Am 2. Dezember 2022 blockierte der Aufstand der Letzten Generation bei eisigen Temperaturen den Innenstadtring Leipzigs nahe der Oper. Ihre Forderungen waren ein 9-Euro-Ticket für alle und ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen. Beides Forderungen, die Menschen kein Geld kosten würden. Trotzdem werden die Aktivist:innen als Klimakleber auf Stammtischen verbal diskriminiert.

Doch treten wir einmal zurück und fragen uns, welche Ängste treibt junge Menschen dazu, sich bei eisiger Kälte den Unmut der Stammtischgesellschaft auf sich zu ziehen? Sind Äußerungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen António Guterres „Wir haben die Wahl. Entweder handeln wir zusammen oder wir begehen kollektiven Suizid“ in Bezug auf die Klimakrise völlig aus der Luft gegriffen?

Derzeit bewegen wir uns auf eine Welt mit mehr als 3 °C Erwärmung Ende unseres Jahrhunderts zu. Selbst wenn alle Staaten ihre bisherigen Zusagen zum Pariser Klimaabkommen einhalten würden, würde man bei einer ca. 2,7 °C erwärmten Welt durch den Menschen rauskommen. Laut derzeitigen Prognosen wird Deutschland seine Klimaziele deutlich verfehlen. Insbesondere im Verkehrssektor fehlt jede Ambition. Also schauen wir einmal, was das derzeit wahrscheinlichste Szenario für Europa bedeutet, d. h. ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur von mindestens 3 °C. Welche Welt wartet auf unsere Kinder und Enkel?

Tödliche Hitzewellen

Zuerst einmal: 3 °C ist die globale Durchschnittstemperatur. Über den Ozeanen, die 70 % der Erdoberfläche ausmachen, fällt diese geringer aus. Über dem Land sind es deutlich es mehr, grob doppelt so viel im globalen Schnitt, also 6 °C. In Deutschland mehr, da bereits jetzt schon 2,3 °C erreicht sind. Aufgrund der beschleunigten Austrocknung des Bodens werden Hitzewellen zusätzlich verstärkt. Das Jahr 2003 forderte 70.000 Tote in Europa in Folge der Hitzewelle. In Paris mussten Zelte zur Kühlung der Toten aufgestellt werden.

Solche Szenarien werden auch für Deutschland ab 2030 erwartet, wenn die globale Durchschnittstemperatur um ca. 1,5 °C angestiegen ist. Dann werden Hitzewellen mit 45 °C im Schatten erwartet. Damit wird die Kühlgrenztemperatur der Haut für gesunde Menschen deutlich überschritten. Unsere Haut muss es nämlich schaffen, durch Schwitzen auf 35 °C herunterzukommen. Dies gelingt bis zu einer Temperatur von ca. 40 °C. Dass Deutschland auf Temperaturen jenseits von 45 °C nicht vorbereitet ist, zeigt das „Grünbuch 2020 zur öffentlichen Sicherheit“, welches fraktionsübergreifend von Mitgliedern des Bundestages verfasst wurde.

Dürren und Extremniederschläge

Pro °C Erwärmung erhöht sich die Verdunstungsrate von Ozeanen um 3 %. Es gelangt also deutlich mehr Wasser in die Luft. Gleichzeitig steigt die Kapazität der Luft Wasser zu halten um 7 %. Es dauert also länger, bis es regnet, da zu wenig Wasser aus den Ozeanen nachkommt. Regnet es jedoch, dann kommt im Schnitt deutlich mehr Wasser runter. Starkregenereignisse, wie die Flut im Ahrtal, werden also häufiger. Ein angenehmer Nieselregen unwahrscheinlicher. Gleichzeitig häufen sich die Dürren. Extreme nehmen deutlich zu.

In der Folge werden Regionen wie der Mittelmeerraum, der mittlere Westen der USA, Südafrika und Australien austrocknen. Gleichzeitig nehmen Hungersnöte zu. Dies führt zu Revolten und militärischen Konflikten. So entzündete sich der Bürgerkrieg in Syrien im März 2011 in Folge der schlimmsten Dürre seit der Geschichte der Wetteraufzeichnungen, die zu einem massiven Anstieg der Lebensmittelpreise führte.

Zudem nehmen nicht nur Hochwasserereignisse wie im Ahrtal 2021 deutlich zu. Es gibt konkrete Hinweise, dass Tropenstürme Portugal erreichen werden. Zum Vergleich: Im Ahrtal (2021) fielen 115 Millimeter Niederschlag innerhalb von 3 Tagen. Hurrikan Harvey (2017) hatte 1539 Millimeter Niederschlag innerhalb von 4 Tagen. Zusätzlich werden Sturmfluten verstärkt. Die Küstenstadt Tacloban auf den Philippinen mit über 200.000 Einwohner:innen wurde 2013 durch den Taifun Haiyan nahezu vollständig zerstört.

Anstieg der Meeresspiegel

Zudem werden Küstenstädte durch den Anstieg des Meeresspiegels bedroht. 70 cm werden es bis Ende des Jahrhunderts laut dem letzten Bericht des Weltklimarates (IPCC) mindestens sein. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass es bis zu 2 m werden können. Bisher stiegen die Ozeane immer deutlich schneller an als vom IPCC prognostiziert, die sich eher an konservativen Entwicklungen in ihren Prognosen orientieren. Allerdings wird selbst bei einem Stopp der Erderwärmung der Anstieg der Meeresspiegel über Jahrhunderte weiter gehen und Küstenstädte bedrohen.

Verstärkung von Hungersnöten

Nicht nur Extremwetterereignisse werden Ernten gefährden. Höhere Temperaturen bedeuten eine gesteigerte Populationsdynamik für pflanzenfressende Schädlinge, insbesondere Insekten. Pro °C Erwärmung erwartet man allein dadurch Ernteverluste zwischen 10 und 25 %. Dabei ist hervorzuheben, dass das Maximum der Ertragssteigerung für alle nachwachsenden Rohstoffe zwischen 1989 und 2008 erreicht wurde.

Temperaturänderungen im Wasser haben ebenfalls dramatischen Einfluss. Eine Hitzewelle von bis zu 2,5 °C Erwärmung des Wassers vor der Westküste der USA zwischen 2013 und 2016 führte zu einer Reduktion der Kabeljau- und Seelachsbestände um bis zu 70 %. Zudem werden bereits bei 2 °C globaler Erderwärmung alle Korallenriffe unwiederbringlich zerstört werden.

Flüchtlingsbewegungen

Absolute Temperaturen jenseits von 42 °C sind nur für sehr wenige, speziell darauf angepasste Lebewesen ertragbar. Selbst durch geschickte Züchtungen kann diese Grenze für typische Nutzpflanzen nicht erweitert werden. Auch der Mensch ist davon betroffen. Basierend auf der heutigen Bevölkerungsverteilung würden bei einer ca. 2,5 °C erwärmten Welt ca. 50 % der Menschen in Regionen leben, wo an mindestens 20 Tagen im Jahr die Grenze zur tödlichen Hitze überschritten wird. Europa gehört nicht dazu, aber Teile von China und den USA. Von Regionen am Äquator ganz zu schweigen. Es verwundert deshalb nicht, dass Indien im Ranking um die weltweit besten Klimaschutzmaßnahmen (Klimaschutzindex 2023) deutlich vor Deutschland ist.

In Europa wird der Wassermangel die größte Herausforderung, insbesondere im Mittelmeerraum. Auch Küstenstädte werden durch den Anstieg der Meeresspiegel vor enorme Herausforderungen gestellt. Damit kommt aber Europa noch vergleichsweise gut weg. Insgesamt würden nur ca. 250 Millionen Menschen in Regionen leben, die ohne signifikante technische Maßnahmen, wie riesige Meeres-Pumpwerke, für den Menschen unbewohnbar werden würden.

Insgesamt schätzt man, dass mindestens 10 % des globalen Bruttosozialprodukts pro Jahr für die Kompensation von Schäden durch die Klimakrise und Anpassungsmaßnahmen in einer 3 °C erwärmten Welt benötigt werden. Flüchtlingsbewegungen lassen sich insgesamt nur sehr schwer abzuschätzen. Es ist aber klar, dass die Belastung durch die Klimakrise sehr unterschiedlich verteilt sein wird.

Selbstverstärkende Effekte durch Kipppunkte

Bisherige Klimaziele und Zusagen zum Pariser Abkommen berücksichtigen nur die Treibhausgase durch den Menschen. Selbstverstärkende Effekte durch die Natur werden bisher nicht berücksichtigt. Ein Effekt der Klimaerwärmung ist die Verschiebung von Lebensräumen. Ein schneebedecktes Tundragebiet kann deutlich besser Sonnenlicht reflektieren, als wenn dort Bäume und Sträucher wachsen. Dieser Effekt ist sogar so stark, dass systematisches Bäumepflanzen in der borealen Zone insgesamt in einer Temperaturerhöhung resultieren würde, da der Effekt des gebundenen CO₂ deutlich gegenkompensiert wird.

Aber auch der Amazonas kann sich in eine Savanne verwandeln und im Extremfall 80 bis 120 Milliarden Tonnen gespeicherten Kohlenstoff freisetzen. Das entspricht ungefähr dem, was derzeit in 10 Jahren durch den Menschen in die Atmosphäre gelangt. Aktuelle Studien deuten sogar darauf hin, dass dieser Kipppunkt unterstützt durch die Abholzung schon fast erreicht ist. Im Permafrostboden ruhen 1300 bis 1600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Diese Menge könnte bis Ende unseres Jahrhunderts um bis zu 15 % reduziert werden und in der Atmosphäre landen.

Derzeit wird davon ausgegangen, dass bei 2 °C Erderwärmung durch den Menschen dies durch Effekte der Natur auf 2,5 °C am Ende unseres Jahrhunderts erhöht wird. Dazu gibt es Kipppunkte, wo keiner prognostizieren kann, welche Auswirkungen diese haben werden. Dazu gehört eine Veränderung der Meeresströmungen. So führte die Misox-Schwankung vor 8200 Jahren zu Temperaturstürzen von bis zu 5 °C innerhalb weniger Jahre, bevor sich die ursprüngliche Meeresströmung wieder stabilisierte.

Fazit

Noch können wir gut mit dem Klimawandel leben und haben die Kontrolle. Allerdings verweisen Expert/-innen wie Prof. Schellnhuber darauf, dass es längst für die Menschheit darum geht, oberhalb von 2 °C noch irgendwie die Kurve zu bekommen. Wir werden unsere Emissionen wieder einfangen müssen, um am Schluss bei einer 2 °C erwärmten Welt am Ende unseres Jahrhunderts herauszukommen. Dazu werden Technologien benötigt, die wir noch nicht für industrielle Maßstäbe entwickelt haben.

Es geht also längst darum, unseren Kindern und Enkeln eine Chance zu verschaffen, den Klimawandel zu stoppen. Noch schätzen Expert:innen die Wahrscheinlichkeit auf ca. 50 %, dass wir mit Klimareparatur die Klimakatastrophe verhindern können. Dazu müssen wir aber sofort alles in Bewegung setzen, was machbar ist. Bisher sieht es nicht danach aus!

Termintipp: Der nächste Salon der Zukunft von Scientists for Future Leipzig findet am Sonntag, dem 26. März statt. Thema wird sein: „Agrarwende vor den Toren unserer Stadt“. Los geht es um 15 Uhr in der Trinitatiskirche Anger-Crottendorf. Den musikalischen Rahmen wird ein Jazz-Ensemble unter Leitung von Jörn Kleinbrahm geben.

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