Jürgen Tallig hat einen Offenen Brief an einige seiner früheren Mitstreiter aus der Bürgerrechtsbewegung geschrieben, die in seinem Beitrag zu den Klimaprotesten in und um Lützerath den Bezug zum Krieg in der Ukraine vermissten. Worauf er mit einem Offenen Brief reagiert, der auch Bezug nimmt zu der am Mittwoch, dem 25. Januar, beschlossenen Lieferung schwerer Kampfpanzer an die Ukraine.
Der offene Brief anlässlich des Beschlusses zur Lieferung schwerer Kampfpanzer an die Ukraine am 25. Januar 2023.
Krieg und Klimakatastrophe
Offener Brief an frühere Bürgerrechtler
Jürgen Tallig
Lieber B., liebe F.,
danke für Eure Kritik an unserer Gemeinsamen Erklärung zur gewaltsamen Räumung von Lützerath, die ja die herrschende Klimapolitik und die drohende Klimakatastrophe thematisiert.
B., Du kritisierst, dass wir nicht auf den Krieg in der Ukraine eingegangen sind:
„…solange der Pulverdampf und das Töten in der Ukraine durch die russischen Invasoren nicht einmal erwähnt und nicht als Menschheitsverbrechen benannt werden, kann ich einen solchen Aufruf nicht unterschreiben. Die Lage der Menschen – vor allem der Frauen – im benachbarten Belarus und dem Iran ist ja nicht minder furchtbar. Auch dazu kein Wort.“
F. wiederum plädiert dafür, statt gegen die weitere Abbaggerung von Braunkohle, für die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine zu demonstrieren und mahnt: „Stirbt die Ukraine, oder ist nur noch als dauergefährdeter Rumpfstaat vorhanden, ist der Traum von einem dauerhaft friedlichen Europa (das Klimaziele einhält) ein für alle Mal ausgeträumt.“
Nun, der Vorwurf, dass wir uns dazu nicht geäußert haben, ist sicher nicht völlig unberechtigt. Jetzt, wo gerade die Lieferung von schweren Panzern von den USA und der BRD beschlossen wurde, sieht man, dass ein klares Wort zur Aufrüstungsdebatte und zur drohenden Kriegseskalation sinnvoll gewesen wäre.
Aber man kann nicht immer alles sagen und ich habe mich zu dieser Thematik auch bereits in mehreren Artikeln ausgiebig geäußert, die eigentlich auch in der Leipziger Runde angekommen sein müssten und aus denen unten einige Abschnitte angefügt sind.
Dort habe ich bereits auf den unmittelbaren Zusammenhang von Umwelt-und-Klimapolitik und Friedenspolitik hingewiesen.
Defizite der Klimapolitik
Es ist ja leider so, dass das überlebenswichtige Klimathema in den letzten drei Jahren in der Politik und auch in der Öffentlichkeit durch andere Themen in den Hintergrund gedrängt wurde. Erst durch die Corona-Pandemie und jetzt eben durch den Krieg und die Aufrüstungsdebatte. Das führte zu einem klimapolitischen Rollback und dazu, dass die Klimaverpflichtungen des Pariser Klimavertrages international aber auch national nicht eingehalten werden und somit eine völlig ungebremste weitere Eskalation der Klimakatastrophe droht, wie uns das vorige Jahr hierzulande und weltweit wieder drastisch vor Augen führte.
Da dürfte es legitim sein, auf dieses Defizit der Klimapolitik und auf die drohende Gefahr einer nicht mehr rückholbaren Klimakatastrophe hinzuweisen und die Öffentlichkeit zu mobilisieren, um die Politik endlich zu problemadäquatem Handeln zu bewegen.
Problemadäquates Handeln
Das ist das Ziel unserer Gemeinsamen Erklärung, die veranlasst wurde durch die Fortführung einer unverantwortlichen, klimaschädigenden Energiepolitik, konkret im Fall Lützerath und durch das Vorgehen von Polizei und Justiz gegen Klimaaktivisten (Vorbeugehaft).
Die Aktivisten der Letzten Generation, mit denen wir solidarisch sind (obwohl wir die Beschädigung von Kunst ablehnen) weisen mit ihren spektakulären Aktionen aber besonders auf die Fortführung einer rechtswidrigen, unverantwortlichen Verkehrspolitik hin, die fortwährend gegen die Vorgaben des Klimagesetzes verstößt.
Es dürfte Euch nicht entgangen sein, dass mittlerweile der BUND, der größte Umweltverband Deutschlands, Klage gegen die Bundesregierung beim Oberverwaltungsgericht eingelegt hat, – wegen Nichteinhaltung des Klimagesetzes. Und die Umweltministerin hat eine andere Verkehrspolitik angemahnt und sich etliche Forderungen von Umweltschützern und der Letzten Generation zu eigen gemacht, so die nach einem Tempolimit auf Autobahnen und nach einem Stopp des weiteren Ausbaus des Straßennetzes (Deutschland hat das zweitdichteste Straßennetz der Welt).
Man kann nur hoffen, dass der Klimaschutz dadurch endlich wieder den Vorrang erhält, der ihm auf Grund des Ernstes der Lage, also der Gefahr einer sich selbst verstärkenden Erderhitzung durch das Überschreiten von Kipppunkten, gebührt.
Der Klimaschutz darf nicht länger „unter die Räder kommen“
Mit anderen Worten, der Klimaschutz darf nicht länger „unter die Räder kommen“, sei es unter die von klimaschädlichen Autos oder auch unter die von Schützenpanzern oder gar unter Panzerketten. Krieg und Aufrüstung lösen keine Probleme, sondern vertagen sie nur oder machen sie noch unlösbarer, zu Lasten der Menschen, der Umwelt und des Klimas.
Der Krieg darf nicht benutzt werden, um den Klimaschutz weiter auszuhebeln und eine (Subventions-)Politik zugunsten fossil-mobiler Großkonzerne und eine forcierte Aufrüstung Deutschlands und Europas durchzudrücken.
Ich bin natürlich gegen diesen Krieg und solidarisch mit der Zivilbevölkerung in der Ukraine und mit den jungen Männern, die auf beiden Seiten für imperiale Interessen verheizt werden und deshalb für einen schnellen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Denn ja, auch die Ukraine ist Spielball imperialer Interessen und eines neuen geopolitischen „Great Game“ (siehe Birgit Mahnkopf, „Der Kampf um Eurasien“, Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/22, Oktober 2022) und soll abhängiger Vorposten einer dauerhaften westlichen Dominanz auch im Schwarzmeergebiet sein.
Am Ende jeden Krieges wird bekanntlich immer verhandelt. Man könnte also auch gleich verhandeln und sinnloses weiteres Blutvergießen, weiteres Elend und unnötiges Leid verhindern. Nicht wenige hochrangige westliche Generäle und Politiker bezweifeln, dass man Russland militärisch besiegen kann und sehen die Gefahr einer atomaren Eskalation, wenn man Russland weiter in die Enge treibt (siehe Erich Vad, Was sind die Kriegsziele, EMMA, 12.01.2023).
Frieden wird es nur mit und nicht gegen Russland geben.
Keine Zeit mehr für geopolitische Machtspiele
Das sieht übrigens die Mehrheit der deutschen Bevölkerung auch so. Wir stehen vor der Wahl, die Arbeit an einer europäischen Friedensordnung wieder aufzunehmen oder die Eskalation des Krieges zu einem 3. Weltkrieg in Kauf zu nehmen, der sehr wahrscheinlich als Atomkrieg enden würde. Manche Zyniker sagen, ein nuklearer Winter wäre vielleicht die einzige Möglichkeit, die Klimakatastrophe noch zu stoppen.
Grundsätzlich haben wir ganz einfach keine Zeit mehr für geopolitische Machtspiele und ein Agieren in den Kategorien von gestern, die da sind: Macht, Wachstum, Expansion, Erfolg, Aufrüstung, Krieg. Das ist altes Denken und Handeln, aus einer Welt, die sich gerade vor unseren Augen auflöst und die es bald nicht mehr geben wird, wenn wir nicht schnell unseren Kriegskurs untereinander und mit der Natur beenden und endlich in der neuen Realität der Klimakrise ankommen, in der es längst ums Überleben geht.
Jede Pandemie und jeder Krieg sind irgendwann vorbei, jedoch die Klimakatastrophe beginnt gerade erst und sie wird eine lebensbedrohliche Dynamik entfalten, die das Überleben der Menschheit, ja den Fortbestand des Lebens auf der Erde gefährdet. Das müssen wir endlich zur Kenntnis nehmen und entsprechend handeln. Es gibt bald kein Zurück mehr.
Wir werden die Umwelt- und Klimakrise und alle anderen Krisen nur bewältigen, wenn wir zu einer vernunftgeleiteten Politik der internationalen Kooperation zurückkehren.
Wir sind tatsächlich die letzte Generation, die die Klimakatastrophe und einen Absturz in die Barbarei noch verhindern kann.
Jürgen Tallig 25.01.2023
PS: ein Auszug aus einem erschienenen Artikel von Jürgen Tallig.
Kurs Klimakatastrophe. Der Weltklimarat warnt vor verheerenden, irreversiblen Folgen unseres Krieges gegen die Natur und das Klima
(Die Kurzfassung wurde zuerst veröffentlicht in der DER RABE RALF April/Mai 2022, Seite 17, der größten Berliner Umweltzeitschrift)
Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung
Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung – das war das inspirierende Motto der ökumenischen Bewegung in den 1980er Jahren in der DDR. Es ist heute aktueller denn je und drückt die Kernpunkte des notwendigen neuen Denkens aus.
So schrecklich der Angriff auf die Ukraine ist, das Abrutschen in eine Eskalationsspirale von Gewalt, Erpressung, Waffenexporten und weiteren Kriegen muss unbedingt verhindert werden. Krieg, ökonomische Erpressung und Aufrüstung können nie eine Lösung sein, wie wir vor über 30 Jahren schon einmal wussten – auch wenn wir seitdem so einiges an „System Change“ und Krieg vonseiten des Westens erleben mussten. Doch der Rückfall in ein imperiales, in vielfacher Hinsicht fossiles Denken, auch seitens des Westens, kann die Probleme der Staaten nicht lösen, geschweige denn die globalen Probleme.
„Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst“ – dieser wahre Satz gilt möglicherweise auch für unseren Krieg mit der Natur. Wir müssen einen gesellschaftlichen Zustand verhindern, in dem die Menschheit quasi „blind“ weiter in Richtung Klimakatastrophe taumelt. Plötzlich geht es um Aufrüstung und Rüstungsexporte, um die Verschiebung des Kohleausstiegs, die Verlängerung der Braunkohleverstromung und vielleicht sogar der Atomkraft. Plötzlich werden weitere 100 Milliarden Schulden gemacht, zu all den Coronaschulden noch dazu – für Aufrüstung. Klimaschutz ist wieder an fünfter Stelle in der Prioritätenliste und in den Nachrichten.
GroKo ohne Ende
Es gibt einen fossil-mobil-monetären – und militärischen (muss man nun unbedingt hinzufügen) Machtkomplex in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, der grundsätzlich weitermachen will wie bisher. Ob Große Koalition oder Ampel – die eigentliche Große Koalition im Hintergrund, die zwischen Wirtschaft, Großkapital und Politik, wird davon nicht berührt, wie der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien wieder einmal deutlich machte. …
Wenn es dann auch noch um Aufrüstung, Rüstungsexport und Kriegsvorbereitung geht, dann kennt Deutschland erfahrungsgemäß ohnehin „keine Parteien mehr“. Sowohl die denkwürdige Sondersitzung des Bundestages Ende Februar als auch die jüngsten, „von allen demokratischen Parteien“ gemeinsam beantragten Aufrüstungsbeschlüsse erinnerten in fataler Weise an die Bewilligung der Kriegskredite vor dem 1. Weltkrieg.
Faktisch wurde damit die CDU wieder in die Regierung aufgenommen, obwohl das Farbenmischmasch der Ampel ohnehin längst von olivgrün bis schwarz changiert. Die Geschichte lehrt, dass solch einhelliger Patriotismus immer zum Verlust demokratischer Strukturen und vernunftgeleiteter Urteilsfähigkeit führt und meist mit einem bösen Erwachen endet.
Eine solche Wiederholung der Geschichte können wir uns angesichts von Atomwaffen und drohendem Klimakollaps allerdings nicht mehr leisten. Bisherige vermeintlich grüne Subventions- und Konjunkturprogramme für Großkonzerne reichen nicht aus, um den Klimakollaps noch zu verhindern (siehe auch Rabe Ralf August 2020, S. 3),– eine olivgrüne mittelverschlingende Aufrüstung und permanenter Krieg machen das gänzlich unmöglich. Ein neuer Rüstungswettlauf ist jetzt wirklich das Allerletzte und nutzt nur den Rüstungskonzernen in den USA und in Europa. Es geht nicht um die grün verbrämte Modernisierung und militärische Aufrüstung der „Megamaschine“, sondern um ihre Verschrottung. …
Krieg gegen die Natur
Der Überkonsum und die globalisierten kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen zerstören die Biosphäre und die Reproduktionsfähigkeit der Lebensgrundlagen. Das ist auch ein Krieg, ein globaler Krieg gegen das Leben. „Die Natur kann unsere Rettung sein, aber nur, wenn wir sie retten!“, sagt die Direktorin des UN-Umweltprogramms UNEP, Inger Andersen zum neuen Klimabericht, der die Rolle der Natur, der Biosphäre viel stärker betont, als bisher üblich.
Der Weltklimarat IPCC erachtet als nötig: Es müssten alljährlich 1,6 bis 3,8 Billionen Dollar ausgegeben werden, um eine Klimaerwärmung um mehr als 1,5 Grad Celsius zu verhindern. Um das ins Verhältnis zu setzen: Fossile Brennstoffe werden nach jüngsten Schätzungen mit jährlich 554 Milliarden Dollar subventioniert und in ihr Militär stecken die Länder der Welt pro Jahr rund zwei Billionen Dollar. Weiter „Öl“ ins Feuer der Klimakrise zu gießen (egal woher es kommt), ist genauso unsinnig und unverantwortlich, wie die Lieferung von immer mehr Waffen in Krisengebiete und das dadurch bedingte weitere Anheizen kriegerischer Konflikte.
Es gilt militärisch, aber auch energetisch und ökonomisch abzurüsten und eine gerechte, global wirksame neue Sicherheits- und Kooperationsstruktur zu schaffen und die freiwerdenden Mittel in die Sicherung der Lebensgrundlagen und die Verhinderung der Klimakatastrophe umzulenken.
Wir brauchen die Friedensdividende für die globale Klimawende. Insofern ist Friedenspolitik die beste Klimapolitik und Voraussetzung und Schlüssel für die Bewältigung der sich zuspitzenden Existenzkrise der Menschheit. Es gilt zu beweisen, dass der Mensch nicht nur mit Vernunft begabt ist, sondern auch fähig ist, diese zu gebrauchen, um seine Zukunft und sein Überleben zu sichern.
Es gilt, den „Meistern des Todes“, den Kriegstreibern und Rüstungsprofiteuren das Handwerk zu legen. Siehe dazu unbedingt und immer wieder Bob Dylans, „Masters of War“.
Noch haben wir die Wahl zwischen Krieg und Frieden, auch mit der Natur: „Give Peace a Chance! “
Jürgen Tallig
Der Autor hat 1989 das Neue Forum in Leipzig mit gegründet. Zum vollständigen Text.
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