Nicht nur für die Beltretter fühlte sich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig am Dienstag, 3. November, wie eine Niederlage an. Denn eigentlich hatten sie genug plausible Gründe vorgetragen, das Tunnelprojekt unter dem Fehmarnbelt zu beenden. Aber das Urteil machte deutlich, mit welchen Kniffen auch der Gesetzgeber sich Umweltschutz und Kostenrechnung so zurechtbastelt, dass am Ende dennoch die Milliarden im Meer versenkt werden. Protest gab es trotzdem.

Zur Verkündung des Fehmarnbelttunnel-Urteils in Leipzig hatten die Tunnelgegner eigentlich eine Demo geplant. Wegen steigender Infektionszahlen und geltender Beschränkungen fand sie nicht statt. Das ließ die Beltretter – eine Sammelbewegung aus fast 100 Bürgerinitiativen, Organisationen und Unternehmen gegen den drohenden Bau des längsten Absenktunnels der Welt – erneut kreativ werden. Ein großer Aufsteller verkündete direkt vor dem Bundesverwaltungsgericht: „Ohne Corona wär’ hier jetzt ’ne Demo!“

„Egal, wie das Urteil heute lautet: Unser Kampf gegen diesen gigantischen wie zerstörerischen und vollkommen aus der Zeit gefallenen Bau des längsten Absenktunnels der Welt geht weiter. Die prognostizierte Tunnelnutzung von lediglich ein paar tausend Fahrzeugen täglich rechtfertigt nicht die Zerstörung weiter Teile der Ostsee und vor allem besonders artenreicher Riffe sowie die immensen Schäden an Region und Umwelt insgesamt“, sagte Karin Neumann, Sprecherin der Beltretter, noch kurz vor Verkündung des Urteils.

Das freilich vermeldete dann zur Mittagszeit: „Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute die bei ihm anhängigen Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss für den deutschen Vorhabenabschnitt der Festen Fehmarnbeltquerung von Puttgarden nach Rødby abgewiesen.“

Seit dem 22. September 2020 sind die Klagen, unter anderem von Umweltorganisationen und Fährunternehmen, gegen den Planfeststellungsbeschluss zum Bau des Ostsee-Tunnels beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt worden.

Die Tunnelkritiker schauen dabei insbesondere in Richtung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg, wo im Laufe der kommenden Monate die dänischen Staatsbeihilfen, die dem Tunnelbetreiber Femern A/S 2018 durch das EuGH zugesprochen wurden, noch einmal auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Im Rahmen des ersten Verfahrens dazu wurden die Beihilfen als nicht rechtmäßig beurteilt. Das Urteil in diesem neuen Verfahren könnte die gesamte Finanzierung des Projekts infrage stellen und ihm damit endgültig die Grundlage entziehen.

Seit mehr als 25 Jahren gibt es starken Widerstand gegen das Projekt der festen Fehmarnbeltquerung. In dieser Zeit ist aus einer geplanten Brücke ein Absenktunnel geworden, sind die Verkehrsprognosen immer wieder dramatisch nach unten korrigiert worden, sind immer wieder erhebliche Planungsmängel wie das „Übersehen“ großflächiger Riffe offenbar geworden und sind die Kosten explodiert.

Die Beltretter fordern die Politik daher bereits seit Jahren auf, sich endlich auf Artikel 22 des deutsch-dänischen Staatsvertrages zur Fehmarnbeltquerung zu besinnen und das gigantische Projekt als Ganzes zu überprüfen. In Artikel 22 heißt es: „Sollten die Voraussetzungen für das Projekt oder Teile des Projekts sich deutlich anders entwickeln als angenommen und anders, als es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags bekannt ist, werden die Vertragsstaaten die Lage aufs Neue erörtern. Dies gilt unter anderem für wesentliche Kostensteigerungen im Zusammenhang mit dem Projekt.“

„Dem Vorhaben fehlt es nicht an der Planrechtfertigung“, stellte das Gericht fest. Musste aber auch zugeben, dass die prognostizierten Verkehrszahlen wohl ein solches Projekt nicht wirklich finanziell tragen werden: „Zwar bleibt auch dann das erwartete Kraftfahrzeugaufkommen deutlich unterhalb der durchschnittlichen Auslastung deutscher Autobahnen. Davon mussten die Vertragsstaaten aber den Bedarf für eine Anbindung der wesentlich dünner besiedelten und an der Peripherie Europas gelegenen skandinavischen Staaten an das kontinentaleuropäische Verkehrsnetz nicht abhängig machen.“

Ob der Tunnel sich dann überhaupt rechnet, interessierte das Gericht dabei nicht: „Rechtswidrig ist die Planung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Finanzierbarkeit des Projekts. Die Finanzierung ist grundsätzlich weder Gegenstand der Planfeststellung noch ihrer gerichtlichen Überprüfung. Die zugunsten der Betreibergesellschaft vorgesehenen dänischen Staatsbeihilfen sind jedenfalls nicht evident europarechtswidrig.“

Aber hätten nicht alle Befunde zum Umweltschutz ein Ende der Planungen bedeuten müssen?

An dieser Stelle zeigte sich, dass die geltende Gesetzgebung nicht einmal auf der Höhe der Zeit ist. Und nach der muss sich auch das Bundesverwaltungsgericht richten: „Im Hinblick auf die im Fehmarnbelt vorhandenen Riffe trägt die Planung ferner dem Biotopschutz hinreichend Rechnung. Die Vorhabenträger haben eine methodisch ordnungsgemäße Bestandsaufnahme erstellt. Sie durften sich dabei auf eine repräsentative Beprobung des Meeresbodens in dem großen Untersuchungsgebiet beschränken.

Soweit Riffe im näheren Bereich der Tunneltrasse erst nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses durch ein wissenschaftliches Forschungsprojekt der Universität Kiel erkannt worden sind, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Wegen des gesetzlichen Verbots, Biotope zu zerstören oder zu beschädigen, darf allerdings das Vorhaben in diesem Bereich nicht durchgeführt werden, ohne dass über eine Eingriffsvermeidung bzw. eine Befreiung von dem Verbot nachträglich entschieden wird. Zu diesem Zweck haben Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens angekündigt.“

Das sind die bekannten Tricks aus der Kiste, mit denen sich staatliche Behörden und Bauträger dann doch eine „Befreiung von dem Verbot“ der Zerstörung eines wertvollen Biotops besorgen können. Selbst das Gerichtsurteil macht deutlich, wie schwach wertvolle und unersetzbare Naturgüter in der EU geschützt sind. Und wie lang der Atem von Behörden ist, wenn sie Prestigeprojekte auch gegen alle Vernunftgründe unbedingt durchziehen wollen.

„Wir werden auch weiterhin gegen den Bau des Megatunnels kämpfen, um unsere Ostsee, unsere Region sowie den deutschen Steuerzahler zu schützen“, erklärt Karin Neumann am Tag der Urteilsverkündung im umfangreichsten Umweltrechtsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik.

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