Am Donnerstag, dem 13. April, kündigte die Stadt Leipzig an, im zweiten Quartal 2023 einen „Beteiligungsrat Gemeinwohl“ nach dem Modell Bürgerrat einrichten zu wollen. Der entsprechende Verwaltungsvorschlag soll vom Stadtrat in seiner nächsten Sitzung am 19./20. April beschlossen werden. Er ist das Ergebnis des Runden Tisches Gemeinwohl. Aber irgendwie doch nicht das, was sich der Verein „Mehr Demokratie“ e. V. unter einem Bürgerrat vorstellt.
„Bürgerräte sind eine beratende Form der Bürgerbeteiligung, sie wirken aktivierend und können Empfehlungen an Politik und Stadtverwaltung aussprechen“, formuliert das Referat für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt den Anspruch des neuen Gremiums. Der „Beteiligungsrat Gemeinwohl“ hat das Ziel, Ideen und Anregungen aus der Stadtbevölkerung einzuholen, die das Gemeinwohl in Leipzig stärken.
Er soll Empfehlungen erarbeiten, wie gesellschaftliches gemeinwohlorientiertes Engagement durch Einwohnerinnen und Einwohner selbst, aber auch durch Unternehmen, Institutionen und Vereine gefördert werden kann.
Die Förderung des Gemeinwohls ist ein wichtiges Ziel der Stadtentwicklung und nach Sächsischer Gemeindeordnung eine zentrale Aufgabe von Stadtrat und Stadtverwaltung. Nach Abschluss des Projektes „Beteiligungsrat Gemeinwohl“ werden dessen Empfehlungen im Herbst an den Oberbürgermeister und den Stadtrat überreicht.
Das Format Bürgerrat zeichne sich besonders dadurch aus, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip aus dem Melderegister ausgelost sowie politisch unterrepräsentierte Gruppen direkt angesprochen werden, so das Referat für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dadurch sollen möglichst unterschiedliche Menschen aus ganz Leipzig erreicht werden, die im Bürgerrat miteinander Ideen entwickeln und diese diskutieren.
Die Kritik des Mehr Demokratie e. V.
Der Verein „Mehr Demokratie“ kritisiert die Ausrichtung des am 13. April von der Stadt angekündigten Beteiligungsrates zum Thema Gemeinwohl.
„Die Ausrichtung der geplanten Losversammlung geht an der Idee von Bürgerräten vorbei. Bei diesen geht es darum, dass zufällig geloste Bürgerinnen und Bürger Empfehlungen zu einem Thema entwickeln, die dann vom Stadtrat beschlossen und von der Verwaltung umgesetzt werden. Bei der Umsetzung der Vorschläge des Beteiligungsrates zum Gemeinwohl soll die Stadt laut Verwaltungsvorlage aber gar keine Rolle spielen“, meint Frank Rosberger, Vorstandssprecher des sächsischen Landesverbandes von Mehr Demokratie, das Problem.
Nach Angaben der Stadt soll der Beteiligungsrat „Empfehlungen erarbeiten, wie gesellschaftliches gemeinwohlorientiertes Engagement durch Einwohnerinnen und Einwohner selbst, aber auch durch Unternehmen, Institutionen und Vereine gefördert werden kann“.
„Es ist absurd, dass die Stadt einen Bürgerrat durchführen und die Ratsversammlung über dessen Empfehlungen entscheiden soll, wenn die Stadt für ihre eigene Gemeinwohlarbeit keinen eigenen Wert daraus ziehen und aus den Bürgervorschlägen keine Maßnahmen entwickeln kann“, so Rosberger. Wie die genannten Bürger, Unternehmen, Institutionen und Vereine entwickelten Vorschläge zur Förderung des Gemeinwohls umsetzen sollen, sei völlig unklar. Allein die Vielzahl der potenziellen Akteure sei schon ein großes Problem.
„Damit ist ein Scheitern des Beteiligungsrates wahrscheinlich“, meint Rosberger. Bei der Fragestellung für den Beteiligungsrat müsse es um Ideen gehen, die die Stadt selber umsetzen könne.
Eine Übersicht mit Leitprinzipien für Bürgerräte der OECD findet man hier.
Bundesweit hat Mehr Demokratie in den vergangenen Jahren mehr als 80 lokale Bürgerräte gezählt. „Bei allen Verfahren war die jeweilige Stadt oder Gemeinde der Adressat der Bürgerrat-Empfehlungen, die bei Zustimmung durch die gewählten Räte durch die Verwaltungen umgesetzt wurden oder noch werden. So sollte das auch in Leipzig laufen“, wünscht sich Rosberger. Mehr Demokratie fordert die Stadt auf, ihre Vorlage entsprechend zu überarbeiten.
Was steht in der Vorlage?
Da der Stadtrat entscheiden muss, gibt es natürlich auch eine richtige Beschlussvorlage. Zur Zusammensetzung des Bürgerrats steht in der Projektsatzung: „Der Beteiligungsrat soll aus einer möglichst heterogenen Gruppe von 60 bis 70 teilnehmenden Mitgliedern (etwa 50 volljährige Personen sowie 20 Kinder und Jugendliche) mit Hauptwohnsitz in Leipzig bestehen. (…) Zur Auswahl der Mitglieder des Beteiligungsrats kommen nebeneinander Losverfahren, Losverfahren mit aufsuchenden Methoden und eine gezielte aufsuchende Ansprache zur Anwendung, um die Heterogenität der Mitglieder des Beteiligungsrats sicherzustellen. Es besteht kein Anspruch auf eine Teilnahme.“
Die Beschlussvorlage für den Beteiligungsrat „Gemeinwohl“.
Und: „Der Beteiligungsrat tritt an vier Tagungsterminen als Plenum und in kleineren Diskussionsgruppen zusammen und endet mit der Übergabe der Bürgerempfehlungen an die Ratsversammlung.“
Aber was steht zu dem von Mehr Demokratie e. V. kritisierten Umgang mit den Empfehlungen des Bürgerrats in der Satzung? – „Die Bürgerempfehlungen des Beteiligungsrats sind dem Oberbürgermeister und der Ratsversammlung zu übergeben und in öffentlicher Sitzung zu behandeln. In der öffentlichen Sitzung wird einer Vertretung des Beteiligungsrats Redezeit zur Begründung der Bürgerempfehlungen eingeräumt. (…) Das für den Beschluss über eine empfohlene Maßnahme zuständige Organ ist an die Bürgerempfehlung nicht gebunden, hat diese jedoch zu erwägen.“
Die Projektsatzung zum Bürgerrat „Gemeinwohl“.
Das erwähnte „Organ“ dürfte in vielen Fällen dann der Stadtrat sein, der natürlich in eigener Kompetenz Vorschläge befürworten, abändern oder ablehnen kann. Aber es wäre schon frustrierend, wenn Stadtrat und Verwaltung die Empfehlungen des extra ins Leben gerufenen Bürgerrats dann nicht umsetzen sollten. Denn das ist ja das eigentliche Ziel des einmaligen Projekts, wie die Stadt betont: „Mit den Bürgerempfehlungen des Beteiligungsrats sollen neue Maßnahmen zur Förderung des Gemeinwohls in Leipzig angestoßen werden.“
Was wollen die Grünen geändert haben?
Ein Punkt, auf den die Grünen-Fraktion reagiert hat und extra beantragt: „Nach Abschluss des Beteiligungsrats ‚Gemeinwohl in Leipzig‘ wird aus den Empfehlungen der Teilnehmenden in Richtung Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft, koordiniert durch das Referat Demokratie, ein Empfehlungskatalog erstellt und durch die Vertretung des Beteiligungsrats in einer öffentlichen Sitzung des Stadtrates an den Oberbürgermeister und den Stadtrat übergeben.“
Der Änderungsantrag der Grünen-Fraktion.
Damit die Empfehlungen nicht einfach irgendwo in der Ablage verschwinden. Denn damit soll ja künftig wirklich gearbeitet werden. Was die Grünen in einem weiteren Antragspunkt betonen: „Nach Vorlage der Ergebnisse des Beteiligungsprozesses in 2024 wird entschieden, ob und wie ein jährliches Monitoring zur Weiterverwendung der Empfehlungen des Beteiligungsrates, inkl. eines vom Stadtrat und der Verwaltung bestätigten Rechenschaftsberichts, sowie zur Entwicklung des Gemeinwohls und des Trialoges aus Stadtverwaltung, Politik und Stadtgesellschaft durchgeführt werden kann.“
„Wichtig ist uns jedoch, sowohl den erarbeiteten Ergebnissen und Empfehlungen wie auch deren Weiterverwendung verbindlicher zu regeln, als die Vorlage dies derzeit vorsieht. Wir stimmen darin überein, dass keine Verpflichtung zur Beschließung und Umsetzung der Empfehlungen durch Stadtrat und –verwaltung bestehen kann und sollte. Trotzdem ist es immanent wichtig, dass mit den erarbeiteten Ergebnissen und Empfehlungen bewusst und verantwortungsvoll umgegangen wird“, betont die Grünen-Fraktion in ihrem Änderungsantrag.
Denn: „Was mit den Empfehlungen nach ihrer Übergabe passiert, ist dann nicht nur für die Beteiligten und die Stadtgesellschaft transparent nachvollziehbar zu machen, sondern auch im weiteren Prozess regelmäßig mittels eines geeigneten Monitorings zu begleiten.“
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