Der erste Versuch, in Leipzig ein Freiheits- und Einheitsdenkmal auf die Beine zu bekommen, scheiterte ja bekanntlich daran, dass die Verwaltung immer wieder eingriff, um das Denkmalprojekt in die Bahnen zu lenken, die man sich selbst wünschte. Die Bürgerbeteiligung war eher nur ein Feigenblatt. Mit dem neuen Prozess sollte das anders werden. Schon bei der Suche nach einem geeigneten Standort. Die ausgelosten Bürger sprachen sich nun freilich wieder für den Wilhelm-Leuschner-Platz aus.
Der Wilhelm-Leuschner-Platz soll es sein, wie die von der Stadt Leipzig mit Konzeptentwicklung und -umsetzung beauftragte Stiftung Friedliche Revolution am Donnerstag, 10. Februar, mitteilte. Am Abend übergaben Vertreterinnen und Vertreter des Bürgerrates in einer öffentlichen Veranstaltung das dazu angefertigte Gutachten an Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD).„Es ist uns gelungen, mit Hilfe eines Bürgerrates in einem demokratischen Prozess den Standort für das künftige Denkmal zu finden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Prof. Dr. Rainer Vor. Das Ergebnis sei ein klares Votum für den Wilhelm-Leuschner-Platz.
„Die Teilnehmenden stimmten im Bewusstsein für den gleichen Standort, der bereits 2014 in der Diskussion war“, sagte Gesine Oltmanns, Vorstandsmitglied der Stiftung. Das damalige Gegenargument, der Ort habe keinen historischen Bezug zu den Montagsdemonstrationen, sei nach Ansicht des Bürgerrates jedoch mit der Zeit verblasst.
Im „Bürgerrat Freiheits- und Einheitsdenkmal“ hatten 35 zufällig ausgewählte Leipziger Einwohnerinnen und Einwohner nach einer Begehung, Gesprächen und Diskussionen über fünf Vorschläge geheim abgestimmt. Das vom Bürgerrat erstellte Gutachten soll dem Stadtrat als Diskussionsgrundlage für weitere Entscheidungen dienen.
In einem nächsten Schritt soll dem Gremium nun Anfang März ein Konzept für ein Wettbewerbsverfahren zur Gestaltung des Denkmals vorgelegt werden, so Oltmanns. Voraussichtlich im Juni wird der Stadtrat sowohl über den Standort als auch über das Wettbewerbskonzept abstimmen. Ziel ist es, am 9. Oktober 2024 mit der Realisierung des Denkmals zu beginnen. Das wäre dann der 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution.
(Das Gutachten des Bürgerrates als Download.)
Zuerst war der Richard-Wagner-Platz Favorit
Im Zusammenhang des Beteiligungsverfahrens bei der Standortsuche für das Freiheits- und Einheitsdenkmal ist in Leipzig erstmals ein Bürgerrat beauftragt worden. Im Auftrag der Stiftung Friedliche Revolution hatte das Nexus-Institut (Berlin) 1.000 repräsentativ ausgewählte Leipziger Einwohnerinnen und Einwohner eingeladen, sich am Verfahren zu beteiligen.
Die Auswahlkriterien waren: Die Teilnehmenden sollten aus allen Stadtteilen stammen und drei Altersgruppen angehören: über-50-Jährige, 35- bis 49-Jährige sowie 16- bis 34-Jährige. 80 hatten sich zurückgemeldet, davon wurden 40 zufällig gezogen. 35 von ihnen hatten sich tatsächlich am Bürgerrat vom 28. bis 30. Januar beteiligt.
Die Geschichte des Denkmals ist lang: 2008 hatte der Bundestag beschlossen, in Leipzig ein bundesdeutsches Freiheits- und Einheitsdenkmal zu errichten. Der erste Anlauf war 2014 gescheitert.
Leicht gemacht haben es sich die 35 Teilnehmer/-innen des Bürgerrats nicht. In der Auftaktabstimmung am 29. Januar lag noch ein ganz anderer Platz ganz vorne: der Richard-Wagner-Platz bzw. die Ecke Goerdelerring/Tröndlinring, 1989 noch der Standort des „Blauen Wunders“, der Fußgängerbrücke, von der aus die ersten großen Demonstrationen besonders gern fotografiert wurden. 14 Teilnehmer/-innen votierten anfangs für diesen Denkmalstandort, 11 für den gesamten Ring als Denkmal und nur vier für den Wilhelm-Leuschner-Platz.
Doch der ersten Fühlungsaufnahme folgten dann Besuche an allen vorgeschlagenen Standorten (der Matthäikirchhof stand noch zur Auswahl und ein „nicht physischer Ort“). Dazu standen dann mehrere Expert/-innen zur Verfügung, die ihre verschiedenen Standorte vorstellen konnten: Dr. Stephanie Jacobs, Dr. Sascha Lange, Prof. Annette Menting, René Reinhardt, Siegbert Schefke, Bernd Stracke, Greta Taubert, Anna Voswinckel, Jan Wenzel.
Wo ist überhaupt noch Platz für ein Denkmal?
Aber das Gutachten des Bürgerrats zeigt dann, dass die letztendliche Entscheidung viel weniger mit der Bedeutung des Standortes im Herbst 1989 zu tun hat als mit der Möglichkeit, dort überhaupt in den nächsten drei Jahren ein Denkmal aufstellen zu können.
Der Richard-Wagner-Platz flog aus dem Rennen, weil er heute schon ein attraktiv gestalteter Stadtplatz ist, auf dem ein zusätzliches Denkmal schwerlich noch Platz finden könnte.
Den gesamten Promenadenring kostete dann seine schlichte Existenz als laute Verkehrsanlage die aussichtsreiche Position: „Insgesamt wurde vor allem die Hervorhebung der Bewegungssymbolik und Möglichkeit der Verbindung mehrerer Orte an diesem Standortvorschlag gelobt, während die laute Verkehrsumgebung und Dezentralität kritisch betrachtet wurden.“
Beim Matthäikirchhof ist schlicht nicht absehbar, ob dort überhaupt mal Platz für ein Denkmal übrig bleiben wird: „Dass auf dem Matthäikirchhof ein städtebauliches Vorhaben geplant ist, löst vor allem Unsicherheit aus. Die lange Bauzeit schlägt negativ zu Buche: Was man sich jetzt überlegt, ist später vielleicht nicht mehr aktuell, auch weil man nicht weiß, wie der Matthäikirchhof ‘zukünftig aussehen wird.’“
Einen nicht-physischen Ort lehnten dann 22 der 35 Teilnehmer/-innen während des Workshops grundsätzlich ab. Ein Denkmal muss schon irgendwo sichtbar und zum Anfassen real sein.
Blieb am Ende nur noch der Wilhelm-Leuschner-Platz, der im Grunde aus demselben Grund favorisiert wurde, aus dem er auch schon im ersten Anlauf favorisiert wurde: der Platz bietet überhaupt noch Gestaltungsmöglichkeiten.
„Uneins war der Bürgerrat über den Doppelnamen des Wilhelm-Leuschner-Platzes. Während die einen die Ergänzung ‚Platz der Friedlichen Revolution‘ ablehnen, weil es dort keinen Bezug zu dem Ereignis gäbe, befürworten andere diese Namensergänzung, weil Straßennamen für sich schon eine Art Denkmal sind. So bleibe das Ereignis länger in Erinnerung.“
Kurz und knapp: Freiheitsdenkmal
Und auch wenn die Mitglieder des Bürgerrats durchaus befürchteten, dass der Standort durch den ersten, gescheiterten Wettbewerb verbrannt sein könnte, sehen sie hier trotzdem eine Chance, ein attraktives Denkmal aufzustellen: „Für den Standort sprechen vor allem die räumlichen Qualitäten. ‚Durch die aktuelle Bebauung‘ gibt es ‚wenig Vorgaben‘ oder Beschränkungen ‚für die künstlerische Gestaltung‘. Der Platz sei ‚gut erreichbar‘ und das ‚Tor zur Innenstadt‘. Der Platz bietet aufgrund der Größe ‚Möglichkeiten zum Hinsetzen‘ und damit zum längeren Betrachten des Denkmals. Er sei geradezu ‚ideal zwischen offen und geschlossen‘. Zudem könne ‚zeitnah‘ mit der Umsetzung begonnen werden.“
Die Ausgewählten haben auch noch über einige andere Dinge abgestimmt. So zum Beispiel auch über die Frage, wie das Denkmal heißen soll. Und während zwölf weiterhin den sperrigen Namen Freiheits- und Einheitsdenkmal bevorzugten, fanden 18 den treffenderen Namen Freiheitsdenkmal besser.
Denn für die Deutsche Einheit steht das Denkmal in Berlin. In Leipzig aber ging es am 9. Oktober 1989 darum, ob es den DDR-Bürgern gelingen würde, sich ihre Freiheit zu erringen. Eine solche Fokussierung dürfte es auch Künstlern und Künstlerinnen leichter machen, eine gute Denkmals-Idee zu entwickeln.
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