt werden muss“, sagt Kasek.

„Dazu ist eine bessere und planungssichere Finanzierung von Projekten von Vereinen und Verbänden notwendig, die sich diesen Zielen verpflichten und teilweise bereits seit Jahren eine wertvolle und sinnstiftende Arbeit leisten. Hierzu sind die beiden Projekte Restlos und der Kinder- und Jugendwerkstatt nur exemplarisch zu nennen, weitere wie etwa das KrimzKramz in Leutzsch gehören auch seit vielen Jahren zu den unverzichtbaren Partnern, die sich aber auch immer schon von Jahr zu Jahr mit unsicheren Finanzierungen hangeln.

Hier braucht es endlich Klarheit, weswegen wir uns neben einer besseren finanziellen Ausstattung solcher Projekte auch für eine klarere Abgrenzung von Finanzierungsbereichen in der Vereins- und Projektförderung aussprechen.“

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