Das Geheimtreffen Rechtsextremer in Potsdam alarmiert die Gesellschaft. In vielen Stรคdten haben Tausende Menschen gegen rechts demonstriert, zahlreiche weitere Demonstrationen sind angekรผndigt. Protestforscher Dr. Alexander Leistner vom Institut fรผr Kulturwissenschaften der Universitรคt Leipzig rechnet mit einer โanhaltenden Dynamikโ. Er sagt: โFรผr die einen sind die Demonstrationen wie ein Weckruf, um aus einer Art Schockstarre aufzuwachen.โ Und nicht nur das.
Denn die vergangenen Jahre waren dadurch geprรคgt, dass rechtsradikale Ideologen immer stรคrker die รถffentliche Debatte mit ihren Phrasen besetzt haben, wรคhrend klare Positionen fรผr eine starke Demokratie immer seltener zu hรถren waren. โFรผr andere wirkt es wie ein Aufbruch, auf den man gewartet hat, weil viele schon lang Engagierte vielleicht auch ein Gefรผhl der Resignation hatten in den letzten Monatenโ, so Leistner.
Das Interview
Herr Leistner, kommt da was Grรถรeres ins Rollen?
Im Moment erleben wir eine Protestwelle, die sich eher noch aufbaut, als dass sie nach den groรen Demonstrationen der letzten Tage abflaut. Allein รผber das kommende Wochenende sind deutschlandweit 100 Demonstrationen geplant. Das entfaltet eine spรผrbare Dynamik in viele Richtungen. Einerseits gibt es die anlassbezogenen Demonstrationen, die vielerorts wie aus dem Boden sprieรen, und zum anderen werden in schwierigen Regionen auch sehr konkrete Gegenproteste gestรคrkt und wiederbelebt. Man konnte das in Dresden sehen, wo es Gegenproteste gegen flรผchtlingsfeindliche Demonstrationen gab oder in Gera mit Protesten gegen einen Auftritt von Bjรถrn Hรถcke.
Warum passiert das jetzt? Sind die Enthรผllungen รผber das Potsdamer Treffen der entscheidende Anlass? Oder das Wahljahr, das begonnen hat?
Ich glaube, hier haben sich zwei Entwicklungen verschrรคnkt. Die Enthรผllungen haben einer breiteren รffentlichkeit deutlich gemacht, wie tief die AfD ins vรถlkisch-neonazistische Spektrum verstrickt ist und wie grundlegend umstรผrzend die Fantasien dieses Spektrums zur Umgestaltung unserer Gesellschaft sind. Manches davon konnten Interessierte schon wissen, aber das Treffen hatten eine andere Qualitรคt der Vernetzung und der Konkretion und dadurch eine besondere Brisanz. Und vor dem Hintergrund der prognostizierten Stรคrke der AfD mindestens bei den ostdeutschen Landtagswahlen bekommt fรผr viele Menschen die Bedrohungskulisse plรถtzlich scharfe Konturen. Das wird verstรคrkt durch momentan nicht abbrechende neue Enthรผllungen und die Kommunalwahlen in einigen ostdeutschen Lรคndern, die jeweils fรผr sich รถffentlich sichtbare Zitterpartien sind.
Wie schรคtzen Sie die Perspektive der Demonstrationen ein? Ist der Protest von Dauer?
Ich denke schon, dass daraus eine anhaltende Dynamik entsteht. Fรผr die einen sind die Demonstrationen wie ein Weckruf, um aus einer Art Schockstarre aufzuwachen. Fรผr andere wirkt es wie ein Aufbruch, auf den man gewartet hat, weil viele schon lang Engagierte vielleicht auch ein Gefรผhl der Resignation hatten in den letzten Monaten. Und man kann beobachten, dass neben den Demonstrationen der letzten Tage auch breite Bรผndnisse in der Gesellschaft entstehen. In Thรผringen etwa das Bรผndnis โweltoffenes Thรผringenโ als weitgefรคcherter Zusammenschluss von Unternehmen, Religionsgemeinschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbรคnden, Vereinen, Kultur- und Bildungseinrichtungen. Das wird nicht auf Thรผringen beschrรคnkt bleiben.
Mit Blick auf die politische Kultur ist die interessante Frage, ob dieser Aufbruchsimpuls auch in den kleinstรคdtisch-lรคndlichen Rรคumen Ostdeutschlands Wirkung entfaltet. Denn รผber die Stรคrke der AfD wird nicht in Leipzig oder Kรถln entschieden, sondern dort. Da brรคuchte es vielleicht mittelfristig Initiativen und Bestรคrkung, und sei es, dass Stรคdtepartnerschaften wiederbelebt werden und Patenschaften zwischen Vereinen, Kirchgemeinden und Kultureinrichtungen zwischen Ost und West oder zwischen Groร- und Kleinstadt entstehen.
Gab es bereits Vergleichbares? Wo sehen Sie Parallelen, wo Neues?
Die Proteste erinnern sehr an das 2018 gegrรผndete sogenannte โUnteilbarโ-Bรผndnis. Verschiedenste politische Initiativen, aber auch Gewerkschaften, hatte sich dort fรผr Demonstrationen fรผr Solidaritรคt und gegen Ausgrenzung zusammengeschlossen und weit รผber 100.000 Menschen in Berlin mobilisiert und spรคter Zehntausende in Dresden. Neu ist allerdings Masse, Kurzfristigkeit und vor allem die rasche Ausbreitung der aktuellen Proteste. Und sicherlich auch, dass sie vor dem Horizont dieses Wahljahres stattfinden und einem Gefรผhl, dass durch die Entwicklungen wirklich etwas auf dem Spiel steht.
Welche Menschen gehen auf die Straรe, welche kรถnnten hinzukommen?
Im Moment zeichnet sich ab, dass die Breite der Proteste wirklich groร ist. Eine Bewegung der Vielen, die sowohl zivilgesellschaftlich Engagierte einschlieรt als auch Teilnehmer, die mindestens schon lange nicht mehr demonstriert haben, manche vielleicht das erste Mal. Zivilgesellschaftlich ganz breite Bรผndnisse in den einzelnen Stรคdten brauchen zudem eigentlich Vorlaufzeit, um zusammenzufinden. Deshalb ist damit zu rechnen, dass die Proteste auch noch breiter und vielfรคltiger werden.
Welche Ziele erkennen Sie? Was kรถnnen diese Demos bewirken?
Ganz aktuell sind es vor allem Empรถrungs- und Betroffenheitsmobilisierungen unter dem Eindruck der jรผngsten Enthรผllungen. Sie signalisieren aber auch, nicht hinzunehmen, dass die Grundlagen unseres Zusammenlebens angegriffen sind und damit auch der ganz grundlegende Kompass von Mitmenschlichkeit. Dabei darf man auรerdem nicht unterschรคtzen, dass die Demonstrationen von Teilnehmenden als sehr ermutigend und bestรคrkend wahrgenommen werden โ fรผr das Gefรผhl, nicht allein zu sein mit der Sorge um unsere Demokratie.
Das Interview fรผhrte die Medienredaktion der Universitรคt Leipzig.
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