In wenigen Stunden ist es so weit, dann wollen sich am Montag, 10. Januar ab 17:30 Uhr verschiedene Initiativen, Bündnisse und Menschen unterschiedlichster Einstellungen zu einer gemeinsamen Kundgebung an verschiedenen Orten Leipzigs versammeln, um gegen die Raumnahme von Verschwörungstheorien, rechte „Querdenker“ und Impfgegner zu demonstrieren. Mit dabei unter den Aufrufenden sind „Leipzig nimmt Platz“ und die Stiftung „Friedliche Revolution“, die zuletzt mit einer neuen „Leipziger Erklärung“ an die Öffentlichkeit traten. Die LZ sprach am 9. Januar 2022 mit Vertreter/-innen der aufrufenden Initiativen über Mehrheiten in Coronazeiten, Debattenkultur und das Ende der Geduld.
Das Gespräch vom 9. Januar 2022, 18 Uhr im Video
Im Video-Call mit Gisela Kallenbach, Irena Rudolph-Kokot, Gesine Oltmanns und Henry Lewkowitz. Moderation & Pressevertreter: Robert Dobschütz (Herausgeber LZ). Video: LZ
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Geduld ist so eine Sache. Eigentlich eine positive Eigenschaft, da sie oft mit Beharrungsvermögen und Gründlichkeit korrespondiert. Doch sie endet, wenn sie als Schwäche gedeutet wird, als ein Ausdruck von Desinteresse womöglich oder gar Zustimmung zu etwas, dem man gar nicht beipflichten will. So wohl die Gedanken, bevor es zu den ersten Aufrufen kam, im Angesicht der vergangenen Wochen voller rechter bis bürgerlicher Demos in sächsischen Kleinstädten, aber auch in Leipzig.Zwar fanden sich hier selbst in der neuen „Spitze“ bislang nur knapp 200 Menschen, die gegen die derzeit diskutierte Impfpflicht gegen die geltenden Auflagen (nur stationäre Kundgebungen bis 10 Personen) demonstrierten, doch es wurde natürlich medial betrachtet – vielleicht auch schon wieder zu viel, wie gleich zum Beginn der Debattenrunde (Video) die ehemalige EU-Abgeordnete der Grünen und Bürgerrechtlerin Gisela Kallenbach feststellt.
Und noch einmal klarstellt, ihr ginge es vor allem in der aktuellen „Leipziger Erklärung“ bereits in der Überschrift: „Ihr seid nicht ‚das Volk’“ darum klarzustellen, dass nicht eine Gruppe von sich behaupten könne „das Volk“ zu sein.
Doch der Anlauf der „Bewegung“, welche das andere ausschließende „Volk“-Bild vor sich herträgt ist länger, reicht bis an die ersten Tage der Corona-Pandemie 2020 zurück und richtete sich letztlich gegen alle bisherigen Corona-Schutzmaßnahmen. Ganz gleich, ob es sich um Mundnasenschutzmasken, Abstand halten oder COVID19-Testpflichten handelte – stets hatte die „Querdenker“-Bewegung etwas dagegen, setzte auf Destruktion statt Konstruktivität.
Mal mehr, mal weniger öffentlich radikalisierten sich dabei auch Menschen, leben bis heute im tiefsten Misstrauen gegenüber jedem staatlichen Handeln, rufen „Corona-Diktatur“ und nehmen hier und da auch Anleihen bei der 1989er Revolution, um „das System zu stürzen“.
Mittlerweile klar dirigiert von der rechtsextremen Partei „Freie Sachsen“, deren Vorsitzender Martin Kohlmann erst kurz vor Weihnachten einen letztlich entlarvenden Videobeitrag publizierte. In diesem stellte er 2021 dem amtierenden Ministerpräsidenten Sachsens, Michael Kretschmer, ein Ultimatum, bei dessen Einhaltung er einen „Weihnachtsfrieden“ bei den Demos in Sachsen anbot.
Bliebe also die Frage, warum sich auch nicht rechtsextrem eingestellte Menschen diesen Protesten anschließen.
Was die zweite Gesprächsteilnehmerin des Abends, Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns (Vorstand Stiftung „Friedliche Revolution“), auch einen Blick in die fehlende Aufarbeitung der DDR, der Wendezeit bis heute werfen lässt. Und die fehlende Diskussion darüber, was eine Diktatur, einen Unrechtsstaat oder eine autoritäre Gesellschaft ausmachen. Und welche Wirkungen diese Art der Debattenführung aktuell bis in Familien hinein haben.
Für Henry Lewkowitz, Geschäftsführender 2. Vorsitzender des „Erich-Zeigner-Haus e. V.“ nicht neu, manche Wurzeln der Parolen auf den heutigen Demonstrationen erinnern an Zeiten vor 1945, sind selbst eher autoritär geprägt. Auch er mahnt deutlich mehr politische Bildungsarbeit an und erzählt von einem „Hausbesuch der Coronaleugner“ am Zeigner-Haus. Das „Eliten“-Bashing und vor allem das leichtfertige Nachplappern von Parolen und Begriffen wie „Genozid“ und „Holocaust“ ist für Lewkowitz eines der Probleme aktuell.
Und so manches erinnert an frühere Zeiten, in der Ablehnung von Erkenntnissen von Wissenschaftler/-innen, Expert/-innen und den parlamentarisch getroffenen Entscheidungen über Corona-Schutzmaßnahmen.
Irena Rudolph-Kokot von „Leipzig nimmt Platz“ hat zum Endergebnis der Radikalisierung dann auch eine Geschichte aus Zwönitz parat. Wie in den 90er Jahren geht es einigen längst nicht mehr um Demonstrationen oder eine gesellschaftliche Debatte, wenn sie und ein SPD-Bundestagsabgeordneter in Zwönitz vor einem rechten Mob regelrecht fliehen und den Ort verlassen mussten. Bilder der „national befreiten Zonen“ der ersten Jahre nach 1989 werden so in manchen sächsischen Gemeinden heute wieder präsent.
Aber die Debatte reicht tiefer: hautnah erlebt Rudolph-Kokot auch gerade im persönlichen Arbeitsumfeld mit, was die Impfpflicht für erste Berufsgruppen auslöst.
Das und noch viel mehr, wie beispielsweise eine Debatte über die Impfpflicht für alle, Mehrheiten im Land bei einer Impfquote von über 71 Prozent und den Umgang von Demokraten mit antidemokratischen Umsturzphantasien finden sich im Videomitschnitt des Gesprächs.
Das Ende der Diskussion bestreiten vier Aufrufe, sich am Montag ab 17:30 Uhr in Leipzig zu versammeln, um ein Signal vor allem gegen die zunehmende Unterwanderung von rechtsradikalen Gedanken in einem Teil der Gesellschaft zu setzen. Treffpunkte sind dann der Marktplatz, die Nikolaikirche, der Thomaskirchhof, das Neue Rathaus und der Augustusplatz, auf welchen coronaschutzkonforme Versammlungen angemeldet wurden.
Ganz gleich, ob die „Bewegung“ der „Querdenker“, Neonazis und Verschwörungsfreunde nun am 10. Januar 2022 in Leipzig demonstrieren möchten oder nicht.
Denn ein Versuch der „Bewegung“, dem Gegenprotest mit einem vorgezogenen „Spaziergang“ am heutigen Sonntagabend lieber auszuweichen, ging jedenfalls gründlich schief. Nicht einmal 20 Personen folgten dem Aufruf zum umverlegten „Spaziergang“ und wurden unter den Augen von Gegendemonstranten von der sonst eher sehr zurückhaltenden Polizei gestoppt (Artikel folgt).
Und wie es sich für Fans von Fake-Erzählungen gehört, ging bereits in den letzten Stunden herum, man habe Angst, dass sich linksradikale Provokateure in die eigene, unangemeldete Demonstration mischen, um die „Querdenker“ in einem schlechten Licht darzustellen. Wer sich dabei an die Lüge vom 7. November 2020 erinnert fühlt, könnte richtig liegen.
Auch da kursierte im Nachgang entgegen identifizierter, bekannter Neonazis in den Reihen und an der Spitze des „Querdenken“-Zuges vor Ort die Erzählung, es seien linke Provokateure gewesen.
Vielleicht ist ja auch ein Fazit des Gespräches vom heutigen Abend richtig, dass es manche Menschen gibt, die für rationale Erklärungen nicht mehr erreichbar sind.
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