Ich bin 2015 nach der Geburt unseres ersten Sohnes nach Leipzig gekommen. Damals habe ich mich gewundert, warum Autos in Leipzig offenbar auf den Gehwegen parken dürfen. Auch habe ich nicht verstanden, warum man hier an Kreuzungen die Bürgersteige ausbuchtet, wenn man dann mit seinem Kfz sowieso wieder davor parken darf und den Fußgängern die Sicht nimmt.

Dieses Unverständnis für die damalige Verkehrspolitik der Stadt hat sich verstärkt, als ich meinen Sohn täglich mit dem Fahrrad in die Kita bringen musste. Vor allem die ungeregelte Kreuzung an der Käthe-Kollwitz-Straße zur Schreberstraße empfand ich immer als extrem gefährlich und das schien nicht nur mein persönlicher Eindruck zu sein.

Jeden Tag kurz vor acht Uhr bildete sich eine große Traube vor dem Übergang und wartete auf ein kleines „Loch“ im Autoverkehr. Im Sommer war die Situation noch unübersichtlicher. Da kamen unzähligen Badegäste hinzu, die ins Schreberbad pilgerten.

Warum wird dagegen nichts unternommen, hab ich mich oft gefragt. Und irgendwann dachte ich mir: Na ja, das könnte man ja eigentlich auch man selbst sein, der was dagegen unternimmt. So habe ich eines Abends die E-Mail-Adresse des zuständigen „Fußgängerbeauftragten“ der Stadt herausgesucht und diese Person angeschrieben.

Ich kann mich noch gut an das erste Gespräch erinnern, indem mir sehr freundlich, aber ziemlich eindeutig erklärt wurde: Ja, es stimme schon, es sei keine gute Situation an der Kreuzung. Aber da wurde vor Jahren schon einmal die Möglichkeit einer Ampel geprüft und verworfen. Außerdem gäbe es ja noch andere Ampeln auf der Straße und dann müsse man eben mit seinem Kind einen Umweg fahren …

Für mich war dieses Gespräch wie ein Startschuss. Teils aus Naivität, teils aus Überzeugung, habe ich im Juni 2019 eine Petition für eine Ampel auf openpetition.org gestartet und über die nächsten Monate viel Hilfe von anderen Betroffenen erhalten.

Unterschriften wurden gesammelt und E-Mails geschrieben. Wir haben ein großes Plakat an der Kreuzung aufgehängt (was man eigentlich nicht darf), eine Demonstration beantragt und ein Interview mit einem lokalen Radiosender geführt. Es gab Hilfe von Vereinigungen wie den Ökolöwen und auch lokalen Politikern. Schließlich hat die Petition die „magische“ Grenze von 1.000 Unterstützern überwunden und die insgesamt 1.146 Unterschriften wurden dem Oberbürgermeister überreicht.

Im Stadtratsbeschluss vom 20.05.2020 ist der Petition dann entsprochen worden. Die technische Machbarkeit einer temporären Ampel sollte bis Juni 2020 geprüft und „unverzüglich umgesetzt“ werden. So, damit war meine Arbeit getan … dachte ich. Was ich aber nicht bedacht hatte, war, wie langsam die Mühlen im Technischen Rathaus, die jetzt mit der Umsetzung betraut waren, mahlen. Und mit langsam, meine ich l-a-n-g-s-a-m.

Das ist einerseits verständlich und ich will hier auch kein Bürokratie-Bashing betreiben. Die Mitarbeiter haben viel auf dem Tisch, das Budget ist limitiert und alle Beschlüsse müssen detailliert auf ihre Durchführbarkeit geprüft werden. Das ist umständlich und dauert lange, ist aber sicher notwendig. Die Corona-Zeit hat die Sache ganz bestimmt nicht beschleunigt.

Trotzdem habe ich den immer deutlicher werdenden Eindruck gewonnen, dass hier eine Sache verschleppt werden soll. Denn 2027 wird der ganze Straßenzug sowieso saniert und für die Stadt wäre es natürlich einfacher, bis dahin zuzuwarten und alles in einem Rutsch zu erledigen. Was bei dieser Sichtweise aber vergessen wird ist, was sich täglich an dieser Kreuzung abspielt und wie gefährlich die Situation für Kinder und Eltern tagein tagaus wirklich ist.

Ich war also zurück beim E-Mail-Schreiben. Wieder und wieder habe ich beim Technischen Rathaus nachgefragt, habe mich nach dem Fortschritt bei der Vorsitzendenden des Petitionsausschusses erkundigt und oft lange auf eine Rückmeldung warten müssen. Ich habe mich sehr geärgert, dass dieser Ablauf so intransparent ist. Keiner sagt einem, woran es hakt, oder was das Problem wirklich ist.

Es fiel mir immer schwerer, der Administration der Stadt zu vertrauen, in der Beschlüsse wie in einem schwarzen Loch verschwinden. Nach unzähligen E-Mails, nach internen politischen Debatten, von denen ich keine Ahnung hatte, haben all diese Initiativen schließlich aber doch noch zum Erfolg geführt.

Seit Ende August hängt jetzt eine temporäre Fußgängerampel zu beiden Seiten der Kreuzung. Das Konstrukt schaut noch nicht wirklich schön aus, weil vor der Ampel eine Baustelle ist, um die Gehwege an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Aber die Ampel blinkt fröhlich vor sich hin und sie bleibt! Mein zweiter Sohn geht mittlerweile in die Kita auf der anderen Straßenseite und mein Erstgeborener in die Schule daneben. Die ganze Sache hat ziemlich genau vier Jahre gedauert.

Ich nehme aus dieser Erfahrung zwei wichtige Gedanken mit. Erstens würde ich mir sehr wünschen, dass Bürgerinitiativen von der Administration der Stadt als Bereicherung gesehen und nicht als Mehraufwand und Zusatzarbeit eingestuft werden. Das kann natürlich nur gelingen, wenn die Stadt genug Personal hat, das zu stemmen!

Zweitens blicke ich durchaus positiv auf diese Reise zurück. Der Petition wurde entsprochen! Es ist also möglich, dass ein einzelner Bürger in dieser Stadt etwas verändert. Ja, es braucht gefühlt ewig, es braucht viel Energie und Zeit, es braucht Unterstützung. Es ist aber auch klar, dass der Verwaltungsapparat einer Stadt nicht immer die Probleme im Kleinen erkennen kann. Dazu sind nämlich wir Bürger da.

Es liegt an uns, die Stadt auf Probleme aufmerksam zu machen und ihr dabei zu helfen, diese auch anzugehen. Die Aufgabe der Stadt ist es, ihre Bürgerbeteiligungsangebote noch attraktiver zu machen, sie transparenter zu gestalten, und sie vor allem mit genügend Personal zu besetzten, damit die Kommunikation positiv und zeitnah sein kann.

Unsere Aufgabe ist es, der Administration zu helfen, diese Stadt, in der wir alle gut leben wollen, ein klein wenig besser zu machen … auch wenn es vier Jahre dauert.

Leipzig, am 31.08.2023

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Es gibt 2 Kommentare

Ich habe auch eine Anmerkung, sehr geehrter Autor, ihr Wunsch, daß Ihr Anliegen weithin als konkrete Bereicherung durch die Administration willkommen geheißen werden könnte, kommt mir sehr unrealistisch vor. Mal abgesehen davon, daß der Terminus Bereicherung unglücklich, wenn auch gebräuchlich ist. Denn wenn in der Verwaltung offene Geister säßen, wären es selbst auch ideenreiche Geister. Und die sind da nicht. Oder waren da, und gaben ihren offenen Geist auf. Und drehen wir die Sache mal um, die Administration hätte jahrelang Gelegenheit gehabt, auf diese Stelle der Käthe-Kollwitz-Straße, die ich vor paar Jahren nicht selten selbst genau dort mit dem Rad zu überqueren hatte, von sich aus ein höheres Augenmerk zu legen. (Es handelt sich hier nämlich nicht um ein Problem im Kleinen, sondern um ein beträchtliches. Und wie wir gerade jüngst wieder lasen, ist die Stadtverwaltung seit Jahren im Wachsen, und was ist dadurch besser geworden? Mir fällt nix ein.)

Denn auf Höhe der Schreberstraße ist auf der Käthe-Kollwitz-Straße zu Stoßzeiten praktisch unterbrechungsfrei irgendein Fahrzeug zugange, was man vermutlich kaum durch die eine Änderung der Schaltung der Ampeln an den beiden umliegenden Kreuzungen domptiert bekommen könnte (aber wer weiß, vielleicht doch, aber man hatte vielleicht einen Unwillen dazu).

Jedenfalls hatten Sie sich, sehr geehrter Autor, für ihr Anliegen anscheinend jahrelang in eine Art Kampfmodus begeben. Aber nun mal inhaltlich und vom Ergebnis her gefragt: Sie berichten, daß Sie dort immer als Radfahrer die Hauptstraße queren wollten, sich aber um eine Fußgängerampel engagiert haben. Das verstehe ich nicht ganz. Was ist nun der Nutzen für Radfahrer, oder für sonstige Fahrzeuge, die dann dort immer noch nicht vernünftig queren oder einschwenken können? Ich bin verwirrt.

Glückwunsch um Erfolg, auch wenn es etwas gedauert hat.

Noch eine Anmerkung hierzu:
> Auch habe ich nicht verstanden, warum man hier an Kreuzungen die Bürgersteige ausbuchtet, wenn man dann mit seinem Kfz sowieso wieder davor parken darf und den Fußgängern die Sicht nimmt.
Man (der Autofahrer) darf nicht. Der Autofahrer macht es einfach und niemand kontrolliert es. Und wenn mal das Ordnungsamt vorbei schaut, gibt es “nur” ein Knöllchen. Das Auto umsetzen oder abschleppen wäre ja nicht verhältnismäßig…

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