Am 18. August protestierte das Óstov Collective am Richard-Wagner-Hain gegen die Aufführung von Oliver Stones Film „Ukraine on Fire“ von 2016 und die einseitige Einordnung des Films in das Programm der GlobaLE Leipzig. Aber wer sind die jungen Leute, die hier protestierten? Wir haben sie gefragt.

Wollt Ihr eure eigene Geschichte erzählen? Denn die hat ja mit eurem Protest zu tun und damit, dass ihr heute in Leipzig lebt. Wann musstet ihr eure Heimat verlassen?

Wir sind alle unterschiedlich lange in Deutschland und kommen, bis auf eine Person, alle mit unterschiedlichen sozialen und familiären Hintergründen aus verschiedenen Regionen der Ukraine. Zwei von uns sind zum Beispiel vor ein paar Jahren zum Studieren nach Leipzig gekommen.

Eine andere Person ist wiederum erst seit Anfang März hier, nachdem sie vor dem Krieg aus Kyiv fliehen musste. Was uns vereint, ist nicht nur unsere Freundschaft bzw. das Kollektiv, sondern auch, dass wir alle auf beruflicher Ebene im Kunst- und Kulturbereich tätig sind.

Wann habt ihr eure Gruppe gegründet und welche Ziele hat sie?

Das Óstov Collective haben wir dieses Jahr im März im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gegründet. Wir hatten durch den Krieg alle die Relevanz unserer künstlerischen Tätigkeit infrage gestellt und wollten stattdessen anderen helfen. Trotzdem wollten wir in dem Bereich, den wir gut kennen, bleiben. Anfangs sind wir also aus einer Art Notwendigkeit zusammengekommen.

Außerdem waren wir natürlich alle in einer sehr ähnlichen Situation, in der Gemeinschaft und ein gemeinsames Ziel für die Zukunft guttut. Zu Beginn haben wir insbesondere ukrainische Kunst- & Kulturschaffende sowie Hilfsorganisationen unterstützt, indem wir hier in Leipzig an verschiedenen Orten und Events Poster und Postkarten mit den Motiven der Künstler/-innen gegen Spende zum Kauf angeboten haben.

Später haben wir dann ein Vortragsprogramm an der Hochschule für Grafik und Buchkunst organisiert und einige Ausstellungen gemacht. Darunter eine große Gruppenausstellung (Sensing Places / Placing Senses) in der ODP Galerie in Leipzig. Teilgenommen haben dort insgesamt 14 ukrainische Künstler/-innen, deren Werke wir teilweise auf verschiedenen Wegen aus der Ukraine nach Leipzig gebracht haben.

Unsere Zielsetzung geht also weit über das Sammeln von Spenden bzw. eine temporäre Unterstützung oder ein Erzeugen von Aufmerksamkeit gegenüber dem Krieg hinaus. Vielmehr wollen wir etwas Nachhaltiges erschaffen und mit unserer Arbeit in Deutschland für mehr kulturelles und zwischenmenschliches Verständnis sowie Austausch und Aufklärung hinsichtlich der Ukraine und anderen post-sowjetischen Ländern sorgen.

Gerne möchten wir in der Zukunft eine Art kulturelle Brücke mit Standorten in Leipzig und Kyiv bilden und auf Basis dessen Artist-Residencies, Austausch- und Bildungsprogramme, Ausstellungen und Vorträge organisieren. Ein stabiles Netzwerk im Kulturbereich hierzulande und in der der Ukraine haben wir mit unserer bisherigen Arbeit hierfür ja bereits aufgebaut.

Wie viele Menschen machen da mit und wie viel Unterstützung bekommt ihr?

Der Kern des Kollektivs besteht aus vier Personen. Es gibt jedoch noch weitere, die innerhalb des Kollektives mitwirken und wie wir ehrenamtlich mithelfen. Unterstützung bekommen wir dabei erstaunlich viel, insbesondere aus der ukrainischen Community, aber wir erhalten auch viel Zuspruch von Menschen aus Deutschland bzw. hier in Leipzig.

Unsere letzte Gruppenausstellung „Sensing Places, Placing Senses“ war sehr gut besucht und auch an dem Zusatzprogramm mit Vorträgen, Film-Screenings und Performances waren viele interessierte Besucher/-innen da, die mit uns und den eingeladenen Künstler/-innen in ehrlichen Dialog getreten sind.

Woran es momentan eher mangelt, ist die finanzielle Unterstützung, die wir bisher nur projektbezogen per Förderantrag bekommen können. Es ist nicht immer ganz einfach, die teils sehr zeitaufwendige Arbeit im Kollektiv, Lohnarbeit, Studium und Privatleben zu vereinen.

Gerne würden wir das Ganze noch viel größer machen und mehr Arbeit investieren können, was allerdings unsere derzeitigen zeitlichen und finanziellen Kapazitäten etwas übersteigt. Dennoch sind wir natürlich mehr als froh, dass das Goethe-Institut, das Studentenwerk Leipzig oder der Freundeskreis der HGB uns bei unseren bisherigen Projekten so gut unterstützt haben.

Konntet ihr euch in Leipzig überhaupt eine stabile Existenz aufbauen? Konntet ihr studieren, euren Beruf ausüben, eine Familie gründen oder eure Liebsten nach Leipzig holen?

Ja, das alles ging schon einigermaßen. Ein paar Personen unseres Kollektives studieren hier in Leipzig und wir können bis zu einem bestimmten Betrag hier auch Geld verdienen bzw. arbeiten. Uns geht es aufgrund der derzeitigen Umstände natürlich trotzdem ziemlich schlecht. Wir leben derzeit in einer stetigen Angst und Ungewissheit, einer Form von Zwischenwelt.

Das macht es nicht einfach, sich als normaler Teil der Gesellschaft fühlen zu können oder unser Leben hier ganz normal weiterzuführen. Einige unserer Liebsten sind auch nach Leipzig gekommen, um hier Sicherheit zu suchen, die sie auch gefunden haben. Aber eigentlich wollen alle so bald wie möglich wieder zurück.

Die vielen komplizierten bürokratischen Prozesse für Geflüchtete sorgen zudem für zusätzlichen Stress. Außerdem sorgen radikale, gesellschaftsspaltende Strömungen, die gegen Geflüchtete unterschiedlichster Herkunft hetzen oder die sich auf die Seite Russlands schlagen, sowie Events wie die Vorführung von Filmen wie „Ukraine on Fire“ nicht gerade für ein durchwegs behagliches und sicheres Gefühl in Deutschland.

Was erhofft ihr euch für die Zukunft? Denn es ist ja noch völlig offen, wie es mit der Ostukraine weitergeht, ob Russland sich die Gebiete ganz einverleibt oder sie gar wieder zur Ukraine kommen.

Natürlich erhoffen wir uns ein Ende des Krieges, schließlich möchten wir, dass unsere Familien und unsere Freund/-innen zurück in die Heimat können. Wir wollen aber keinen falschen Frieden, der nur immer wieder neue Konflikte herbeiführen wird. Die Ukraine muss alle ihre vom imperialistischen Russland besetzten bzw. völkerrechtswidrig annektierten Gebiete zurückerhalten. Wir wollen ja zurück in unsere Heimatstädte in der Ukraine und nicht plötzlich in einem von Russland regierten Gebiet leben.

Außerdem möchten wir, dass alle Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung aufgeklärt werden und sich die Verantwortlichen hierfür vor einem internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen. Zudem geht es ja nicht nur um die Gebiete im Osten des Landes. Bei diesem Krieg steht die Zukunft der gesamten Ukraine auf dem Spiel und bombardiert wird in fast allen Regionen des Landes. Auch gibt es derzeit ja zum Beispiel Pläne für ein Referendum in Cherson, das sich im Süden des Landes befindet.

Hätte Russland aufgrund des ukrainischen Widerstands und der Unterstützung des Westens nicht derartige Probleme mit seiner militärischen Offensive, wäre die Regierung der Ukraine sicherlich schon gestürzt worden. Russland hätte dann längst versucht, sich das gesamte Land einzuverleiben oder zumindest auf undemokratischem Wege eine kremlnahe Regierung in Kyiv platziert.

Grob gesagt also das, was Russland seit Jahrhunderten macht – die Unabhängigkeit und Freiheit der Ukraine und ihrer eigenen Kultur bzw. die Bestrebungen danach abzuerkennen, zu unterdrücken und niederzuschlagen.

Haben die Veranstalter der GlobaLE den Kontakt mit euch gesucht? Gar ein Gesprächsangebot gemacht? Oder würdet ihr mit ihnen gar nicht reden wollen?

Nein, im Nachhinein hat niemand zu uns Kontakt gesucht oder ein Gespräch angeboten. Das Einzige, was seitens der GlobaLE danach passiert ist, sind Verleumdungen per Pressemitteilung inklusive unserer vollen Namen und offenbare Einschüchterungsversuche. Woher russische Medien zum Beispiel ebenfalls unsere vollen Namen haben und in ihren propagandistischen Artikeln verwenden, können wir nur erahnen.

Was plant ihr als Nächstes? Oder war es das erst einmal mit einem öffentlichen Protest?

Wir planen gerade ziemlich viel. Öffentlicher Protest gehört jedoch nicht dazu, der war ja auch vorher nicht wirklich Teil unserer Agenda. Wir bleiben weiterhin ausschließlich im Kunst- und Kulturbereich tätig. Nachdem unsere Gruppenausstellung „Sensing Places, Placing Senses“ in der ODP Galerie kürzlich zu Ende ging, wird als Nächstes eine unserer Sound-Installationen in Köln im Rahmen einer Ausstellung im Hochbunker Grüner Hof und auch im öffentlichen Raum an der U-Bahn-Station am Kölner Ebertplatz zu hören sein.

Zudem sind weitere Ausstellungen mit ukrainischen Künstler/-innen, darunter in der HGB-Galerie, und ein Pop-Up-Store, bei dem wir Schmuck und Kleidung von ukrainischen Designer/-innen anbieten werden, geplant. Danach schauen wir mal, was die Zukunft so bringt. Toll wäre zum Beispiel eine Konzertreihe oder ein Event mit Vorträgen von verschiedenen Historiker/-innen zu organisieren.

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