„Beteiligung“ heißt das Zauberwort der Stunde. In den letzten Jahren wurde in Deutschland nachgelegt, wenn es darum ging, Prozesse zu entwickeln, in welchen Bürgerinnen und Bürger über wichtige politische Entscheidungen informiert und in Gestaltungsprozesse aktiv eingebunden werden.

 

„Wir müssen die Menschen besser mitnehmen“ ist zu einem beliebten Satz in Bundestagsreden geworden. Die Möglichkeiten zur Teilhabe sind vielfältig und reichen vom aktiven „auf die Straße gehen“ für ein Anliegen über die Einreichung von Petitionen, das Engagement im Nachbarschaftsbündnis oder einem gemeinnützigen Verein bis zur Teilnahme an (Bürger*innen-) Umfragen oder auch dem Kreuz auf dem Wahlzettel.

In Leipzig laufen zahlreiche informelle, also freiwillig von der Stadt ins Leben gerufene, Beteiligungsformate. Dabei geht es laut Verwaltung oft um Verkehrs- und Mobilitätsthemen, die Aufwertung und Umgestaltung öffentlicher Plätze oder den Umgang mit Abfall. Oftmals seien solche informellen Formate den verpflichtenden, formellen, Beteiligungsprojekten vorgeschalten. Eine Übersicht aller laufenden Formate gibt es nicht nur auf der Seite der Stadt Leipzig, sondern seit Januar 2024 auch über die Leipzig App.

Bürger*innen beraten über „Gemeinwohl“

Im letzten Jahr probierte sich die Stadt an einem neuen Instrument aus: Mit dem Beteiligungsrat Gemeinwohl wurde das Format des Bürgerrats als Modellprojekt in Leipzig erprobt – in den Augen der Verwaltung mit Erfolg. Es sei deutlich geworden, dass die vielfältigen vorhandenen Instrumente und Maßnahmen im Bereich der städtischen Engagementförderung noch breitere Bekanntheit erlangen sollten.

Als eine weitere Erkenntnis sei außerdem aus dem Format hervorgegangen, dass die äußeren Rahmenbedingungen besonderen Einfluss auf die Bereitschaft und die Möglichkeit haben, sich gemeinwohlorientiert zu engagieren.

„Sei es im Bereich finanzielle Entlastung bspw. durch Aufwandsentschädigungen, Stipendien oder Freistellungen für Engagement; aber auch im Bereich Anregung von Engagement durch das Umfeld wie Arbeitgeber oder Bildungsinstitutionen.“ Auch der Abbau von Barrieren fordere den Erkenntnissen des Bürgerrats nach gezielt das gemeinwohlorientierte Engagement.

Zwar sei das Format ein Erfolg gewesen, als Modellprojekt beschlossen, würde es allerdings nicht automatisch fortgeführt werden. Derzeit läuft eine Evaluation, es wird außerdem geprüft, das Format „Bürgerrat“ auch für weitere Beteiligungsprozesse anzuwenden. Grundsätzlich gebe es in einigen Fachämtern das Interesse, es auch zukünftig weiter zu erproben, so die Verwaltung.

Weiter denken in Leipzig

Der Rat ist nur eine von zahlreichen Möglichkeiten, die in Leipzig genutzt werden, um die Bürgerinnen und Bürger in Gestaltungsprozesse miteinzubeziehen. Bereits seit zehn Jahren gibt es, angedockt an die Stadtverwaltung, die Koordinierungsstelle für Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement – Leipzig weiter denken (LWD). Sie koordiniert sowohl Beteiligungsverfahren innerhalb der einzelnen Ämter als auch in der Bürgerschaft.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 121, VÖ 02.02.2024. Foto: LZ
Cover Leipziger Zeitung Nr. 121, VÖ 02.02.2024. Foto: LZ

Die Arbeit der LWD zielt darauf ab, Bürgerbeteiligung grundsätzlich in allen Fachbereichen „mitzudenken“ und so zu verstetigen. Das funktioniert über Beratungsangebote und die Organisation von Veranstaltungen oder auch über die Durchführung von Workshops, Dialogforen, Online-Befragungen und vielem mehr. Außerdem gibt die LWD vierteljährlich einen Newsletter mit aktuell laufenden und bevorstehenden Beteiligungsprojekten heraus.

Seit 2019 gibt es in Leipzig das Forum Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement. Auch dieses Gremium, dessen Einrichtung 2017 vom Stadtrat beschlossen wurde, nimmt eine beratende Funktion ein. Drei- bis viermal im Jahr kommen die Mitglieder des Forums unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammen, um im sicheren Rahmen zu diskutieren. „Die Mitglieder im Forum setzen Impulse für die Weiterentwicklung der Beteiligungskultur, unter anderem, indem es Beteiligungsprojekte frühzeitig im Vorfeld der Umsetzung diskutiert“, beschreibt die Verwaltung die Arbeit des Gremiums.

Zwei Jahre später, 2021, wurde das Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt aus dem Boden erhoben, das sich für Demokratieförderung als Querschnittsthema innerhalb der Verwaltung und zwischen Politik, Verwaltung und Bevölkerung einsetzt. Denn längst hat man in der Verwaltung erkannt: „Beteiligung von Bürger/-innen und Einwohner/-innen ist […] ein zentrales Mittel zur Stärkung des Vertrauens in demokratische Institutionen und Akteure und auch zur Förderung des demokratischen Miteinanders.“

Eines der Hauptanliegen des Referats ist es, den Stimmen bisher eher wenig bis gar nicht gehörter Bevölkerungsgruppen Raum zu verleihen. Darunter zählen beispielsweise auch Kinder und Jugendliche.

Praktische Beteiligung: Leipzigs Bürgerhaushalt

Ein weiteres und ganz praktisches Mittel zur Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ist der 2022 zum ersten Mal in Kraft getretene Leipziger Bürgerhaushalt. Dieser bezieht 15.000 zufällig ausgeloste Leipziger*innen ein, die über zuvor ebenfalls von Bürger*innen eingereichte Vorschläge für Investitionen in der Stadt abstimmen. Die Top Ten der ausgewählten Ideen findet direkten Einzug in den Doppelhaushalt der Stadt.

In der ersten Runde des Bürgerhaushalts landete der Wunsch nach einem kostengünstigen ÖPNV auf Platz eins der Vorschlagsliste, gefolgt von „öffentlichen Toiletten“ und „Photovoltaik auf städtischen Liegenschaften“. Letztere zwei Wünsche werden seitdem nach und nach umgesetzt, ersterer mit den Verhandlungen um das Deutschlandticket wohl zum Teil erfüllt.

Auch im nächsten Doppelhaushalt 2025/2026 werden die Vorschläge der Leipzigerinnen und Leipziger Einzug finden. Das Format wird stetig evaluiert und weiterentwickelt. Leipzigs Finanzbürgermeister Torsten Bonew erklärte bereits zum Start des Bürgerhaushalts in 2022: „Projekte, die zum ersten Mal durchgeführt werden, sind immer mit Chancen und Risiken verbunden. Die Chance die Bürgerbeteiligung zu erhöhen habe ich ergriffen und erfolgreich genutzt.

Aber auch die Risiken und Herausforderungen dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Deshalb wird der Prozess analysiert und evaluiert, umso die zukünftige Vorgehensweise […] noch einfacher, fairer und wirkungsvoller zu gestalten.“ Dazu gehört laut Verwaltung unter anderem auch, noch mehr Menschen zu erreichen. Einen entsprechenden Antrag der Linksfraktion, dass künftig 20.000 statt der bisher 15.000 Einwohner*innen zur Abstimmung über die Bürger*innenvorschläge herangezogen werden, lehnte Leipziger Stadtrat in seiner Sitzung am 24. Januar, allerdings ab.

„Leipzig hat Lust auf Beteiligung“ erschien erstmals im am 02.02.2024 fertiggestellten ePaper LZ 121 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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