Konzept 2023? Umsetzung ab 2026? Auch wenn es um die Erinnerung an Opfer von Femiziden in Leipzig geht, braucht man eine ganze Menge Geduld. Wenngleich das Kulturamt dem Antrag aus der Linksfraktion jetzt ohne Umstände zugestimmt hat. Aber auch das funktioniert nicht ohne Konzept.
Linke: mindestens zwölf Leipziger Opfer seit 2011
„Es wird geprüft, wie das Gedenken an die Opfer von Femiziden in Leipzig in das Konzept Erinnerungskultur der Stadt Leipzig aufzunehmen ist. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis Ende des IV. Quartals 2023 einen Entscheidungsvorschlag einschließlich Umsetzungskonzept für das Gedenken an Opfer von Femiziden vorzulegen“, schlägt das Kulturamt als Weg hin zu einer Lösung vor.
„Das Konzept wird in Kooperation mit zivilgesellschaftlich aktiven Gruppierungen erarbeitet. Eine Umsetzung im Haus- und Gedenktafelprogramm kann ab dem Jahr 2026 erfolgen.“
Zu den Zahlen, die dahinterstecken, hatte die Linksfraktion in ihrem Antrag geschrieben: „Seit 2011 sind mindestens zwölf Leipzigerinnen Opfer von Femiziden geworden. Große mediale Aufmerksamkeit haben etwa die Morde an M. D. (2016 in Lindenau), an S. L. (2018) und an M. Z. (2020 im Connewitzer Auwald) sowie ein möglicher neuer Fall im Dezember 2021 in Lindenau erregt.“
Femizid, nicht „Familientragödien“
„Das Konzept des Femizid (auch: Feminizid) kommt aus dem lateinamerikanischen Raum und bezeichnet den Mord an Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Femizide werden medial häufig als ‚Familientragödien‘ oder ‚Eifersuchtsdramen‘ bezeichnet – und damit verharmlost. Es handelt sich nicht um unglückliche Einzelfälle, sondern die extreme Zuspitzung einer Reihe von Gewalttaten gegen Frauen, die von physischer und psychischer Herabwürdigung, häuslicher Gewalt und Einsperren über Stalking bis zu sexueller Belästigung und Vergewaltigung reicht“, ging die Linksfraktion auf die öffentlichen Verharmlosungsstrategien in der Berichterstattung über Morde an Frauen ein.
Es geht dabei immer um das toxische Verhalten von Männern.
„Die Täter sind fast immer Männer – am häufigsten der eigene Partner oder Expartner, in manchen Fällen eine flüchtige Bekanntschaft oder ein Familienangehöriger. Frauen werden ermordet, weil sie den geschlechtsspezifischen Erwartungen der Täter nicht entsprechen, etwa indem sie eigenständige Entscheidungen treffen. Das kann das Verlassen des Partners (sog. Trennungstötungen) oder das Verweigern von Sex oder Zuneigung sein.
Kennzeichnend für Femizide ist die milde Bestrafung der Täter (Totschlag statt Mord) bzw. juristisches ‚Verschleppen‘ von Anzeigen oder Prozessen“, schrieb die Linksfraktion dazu. „Kennzeichnend ist auch der verbreitete Unglaube, dass solche extremen Gewaltakte nicht ‚mitten unter uns‘ stattfinden. Oft werden die Taten auf psychisch kranke Einzelne oder aber rassistisch markierte ‚fremde Männer‘ ausgelagert. Die Thematisierung von Frauenmorden als Femiziden soll dem entgegenwirken.“
Erinnerungsort im Auwald für ermordete Myriam Z.?
Insbesondere der Mord im Auwald hat in Leipzig einiges in Bewegung gebracht und unter anderem die Gründung der Initiative #KeineMehr Leipzig zur Folge gehabt, die seit 2020 Femizide in Leipzig dokumentiert und darüber aufklärt.
Weshalb sich die Linksfraktion auch gut vorstellen kann, dass direkt an der Tatstelle im südlichen Auwald ein Erinnerungsort entstehen könnte: „Als Standort wird der Ort vorgeschlagen, an dem M. Z. am 8.4.2020 getötet wurde. Der Tatort im Connewitzer Auwald am Parkplatz Richard-Lehmann-Straße/Neue Linie wird bereits von privater Seite als Gedenkort gepflegt. Die Inschrift der Gedenktafeln soll sich dennoch nicht explizit auf diesen Fall beziehen, um die Privatsphäre der Angehörigen nicht zu verletzen. Vielmehr soll allgemeiner der in Leipzig verübten Femizide gedacht werden.“
So weit geht das Kulturamt noch nicht mit. Es würde das Anliegen gern mit ins Haus- und Gedenktafelprogramm der Stadt aufnehmen, das alle fünf Jahre novelliert wird.
Stadtrats-Ausschüsse sollen Antrag nun beraten
„Sollte nach Prüfung und in Abstimmung mit dem Beirat Kunst im öffentlichen Raum eine Umsetzung in künstlerischer Form erfolgen, dann ist für den künstlerischen Wettbewerb und die Realisierung mit Kosten von ca. 20.000 Euro zu rechnen“, geht das Kulturamt auf die möglichen Kosten ein.
„Für die Erarbeitung des Verfahrens und im Anschluss die Vorbereitung und die Durchführung einer Umsetzung ist ein ausreichend langer Zeitraum zu setzen. Die Realisierung kann bei einer gesicherten Finanzierung ab 2026 erfolgen.“
Welche Chancen der Antrag hat, auch in der Ratsversammlung die nötige Mehrheit zu bekommen, muss sich jetzt in den Ausschüssen des Stadtrates erweisen, in denen er in den nächsten Wochen beraten wird.
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