In Satu Mare ist es 23 Uhr als nach 18,5 Stunden zehn Menschen aus Deutschland ankommen, um 40 Kinder und neun Erwachsene nach Deutschland zu holen. Sieben Tage war die Gruppe auf der Flucht vor dem Krieg und kommt nun nach Deutschland. Eine Odyssee, die fรผr Europรคer im 21. Jahrhundert undenkbar schien.
Eigentlich hat Sascha mit dem Kinderheim nicht viel zu tun. Ihr Mann arbeitet dort. Sie selbst kommt aus Berlin und ist Buchhalterin fรผr eine Kirchgemeinde รถstlich der Stadt. โWir leben im Grenzgebiet zu den Russen, wir haben als erstes gesehen, dass ein Krieg kommen wirdโ, erzรคhlt sie uns am Ende des Tages.
Die Russen haben sukzessive ihre Stellungen ausgebaut, bis am 24. Februar der Angriff erfolgte. Sascha erzรคhlt von Detonationen im Umfeld. โEs hรถrte sich an, als wenn es beim Nachbarn war, aber es war doch noch weiter weg. Die Lautstรคrke war unfassbar.โ
Die erste Nacht verbringt sie mit ihrer Schwiegermutter und ihrem Mann im Keller. Aber der ist feucht und die Detonationen und Flieger immer noch sehr laut zu hรถren. An Schlafen nicht zu denken. Also zieht sie mit ihrer Schwiegermutter ins Kinderheim nach Mariupol.
Dort ist der Keller des Heims zwar ausgebaut und warm, aber mit mehr als 60 Personen ist auch dort nicht an Schlafen zu denken. Es bleibt die Frage, was sicherer sein wird: โDableiben oder fliehen?โ Die Mitarbeiter des christlichen Kinderheims beraten, der Ortsgeistliche entscheidet am Ende, sie sollen dableiben.
Einen Tag unternehmen sie doch einen ersten Versuch, fahren los und werden an den Kontrollpunkten, von denen es rund um Mariupol zahlreiche gibt, abgewiesen. Es gibt nicht fรผr alle Kinder Originaldokumente. Am 1. Mรคrz dann der zweite Versuch, die ersten Posten lassen die Autos durch. Aber es bleibt riskant.
โWir haben Sperrstunde im Kriegsgebiet, das heiรt, man muss bei Dunkelheit in einer Stadt sein, sonst kann man beschossen werden.โ Die Autos haben sie abgeklebt und so oft es ging โKinderโ darauf geschrieben. Einer der letzten Posten bevor sie das unmittelbare Kriegsgebiet verlassen, nimmt es genau und lรคsst sich nur mit Mรผhe und Not รผberzeugen. Aber dann darf der Konvoi dennoch passieren.
Eine erste Gruppe Kinder hat die Region Mariupol verlassen, zwei Tage spรคter kommen auch die anderen nach. Nun sind sieben Autos auf dem Weg Richtung Westen. โWas wir gesehen haben, war, obwohl wir noch vor den schweren Kรคmpfen los sind, schlimm. Brennende Panzer, Rauch, Feuer.โ
Stadt fรผr Stadt arbeitet sich die Gruppe voran, kann oft nur eine, hรถchstens zwei Nรคchte an einem Ort bleiben, weil fรผr die nรคchsten Flรผchtlinge Plรคtze gebraucht werden. Auf dem Weg gibt es immer wieder Funklรผcken. Unterwegs erfahren die mรคnnlichen Erzieher, dass nur die nicht-wehrfรคhigen die Ukraine verlassen dรผrfen. Erneut stehen Entscheidungen an.
Nur drei von sieben Mรคnnern bleiben bei der Gruppe, die an der ukrainischen Grenze besonders lang steht und diskutieren muss. โWaisenkinder unterliegen der Obhut des Staates, wir als christliches Heim betreuen allerdings Kinder, deren Eltern nicht fรผr sie sorgen kรถnnen. Theoretisch mรผssen deren Eltern die Erlaubnis erteilen.โ
So vergehen Stunden, ehe die Gruppe ihr Heimatland verlassen kann. รber das christliche Netzwerk hat sich eine Verbindung nach Satu Mare ergeben. Vier von sieben Autos sind mittlerweile nicht mehr verkehrssicher. โWir sind spรคter auch in der Nacht gefahren, auch wenn ich das nicht gut fand. Die Straรen sind kaputt und so haben wir mehrere Reifen eingebรผรtโ, so Sascha.
Es ist mittlerweile 0 Uhr. Zeit, die restlichen Hilfsgรผter, die รผber den 1. FC Lok zusammengekommen sind, auszuladen. Das rumรคnische Kinderheim hat fรผnf Tage lang auch die ukrainischen Gรคste verpflegt. Als Dank laden wir Getrรคnke, Lebensmittel und Hygieneartikel aus. Die ukrainischen Erzieher haben uns eine รbernachtung in der Baptisten-Gemeinde der Stadt organisiert. Hier kรถnnen wir bis 9 Uhr bleiben. Die Gรคstezimmer sind nach 24 Stunden unterwegs sein ein Labsal.
Teil 3 lesen Sie morgen an dieser Stelle.
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