Vor 30 Jahren, am 21. Februar 1991, trafen sich im damaligen Gasthaus Goldene Krone in Connewitz einige engagierte Bürgerinnen und Bürger, „getragen vom gemeinsamen Anliegen, dass die zukünftige Entwicklung Leipzigs nur aus einer der Stadt eigenen, über Jahrhunderte gewachsenen Identität heraus erfolgen kann“. Mit einem zuvor verfassten Appell „Pro Leipzig“ wandten sie sich an die Öffentlichkeit und brachten mit dieser Initiative den später gegründeten Verein und seine vielfältigen Aktivitäten auf das Gleis.

In seinen Kernaussagen war der Appell ein Plädoyer für eine behutsame Stadterneuerung unter Beibehaltung bzw. Weiterentwicklung der Ortstypik, für ein Gesamtkonzept zur Stadtentwicklung und für die Einbeziehung der Bürgerschaft dabei.

Pro Leipzig ist in den letzten 30 Jahren diesen Forderungen treu geblieben. Sie werden umgesetzt u. a. in einer umfassenden Stadt- und Regionalforschung, in der Hinwendung zu kleinteiligen Strukturen wie Stadtteilen, in der Förderung der Erlebbarkeit von Stadt und Region und in der permanenten Einforderung von transparenter, ergebnisoffener Bürgerbeteiligung.

Das Bewusstmachen, Dokumentieren und Publizieren von Werten der Stadt und Region ist aus Sicht von Pro Leipzig ein unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit nicht nur von Fachleuten. Dieses Streben ist generell eine wichtige Voraussetzung für die Identifikation der Menschen mit ihrem Wohn- und Lebensumfeld. Identifikation ist wiederum ausschlaggebend für das aktive Mitgestalten am Gemeinwesen.

Wenn Bürgerbeteiligung lästig wird

Verglichen mit den 1990er Jahren, als sich Stadt und Region noch im Aufbruch befanden, hat Bürgerbeteiligung nach Erfahrung des Vereins jedoch an Qualität verloren. Verwaltungen und Parlamente sind mittlerweile kaum noch Suchende, sondern in erster Linie Souveräne, die die Mitwirkung Dritter eher als lästig empfinden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Beteiligungsverfahren aufwendiger denn je ausstaffiert werden. Immer mehr engagierte Bürgerinnen und Bürger wenden sich dennoch enttäuscht ab.

Das Beteiligungsverfahren zur Öffnung des Pleißemühlgrabens im Bereich Hauptfeuerwache hat deutlich gezeigt, dass weder fachlich fundierte Argumente noch städtebaulich nachhaltige Lösungen und auch nicht ein eindeutiges Bürgervotum eine von vornherein festgelegte Position der Stadtverwaltung umstoßen können. Bürgerschaftliches Engagement wurde ausgebremst und Fachkompetenz in den Wind geschlagen, entgegen aller glatten Verlautbarungen! Zufall? Wohl eher Kalkül.

Eine knappe Mehrheit des Stadtrates – teils kritiklos, teils amtshörig – hatte diese Position dann auch noch legitimiert. Der verdienstvolle Verein Neue Ufer löste sich daraufhin auf – ein Schicksal, das auch ein unabhängiger Verein wie Pro Leipzig stets vor Augen hat. Doch ans Aufgeben denkt Pro Leipzig nicht. Zum einen sieht er sich nicht allein als kritischen Begleiter der Stadt- und Regionalentwicklung, sondern in erster Linie dafür verantwortlich, dass Kritik auch fundiert angebracht werden kann.

Andererseits spürt der Verein nach wie vor die Unterstützung vieler Gleichgesinnter, engagierter Bürgerinnen und Bürger, vieler regionaler Unternehmen und Geschäfte, Vereine und Initiativen für seine Ziele. Nicht zuletzt gibt es Ideen für neue Publikationen, die beitragen können, ein größeres Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit und Stärkung der Identität zu entfalten.

Stadtteillexika, Wanderführer, Stadtlexikon

Nach 30 Jahren Vereinsarbeit ließe sich eine umfassende Chronik füllen, doch für diese Arbeit fehlt bisher die Zeit. Inhalte wären etwa die Geschichten von über 350 erarbeiteten und herausgegebenen Publikationen zu Themen der Stadt und ihres Umlandes, darunter das Stadtlexikon Leipzig von A bis Z, Stadtteillexika, Stadtteilstudien, Führer für Wanderer, Radler, Paddler und sonstige Ausflügler in Leipzig und ins Umland, Bildbände und vieles mehr.

Vorstellung des Pro-Leipzig-Führers "Aktiv durch Leipzig" mit WAldemar Cierpinski. Foto: Pro Leipzig
Vorstellung des Pro-Leipzig-Führers „Aktiv durch Leipzig“ mit Waldemar Cierpinski. Foto: Pro Leipzig

Vor allem über diese Publikationen und Ausstellungen wie „Bürger gestalten ihre Stadt“ oder das „Industrie- und Umweltgeschichtliche Informationszentrum Mölbis“ wurde und wird die Vereinsarbeit in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Der Verein forscht und dokumentiert aber auch auf anderen Ebenen, so etwa zu denkmalpflegerischen Zielstellungen für stadtbildprägende Bauten (u. a. Zentralstadion), leistet Provenienzforschung zu Kleindenkmalen, erarbeitet Studien und Fotodokumentationen zu den Leipziger Stadtteilen und stößt gern auch nachhaltige Entwicklungen an wie den Elster-Saale-Radweg oder die Wasserwanderkarte für Leipzig und Umgebung (2021 6. Auflage!).

Wie bereits angedeutet: Nicht immer vom Erfolg gekrönt sind wiederum aufreibende Proteste gegen Abrisse (u. a. Kleine Funkenburg) und das zähe Ringen um nachhaltige Lösungen in der Stadtentwicklung, wofür der Wilhelm-Leuschner-Platz als aktuelles Beispiel steht. Seit fast drei Jahrzehnten ist Pro Leipzig auch Anlaufpunkt für interessierte Bürgerinnen und Bürger.

Im Herbst 1993 bezog der Verein sein erstes eigenes Büro mit Galerie im Souterrain der Waldstraße 65. Zwischen 2000 und Februar 2020 hatte er seinen Sitz in der Waldstraße 19 und seit März 2020 im Haus der Demokratie, Bernhard-Göring-Straße 152. Neben dem Büro befindet sich hier auch die Büchergalerie Pro Leipzig mit allen lieferbaren Titeln – z. Z. ca. 250 – des Vereins (geöffnet: Di 10–14 Uhr und Do 13–17 Uhr).

Die Arbeit im Verein erfolgt ehrenamtlich bzw. wird im Falle der Publikations- und Verlagstätigkeit von engagierten Honorarkräften getragen. Da der Verein keine institutionelle Förderung erhält, muss er sich ausschließlich über den Verkauf der Publikationen und über Spenden finanzieren. Unterstützung, gute Ideen und neue Mitstreiter und Mitstreiterinnen sind stets willkommen.

Bei allen Aktivitäten prägen den Verein bis heute vor allem die Erlebnisse und Ereignisse der ersten Jahre. Dazu folgende Aspekte und Geschichten.

Wie alles begann

Die Geschichte von Pro Leipzig begann nicht erst am 21. Februar 1991. Sie begann schon einige Jahre vorher und hatte ihren Nährboden in der katastrophalen Situation Leipzigs und ihres Umlandes am Ende der DDR. Diese war geprägt vom Verfall der gründerzeitlichen Bausubstanz, von Abrissen und das Stadtbild zerstörenden Plattenbauten, von den die Stadt umklammernden Tagebauen und einer hochgradig belasteten und zerstörten Umwelt.

Für die Findung und Positionierung späterer Pro-Leipzig-Akteure waren dabei vor allem der Ideenwettbewerb für das Leipziger Stadtzentrum von 1988 und das im Juli 1989 gegründete Kulturprojekt Waldstraßenviertel maßgeblich.

Die Friedliche Revolution im Herbst 1989 stellte auch die zentralistische Baupolitik der DDR infrage. Sie fand in der folgenden Zeit der Runden Tische langsam ihr Ende. Eine Kehrtwende auf diesem Weg bedeutete die 1. Volksbaukonferenz am 6. und 7. Januar 1990 auf der agra in Markkleeberg. Initiator war eine „Initiative zur Rettung Leipzigs“. Spätere Pro Leipziger wie die Architektin Angela Wandelt, die Architekten Bernd Sikora und Stefan Riedel, der Kunstkritiker und Publizist Dr. Peter Guth (2004 gestorben), der Künstler Heinz-Jürgen Böhme und der Kunsthistoriker Prof. Dr. Thomas Topfstedt wirkten bei den genannten Foren mit.

Der Schwung der 1. Volksbaukonferenz und der kurz danach angeordnete Stopp des Flächenabrisses u. a. in Connewitz bzw. der Baustopp für die begonnenen Plattenbauten im Stadtzentrum auf dem Areal nördlich der Alten Nikolaischule läuteten eine neue Zeit in der Baupolitik der Stadt ein. Den Anstoß für den Plattenbau-Stopp an der Alten Nikolaischule lieferte eine Live-Sendung im Radiosender Leipzig, bei der Peter Guth, Bernd Sikora und Thomas Topfstedt das Anliegen der Volksbaukonferenz vorstellten und von SED- und Baukombinatsfunktionären bei Anrufen als Konterrevolutionäre beschimpft wurden.

Protest 1992 gegen Tangentenviereck und Mittleren Ring mit Bernd Sikora. Foto: Pro Leipzig
Protest 1992 gegen Tangentenviereck und Mittleren Ring mit Bernd Sikora. Foto: Pro Leipzig

Als im Sommer 1990 Westberliner Architekten, die bereits an der 1. Volksbaukonferenz teilgenommen hatten, in der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst eine Ausstellung zu den Ergebnissen der gerade abgeschlossenen Internationalen Bauausstellung (IBA) im Bereich von Altbaugebieten zeigten, wurde diese im Lichthof der Hochschule von einer gut besuchten Exposition Leipziger Künstler und Architekten bzw. Architektinnen (Böhme, Sikora, Riedel, Lieffertz, Wandelt, Ilg, Friebe …) begleitet. Sie versuchten, zum Thema der IBA lokale Problemstellungen und Lösungen zu formulieren.

Auf dieser Grundlage entstand die wesentlich breiter aufgestellte Ausstellung „Pro Leipzig. Ansätze zur behutsamen Stadterneuerung“. Sie fand vom 8. bis 22. November 1990 im Messehaus am Markt statt und wurde vom Bund Deutscher Architekten (BDA), vom Stadtplanungsamt, von Angela Wandelt (Initiative Leipziger Architekten), Heinz-Jürgen Böhme und dem Künstler Detlef Lieffertz konzipiert. Auch sie war lediglich als lokale Begleitausstellung zu einer 800.000 DM teuren, von mehreren Bundesministerien getragenen westdeutschen Ausstellung „Ideen – Orte – Entwürfe. Architektur und Stadtbebau in der Bundesrepublik Deutschland“ gedacht.

Peter Guth schrieb dazu im Leipziger Tageblatt vom 20./21.11.1990: „Gegenüber der durchgestylten westdeutschen Schau bot ‚Pro Leipzig’ vielleicht gerade wegen mancher nötigen Improvisation weit mehr Lebendigkeit. Die Macher haben gegen alles offizielle Desinteresse den Geist der Volksbaukonferenz weitergetragen und den Grundstein für ein neues Stadtverständnis gelegt. […] Die Schöpfer von ‚Pro Leipzig’ haben hier Pflichten übernommen, die eigentlich die Stadt hätte tragen müssen. Dafür verdienen sie alle Respekt.“

Der Kunsthistoriker und Publizist Dr. Arnold Bartetzky schätzte den Stellenwert der Ausstellung „Pro Leipzig“ in seinem 2015 erschienenen Buch „Die gerettete Stadt. Architektur und Stadtentwicklung in Leipzig seit 1989“ ähnlich ein: „Die Ausstellung steht beispielhaft für das hohe Maß an bürgerschaftlichem Engagement für Stadtentwicklung – und zugleich für die damals stark ausgeprägte Bereitschaft der Stadtverwaltung, sich gemeinsam mit Architekten und fachkundigen Bürgern der Stadt auf eine weitgehend ergebnisoffene Lösungssuche zu begeben. Einige Beteiligte erinnern sich bis heute nicht ohne Wehmut an diesen Geist unkomplizierter Zusammenarbeit […]. Später war das Verhältnis zwischen Verwaltung, den in der Stadt tätigen Architekten und architekturinteressierter Bürgerschaft wohl nie wieder so eng.“

Insgesamt erfuhr die Ausstellung eine überwältigende Rezeption durch die Leipziger Öffentlichkeit und konnte deutlich mehr Zuschauer verbuchen als die Hauptausstellung der Bundesministerien. Parallel zur Ausstellung lief die Aktion „Pleiße ans Licht“, bei der 3,5 Kilometer des in der Stadt verrohrten Pleißemühlgrabens markiert wurden und zu dessen Öffnung aufgerufen wurde.

Im Herbst 1990 wurde deutlich, dass die hinter der Ausstellung stehenden Ideen einer behutsamen Stadt- und Umlanderneuerung von einem breiteren Aktionsbündnis getragen werden mussten. Hintergrund war auch das zunehmende Interesse von Investoren aus Westdeutschland. Dieses wurde zwar grundsätzlich begrüßt, mit Blick auf den Erhalt von Identität und typischer „Stadtkultur“ aber auch skeptisch hinterfragt.

Als sich der am 1. Juli 1990 gewählte neue Dezernent für Stadtentwicklung und Raumplanung Niels Gormsen im November 1990 erstmals öffentlich und umfassend zur Zukunft Leipzigs äußerte, kam es zwischen ihm und Bernd Sikora zu einem Disput zum Thema Stadtkultur. Gormsen – der sich in den folgenden schwierigen Übergangsjahren zweifelsfrei hohe Verdienste um den Wiederaufbau der Stadt erwarb – antwortete damals ungeschickt: „Ihr Kino werden Sie auch noch bekommen, Herr Sikora.“

Die Äußerung löste Entsetzen bei einem Teil der Zuhörer aus. Nach der Veranstaltung ging Stadtrat Wolf-Dietrich Rost auf Sikora zu und regte an, einen größeren Personenkreis zusammenzuführen, der sich in der Öffentlichkeit stärker für den Erhalt und die Förderung einer unverwechselbaren Stadtkultur einsetzen sollte. Neben den bisher aktiven Künstlern und Architekten sollten vor allem Abgeordnete, Experten in den Ämtern und namhafte Kulturschaffende angesprochen werden.

Gudrun Neumann bereitete in den folgenden Wochen zusammen mit Wolf-Dietrich Rost und Bernd Sikora für den 21. Februar 1991 das besagte Treffen mit Pressekonferenz im Gasthaus Goldene Krone in Connewitz vor. Grundlage war der zuvor von Bernd Sikora, Gudrun Neumann und Peter Guth verfasste Appell „Pro Leipzig“.

Die Erstunterzeichner des Appells waren neben den Genannten Heinz-Jürgen Böhme und Detlef Lieffertz, die Kabarettisten Bernd-Lutz Lange und Gunter Böhnke, der Landtagsabgeordnete Friedbert Groß, die Stadträte Dr. Joachim Fischer und Wolf-Dietrich Rost, Angela Wandelt, der Leiter des Tiefbauamtes Hans-Georg Krämer und engagierte Bürger wie Wieland Zumpe (Vorsitzender des Wissenschaftszentrums Leipzig e. V.) und Dr. Matthias Brech.

In den folgenden Tagen unterzeichneten den Appell noch der Schriftsteller Erich Loest (2013 verstorben), die Publizistin Ulla Heise, die Fotografin Gudrun Vogel, der Architekt Stefan Riedel und der Stadtplaner Klaus Schurig. Eine breite Öffentlichkeit fand der Appell über die LVZ (28.2.) und über die Zeitung „Wir in Leipzig“ (1.3.).

Der Großteil der Unterzeichner des Appells hatte zunächst nicht die Absicht, der öffentlichen Positionierung die Gründung einer Initiative oder gar eines Vereins folgen zu lassen. Insbesondere Gudrun Neumann, Wolf-Dietrich Rost und Wieland Zumpe favorisierten jedoch den Zusammenhalt der Unterzeichner in einer Initiative „Bürgerforum Pro Leipzig“. Es sollte sich zuerst für die Bildung von Stadtteilbüros engagieren. Die Arbeitsfähigkeit der Büros sollte über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen unterstützt werden.

Als Beispiel galt der Bürgerverein Waldstraßenviertel, der bereits am 26. März 1991 erste Arbeitsplätze einrichten konnte. Organisatorische Unterstützung erfuhr das Vorhaben durch das von Wieland Zumpe gegründete Wissenschaftszentrum Leipzig.

Die Rettung der alten Gründerzeitstadt

Das damalige Amt für Stadtsanierung und Wohnungsbauförderung (ASW) mit Karsten Gerkens an der Spitze – welches bis Ende der 1990er Jahre maßgeblich die Rettung der Leipziger Gründerzeitviertel organisierte – hatte bereits Ende 1990 mit vorbereitenden Untersuchungen in 16 bestätigten Gebieten begonnen, um dort eine umfangreiche, mit öffentlichen Geldern zu fördernde Sanierung einzuleiten.

Das Amt unterstützte die Einrichtung von Stadtteilbüros auch zur Bündelung von Informationen vor Ort. Insbesondere der hinter dem ASW stehende Baudezernent Dr. Rudolf Ahnert (2015 verstorben) erwies sich in dieser Zeit und in seiner gesamten Amtszeit als steter Förderer der Idee „Pro Leipzig“.

Ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von SPD und DSU vom 22. März 1991 – eine Initiative der Appell-Unterzeichner Dr. Joachim Fischer und Wolf-Dietrich Rost – zur Einrichtung von Stadtteilbüros wurde von den Fachausschüssen und schließlich auch vom Stadtrat ausdrücklich befürwortet. Der Beschluss schuf die Grundlage für die finanzielle Unterstützung etlicher Stadtteilinitiativen Anfang der 1990er Jahre.  In Folge konnte 1991/92 in Leipzig ein nahezu flächendeckendes Netz von über 30 stadtteilbezogenen Bürgerinitiativen bzw. -vereinen zur Unterstützung der Sanierungsprozesse in den Stadtteilen entstehen.

Ab 1. Mai 1991 begann das Wissenschaftszentrum Leipzig mit der Einrichtung erster Stellen für ein Koordinierungsbüro Pro Leipzig. Am 1. September 1991 folgte die Einrichtung weiterer Stellen zur wissenschaftlichen Stadtforschung und Erarbeitung von Stadtteilpublikation, zur Erfassung historischer Bilddokumente, zur Sammlung Leipziger Biografien und schließlich am 1. November 1991 mit der Anstellung von zwei Fotografen und eines Kamerateams zur Stadtbilddokumentation.

Parallel zum Aufbau einer Arbeitsstruktur erfolgte ab Sommer 1991 die Einrichtung eines ersten Büros von Pro Leipzig gemeinsam mit dem Bürgerverein Musikviertel im Souterrain der Beethovenstraße 8. Unter maßgeblichem Engagement von Gudrun Neumann, die sich bei verschiedenen Verantwortlichen der Stadt Leipzig und der LWB auch um die erforderlichen finanziellen Mittel bemühte, konnte das Büro bis Dezember 1991 ausgebaut, ausgestattet und bezogen werden.

Die Unterzeichner des Appells „Pro Leipzig“ forderten ab August 1991 verstärkt Öffentlichkeit und Bürgerbeteiligung zu aktuellen Themen der Stadtentwicklung ein. Erste größere Auseinandersetzungen dieser Art galten dem geplanten Ausbau der heutigen Prager Straße und der Verlegung der Messe nach Mockau.

Höhepunkt einer Reihe größerer Ausstellungen war dann die vom Verein für ökologisches Bauen und der Initiative Pro Leipzig veranstaltete Exposition BÜRGER GESTALTEN IHRE STADT vom 6. bis 22. November 1992 im Grassimuseum Leipzig. Die Ausstellungen wurden von mehreren zehntausend interessierten Leipzigern und ihren Gästen besucht.

Die ersten Reihen

Noch 1991 begannen bei Pro Leipzig umfassende Fotodokumentationen von den Umgestaltungen im Stadtzentrum und entlang der heutigen Prager Straße. 1992 setzte die Erarbeitung von Stadtteilvideos ein. Sie hatten die spezifischen Problemlagen und den beginnenden Erneuerungsprozess in den Stadtteilen im Fokus. Gleichzeitig begann mit der Reihe WALDSTRASSENVIERTEL (erschienen sind die Hefte 1–18) die Erarbeitung von Stadtteilpublikationen – gleichermaßen als Informationsquelle und Podium für den Erneuerungsprozess gedacht.

Es folgten ab Anfang 1993 die Reihe LEBEN IN LINDENAU (Hefte 1–3) und die Buchfolge zu einzelnen Kulturlandschaften, beginnend mit dem Buch „Das Bornaer Pleißeland“. Der Verlag der Publikationen erfolgte anfangs im Passage Verlag von Thomas Liebscher, ab Ende der 1990er Jahre aber zunehmend im Selbstverlag des Vereins. Ebenfalls 1993 begann mit dem Heft „Johannisplatz“ die Erarbeitung der HISTORISCHEN UND STÄDTEBAULICHEN STUDIEN in Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt. In dieser Reihe, die deutschlandweit bis heute eines der umfassendsten Vorhaben der Stadtforschung darstellt, wurden 71 Stadtteilstudien erarbeitet (alle erhältlich bei Pro Leipzig).

Thomas Nabert mit einem Titel von Pro Leipzig: "Zeugen des Schreckens" über die Leiden der Menschen zur Völkerschlacht. Foto: Marko Hofmann
Thomas Nabert mit einem Titel von Pro Leipzig: „Zeugen des Schreckens“ über die Leiden der Menschen zur Völkerschlacht. Foto: Marko Hofmann

Unterstützt vom Großteil der Pro-Leipzig-Initiatoren qualifizierten sich die Beschäftigten der Initiative als Forschungs-, Dokumentations- und Dienstleistungsstruktur. Zwangsläufig setzte sich die Erkenntnis durch, die Anliegen von Pro Leipzig in einer selbstständigen und gemeinnützig arbeitenden Organisationsform zu manifestieren. Zudem bot der Freistaat Sachsen Pro Leipzig die Möglichkeit einer befristeten Förderung. Deren Ziel war die Herausbildung einer wirtschaftlich selbstständig arbeitenden Beschäftigtenstruktur, die dann nach 1995 tatsächlich auch erreicht werden konnte.

Unterstützung fanden diese Bemühungen u. a. durch den damaligen Regierungspräsidenten Walter Christian Steinbach und den ersten sächsischen Umweltminister Dr. Karl Weise aus Pegau. Steinbach und Weise hatten 1980 das Christliche Umweltseminar Rötha mitbegründet, welches u. a. ab 1983 mit Umweltgottesdiensten und der DDR-weiten Spenden- und Unterschriftenaktion „Eine Mark für Espenhain“ für Aufsehen gesorgt hatte.

Aus der Initiative wird ein Verein

Am 25. Februar 1993 – zwei Jahre nach Entstehen der Initiative – kam es zur Gründung des Pro Leipzig e. V. Am 15. März 1993 erhielt der Verein die Gemeinnützigkeit zuerkannt. Zur Verwirklichung der gemeinnützigen Satzungsziele (Förderung der Denkmalpflege, des Naturschutzes, der Landschaftspflege, wissenschaftlicher Anliegen und der Heimatkunde) wurde von Anfang an die Publikation der Arbeitsergebnisse in der Vereinssatzung festgeschrieben. Die Gründungsmitglieder des Vereins bestanden einerseits aus der großen Mehrheit der Initiatoren von 1991, neuen Sympathisanten und einzelnen Mitarbeitern von Pro Leipzig.

Der erste Vorstand setzte sich zusammen aus Heinz-Jürgen Böhme, Detlef Lieffertz, Wolf-Dietrich Rost (sie blieben bis Ende 2013 in dieser Funktion), Klaus Hartig und Bernd Sikora. In den letzten Jahren führten vor allem Dr. Katharina Junghans, Dr. Ulrich Baumgärtel, Martin Malangeri und Michael Liebmann die Vorstandsarbeit fort. Verantwortlich für die laufenden Geschäfte und die Publikationstätigkeit ist seit 1993 Dr. Thomas Nabert, der schon seit September 1991 bei Pro Leipzig mitarbeitet.

Mit der Vereinsgründung und der Förderung durch den Freistaat Sachsen ging die erwähnte Arbeitsstruktur vom Wissenschaftszentrum Leipzig e. V. ab 1. September 1993 auf den Pro Leipzig e. V. über und wurde in den folgenden Jahren ausgebaut. Seit 2008 arbeitet Pro Leipzig vor allem als Konglomerat von Freiberuflern.

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Selten habe ich eine so spannende Vereinschronik gelesen! Sie spiegelt wunderbar das große Engagement der Stadtgesellschaft in den 1990er Jahren wider, das so im gebrauchten Westen nur sehr wenig vorkommen würde, zumindestens nicht in den Großstädten.

Der Slogan “Leipzig kommt!” war wirklich prägend gewesen.

Aber, ach, seit der Ausscheiden aus der Olympiabewerbung (2004) und spätestens nach der Fußball-WM (2006) etzte der Abstieg ein. Bereits Ende der 1990er Jahre wurden wieder Gründerzeithäuser abgerissen, Man war noch stolz darauf, die Hinterlassenschaften eines vermeintlichen Großbürgertums damit beseitigt zu haben.

In Erinnerung bleibt der “Märchenhaus” in der Ebertstraße (Nähe heutiger Stadthafen), der unbedingt abgerissen werden musste, damit die internationalen Fußballfans auf dem Weg zum Stadion nicht von herabfallenden Steinen behelligt werden. Dieses Märchenhaus hat sogar einen eigenen langen Wikipedia-Eintrag (Suchwort: Märchenhaus.)

Und heute so? Die Stadtgesellschaft gibt es so nicht mehr. Hier die studentisch geprägten “jungen Leute”, die gegen Legida massenhaft demonstriert haben. Da die beleidigten Übriggebliebenen. Die herangewachsene Wendegeneration (Jahrgänge 1980 und später) ohne lokales Interessse – außer, wenn es um Parkplätze geht.

Ich hoffe jetzt darauf, dass die – auch so eine Sache – leicht verlachten “Zugezogenen” (natürlich: aus dem “Westen”) wieder den Sinn für die Schönheiten dieser Stadt wecken, auch bei den Urleipzigern.

Leipzig (und Dresden sowieso) gibt es so nicht noch einmal in Deutschland.

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