Vielleicht bekommt ja Leipzig tatsächlich in naher Zukunft seine erste Ehrenbürgerin. Denn für die Ratsversammlung am 12. Oktober hat Oberbürgermeister Burkhard Jung einen Beschlussvorschlag ins Verfahren gegeben, nach dem der langjährigen Vorsitzenden des Verbands ehemaliger Leipziger in Israel noch im Oktober die Ehrenbürgerwürde verliehen werden soll.
Im Juli haben wir an dieser Stelle die kleine Miniatur aus dem Verlag Hentrich & Hentrich über das Leben der gebürtigen Leipzigerin besprochen.
Das Leben und Wirken von Channa Gildoni
Der Beschlussvorschlag des Oberbürgermeisters geht sehr ausführlich auf das Leben und Wirken Channa Gildonis ein.
„Channa Gildoni wurde, als einziges Kind des Ehepaares Moronowicz, 1923 in Leipzig geboren. Ihre Familie gehörte zu den sogenannten Ostjuden und gehörte zum orthodoxen Teil der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig. Channa Gildoni erlebte in Leipzig eine unbeschwerte Kindheit und eine Jugend, die immer stärker von den Repressionen des nationalsozialistischen Regimes gegen die Leipziger Jüdinnen und Juden geprägt war.
Ihre Heimatstadt wurde für sie ein zunehmend bedrohlicherer Ort und sie musste die sogenannte Polenaktion und die Reichspogromnacht in Leipzig miterleben, bei der auch Leipziger Synagogen in Brand gesteckt, viele jüdische Geschäfte zerstört und Menschen jüdischen Glaubens misshandelt und ermordet wurden.
Der Familie von Channa Gildoni gelang zwischen Ende 1939 und Frühjahr 1940 die Flucht nach Ungarn und von dort etwa ein Jahr später nach Tel Aviv, wo sich die Familie ein neues Leben aufbauen musste.
In der neuen Heimat erlernte sie den Beruf der Krankenschwester und engagierte sich im Sanitätsbereich von Hagana, einer jüdischen Untergrundorganisation, aus der mit der Gründung des Staates Israel die israelische Armee hervorging.
Danach wurde sie bei der Organisation Magen David Adom (Roter Schild Davids), dem Pendant zum Roten Kreuz bzw. Roten Halbmond, aktiv. In den 1980er-Jahren kam Channi Gildoni mit dem Verband ehemaliger Leipziger in Israel in Kontakt.
Der Verband wurde bereits 1953 gegründet und war der erste landmannschaftliche Zusammenschluss dieser Art, auf den weitere folgten. Bereits in den 1980er-Jahren bestand bei vielen ehemaligen Leipzigern, die sich im Verband organisiert hatte, der Wunsch, nach Leipzig zu reisen.
Aufgrund der politischen Verhältnisse war dies nicht möglich, erst durch die Friedliche Revolution bot sich eine Chance. Der erste Besuch einer Gruppe der ehemaligen Leipzigerinnen und Leipziger fand anlässlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht im November 1992 statt.
Channa Gildoni war Teil der Reisegruppe aus Israel und intensivierte in der Folgezeit ihr Kontakte in die alte Heimat und organisierte viele weitere Fahrten ehemaliger jüdischer Leipzigerinnen und Leipziger mit. 1995 übernahm sie schließlich den Vorsitz des Verbands.
Bei ihren Besuchen in Leipzig sprach sie regelmäßig in Schulen als Zeitzeugin über ihre Erlebnisse in der Zeit des Nationalsozialismus und bereicherte zahlreiche Buchprojekte mit ihren Erinnerungen. Ihrer Beharrlichkeit ist es auch zu verdanken, dass das Gebäude der heutigen Deutschen Zentralbücherei für Blinde, das früher die Höhere Israelitischen Schule beherbergte, die sie nach 1933 selbst besuchte, in Carlebach-Haus umbenannt wurde.
Channa Gildoni setzte sich stets für einen weiteren intensiven Austausch zwischen Leipzig und Israel ein, auch oder gerade weil die letzten ehemaligen Leipziger jüdischen Glaubens bald nicht mehr sein werden.
Auf ihre Bemühungen hin und mit ihrer Unterstützung hat sich die Stadt Leipzig auf die Suche nach einer geeigneten Partnerstadt in Israel gemacht und diese mit Herzliya auch gefunden. Die Städtepartnerschaft feiert dieses Jahr ihr elfjähriges Bestehen. Die bereits zum 10-jährigen Jubiläum geplante Delegationsreise der Stadt Leipzig wird im Oktober 2022 nachgeholt.
Channa Gildoni erhielt 1999 die deutsche Staatsbürgerschaft und wurde aufgrund ihrer Verdienste als Brückenbauerin zwischen Deutschland und Israel 2000 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. 2007 erhielt sie zudem die Goldene Ehrennadel der Stadt Leipzig, womit ihr Engagement für ihre Geburtsstadt gewürdigt wurde.“
Für die Arbeit für die freundlichen Beziehungen zwischen Leipzig und Israel
Und so liegt auch die Begründung für die Verleihung der Ehrenbürgerwürde auf der Hand: „Für das außerordentliche gesellschaftliche Engagement Channa Gildonis für ihre Heimatstadt, die Erinnerung an das jüdische Leben vor und während der Zeit des Nationalsozialismus, den Versöhnungsprozess sowie den Austausch mit Israel wird ihr die Ehrenbürgerwürde der Stadt Leipzig verliehen.“
„Channa Gildoni, die langjährige Vorsitzende des Verbands ehemaliger Leipziger in Israel, hat sich nach der Friedlichen Revolution intensiv als Brückenbauerin zwischen den ehemaligen Leipzigerinnen und Leipzigern jüdischen Glaubens und der Leipziger Stadtgesellschaft engagiert und sich damit unter anderem um das Ansehen der Stadt Leipzig verdient gemacht. Zudem hat sie sich in Leipzig stark für das Erinnern an die Shoah und die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft engagiert“, betont die Vorlage.
„Mit Channa Gildoni wird erstmals eine Frau mit der Ehrenbürgerschaft Leipzigs ausgezeichnet. Nicht nur das ist ein besonderes Signal, sondern auch, dass die Auszeichnung ein herausgehobenes Zeichen des Dankes für den von Channa Gildoni vorangetriebenen Aussöhnungsprozess und ihren Einsatz für lebendige und freundschaftliche Beziehungen zwischen Leipzig und Israel ist. Ihr Engagement hat einen großen Anteil daran, dass es mittlerweile seit über 10 Jahren eine Städtepartnerschaft zwischen der israelischen Stadt Herzliya und Leipzig gibt.“
Aber eine gewisse Eile betont die Vorlage ebenfalls: „Frau Channa Gildoni sollte zeitnah die Ehrenbürgerwürde erhalten, da sie nicht nur hochbetagt ist, sondern gleichsam auch ein Beschluss des Stadtrates rechtzeitig vor einer Delegationsreise des Oberbürgermeisters nach Israel erfolgen soll. Die Ehrenbürgerwürde soll im Rahmen der Delegationsreise bei einem Empfang am 23. oder 24. Oktober 2022 durch den Oberbürgermeister verliehen werden.“
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