Dienstagmorgen um 7:30 Uhr ist der Berufsverkehr auf der Brandenburger Brücke hinter dem Hauptbahnhof in vollem Gange. Doch das möchten die Aktivist/-innen der Klimagruppe „Letzte Generation“ ändern: Ohne lange Zeit zu verschwenden, lassen sich die acht Personen in orangen Warnwesten auf zwei Fußgängerampeln auf beide Verkehrsrichtungen verteilt nieder. Für alle Autofahrenden auf oder vor der Brücke gilt es nun, die Geduld nicht zu verlieren.
Bewusst hätten sich die Blockierenden heute für schwarze Kleidung unter ihren Warnwesten entschieden, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Katholikentag auf Klimaaktivist/-innen, die eine Rede von ihm gestört hatten, mit einem mutmaßlichen Nazi-Vergleich reagierte: „Ich sage mal ganz ehrlich, diese schwarz gekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt, und Gott sei Dank.“
Mit ihrer dritten Aktion in Leipzig bekräftigt die bundesweit aktive Gruppe der „Letzten Generation“ erneut ihre Forderungen an die deutsche Bundesregierung nach Sofortmaßnahmen, um die Klimakrise aufzuhalten. Konkret bedeutet das: keine Investitionen mehr in fossile Brennstoffe, Neubau der Energie-Infrastruktur und stattdessen der Wechsel zu 100 % erneuerbaren Energien. Aktuell geht es auch um den Widerstand gegen neue Ölbohrungen in der Nordsee.
Zuletzt hatten die Leipziger/-innen am 9. Mai die stadteinwärtige Richtung am Waldplatz blockiert, anschließend folgte ab dem 11. Mai 2022 eine friedliche Besetzung des Audimax in der Universität Leipzig, welche sich fast drei Tage hinzog. Und mit einer gemeinsamen Erklärung der Uni und den Aktivist/-innen endete.
Sie selbst sehen sich als die wortwörtlich letzte Generation, die so den absoluten Klimakollaps noch aufhalten könne.
Bekannte Reaktionen und Aggressionen
Doch die jetzt im Stau Stehenden scheinen bereits nach wenigen Minuten nur noch wenig Verständnis für diese Forderungen aufbringen zu können. Immer mehr Menschen steigen aus ihren Autos, um die Aktivist/-innen teilweise mit Beleidigungen zurechtzuweisen. Eine Person sei zum Beispiel um ihren Arbeitsplatz besorgt. Die Brandenburger Straße ist eine der Hauptrouten für die insgesamt 80.000 Pendler, welche mittlerweile täglich nach Leipzig hinein- oder hinausfahren.
Im Gegenzug sehe die „Letzte Generation“ die langfristige Lebensgrundlage aller Menschen durch die Klimakrise in Gefahr. Sie betonen mehrfach, den Verkehr dafür stören zu müssen, tue ihnen selbst leid.
Noch bevor die Polizei zur Hilfe kommt, versuchen einige der Aufgehaltenen sich selbst einen Weg zu bahnen, indem sie Baustellenabsperrungen zur Seite räumen. Interessanterweise auch ein rechtswidriges Verhalten, wozu sich die Autofahrer/-innen damit hinreißen lassen. Auch eine Radfahrerin beteiligt sich, während andere für den Klimaprotest applaudieren. So bedrohlich einige Reaktionen auch wirken, würden sie dieses Mal verhältnismäßig friedlich ausfallen, berichtet eine Person aus der Gruppe der Aktivist/-innen.
Die Leipziger Gruppe hat sich dabei heute erneut für eine Nullkooperation mit dem Staat entschieden. Im Gegensatz zu den 17 Personen, welche laut MDR zeitgleich in Dresden am Georgplatz den Verkehr blockieren, haben sie keine Versammlung angemeldet und somit keine Vorabsprachen mit dem Ordnungsamt der Stadt getroffen.
Als die ersten Polizist/-innen die Blockade erreichen, kleben sich einige der hier Sitzenden schließlich auch noch mit Sekundenkleber an den Asphalt. So muss die Polizei zunächst alle angeklebten Hände in mühseliger Handarbeit mit Speiseöl, Pinsel und Stäbchen von der Straße lösen, während die nicht angeklebten Aktivisten nach nicht einmal einer halben Stunde auf den Fußweg getragen und einer Identitätsfeststellung unterzogen werden.
Doch so zieht sich Störung des Autoverkehrs für fast zwei Stunden bis 9:30 Uhr hin.
Vorgeworfen wird ihnen jetzt die Nötigung dutzender Autofahrender. Das Ordnungsamt Leipzig wirft ihnen zudem die Teilnahme an einer nicht angemeldeten Versammlung vor. Die Aktivist/-innen wirken jedoch unbeeindruckt.
So heißt es auf der Website der „Letzten Generation“ schließlich auch: „Wir sind bereit, alle staatlichen Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Das befreit uns davon, uns vom Staat durch Repressionen einzuschüchtern zu lassen, und dass sie unsere Entschlossenheit brechen.“
Die Aufmerksamkeit der Leipziger Stadtgesellschaft haben die jungen Klimaschützenden mit solchen Aktionen auf jeden Fall sicher. Längst ist auch wegen ihren Aktionen, aber auch wegen der direkten Kollision zwischen privater Autonutzung und Umweltschutz eine anhaltende Debatte darüber entbrannt, wie ein ressourcenschonendes Leben ohne Verbrenner möglich werden muss.
Im Zuge der aktuellen Kampagne soll es heute um 18 Uhr einen Vortrag im „El Rojito Café“ an der Bornaische Str. 50 in Connewitz geben.
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