Seit den vergangenen drei Sommern ist selbst vielen Hartleibigen klargeworden, was eine Steigerung der globalen Durchschnittstemperaturen um nur 1,5 Grad bedeutet. Und das waren โ in Deutschland zumindest โ noch zahme Entwicklungen. Brennende Wรคlder in Sibirien, Kalifornien, Brasilien, Kolumbien und nun auch noch am Kilimandscharo erzรคhlen noch von ganz anderen Steigerungen. Aber Deutschland hat bis heute keinen Plan, wie es das 1,5-Grad-Ziel einhalten will. Eine Studie fรผr Fridays for Future zeigt nun, dass das mit Kรถnnen eher nichts zu tun hat, aber viel mit Nicht-Wollen.
Am Dienstag, 13. Oktober, haben Vertreter/-innen des Wuppertal Instituts und von Fridays For Future die Ergebnisse der Studie โCO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-ยฐC-Grenzeโ vorgestellt. Die Studie wurde von Fridays For Future beim Wuppertal Institut in Auftrag gegeben und von der GLS Bank finanziell unterstรผtzt.
Sie untersucht die Mรถglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und zeigt in den emissionsintensivsten Sektoren Energie, Gebรคude, Industrie und Verkehr Maรnahmen zu dessen Erreichung auf.
Denn beim Erreichen der Klimaneutralitรคt geht es in einem hochentwickelten Land wie Deutschland schon lange nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. Die technischen Mรถglichkeiten existieren alle schon.
Nur die Bequemlichkeit und der Einfluss der fossilen Konzerne, die die alte, klimazerstรถrdene Wirtschaftsweise trugen, bremsen und hindern das Land daran, schnell und klug die Weichen zu stellen.
Denn mit den โKompromissvorschlรคgenโ der Bundesregierung erreicht Deutschland nicht mal die eigenen zahmen und vรถllig ungenรผgenden Klimaziele.
Deutschland verfehlt seine Reduktionsziele
Die Wissenschaftler/-innen legen in der Studie dar, dass die aktuellen Reduktionsziele und die vorgeschlagenen Maรnahmen die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze weit verfehlen wรผrden. Sie kommen allerdings auch zu dem Schluss, dass ein Beitrag Deutschlands zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze technisch noch mรถglich ist. Noch steht dem 1,5-Grad-Ziel nur der fehlende politische und gesellschaftliche Wille entgegen.
Was erzรคhlt die oben abgebildete Grafik?
In der Grafik hat FFF dargestellt, wie groร bzw. klein mittlerweile das CO2-Budget Deutschlands noch ist, damit das 1,5-Grad-Ziel รผberhaupt noch eingehalten wird: 4.200 Millionen Tonnen CO2 โdรผrfenโ noch in die Luft geblasen werden, danach ist Schluss. Wenn alles so bleibt wie jetzt, ist schon 2026 finito. Das ist der hellblaue Kasten. Eingezeichnet ist auch der Reduktionspfad der Bundesregierung โ die lange gestrichelte Linie bis 2050.
Dabei wรผrden aber noch 10.300 Millionen Tonnen CO2 emittiert, รผber 6.000 Millionen Tonnen zu viel. Wenn das alle so machen, heizt sich die Atmosphรคre nicht um 1,5, sondern um 3 bis 4 Grad auf. Die Kurven, die 2030 und 2035 enden, zeigen, wie Deutschland sein Rest-Budget trotzdem noch einhalten kรถnnte, indem es ziemlich schnell wirklich auf eine CO2-freie Wirtschaftsform umstellt.
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โDie Studie zeigt: Die Ziele der Bundesregierung sind zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels vรถllig ungenรผgend. Wir als Gesellschaft, von Politikerinnen und Politikern รผber Unternehmen bis hin zu Institutionen, mรผssen deshalb unsere Herangehensweise an die Bekรคmpfung der Klimakrise รคndernโ, sagt deshalb Sebastian Grieme von Fridays for Future.
โWir mรผssen aufhรถren, Maรnahmen von den Regierungszielen her zu denken und anfangen, Maรnahmen vom 1,5-Grad-Ziel her zu denken. Wir mรผssen also endlich damit beginnen, รผber die notwendigen Maรnahmen zur Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad zu reden. Genau das macht die Studie des Wuppertal Instituts mรถglich.โ
Und Carla Reemtsma von Fridays For Future ergรคnzt: โSpรคtestens ab heute kann keine Entscheidungstrรคgerin und kein Entscheidungstrรคger mehr behaupten, nichts von den eigenen massiven klimapolitischen Verfehlungen gewusst zu haben. Die Studie macht deutlich, dass die Plรคne der Bundestagsparteien nicht im Ansatz ausreichen, den deutschen Beitrag zur Bekรคmpfung der Klimakrise zu leisten. Die Lรผcke zwischen geplanten und notwendigen Maรnahmen mรผssen alle Parteien umgehend schlieรen. Oder sich dafรผr rechtfertigen, warum sie durch ihre unzureichende Politik eine zerstรถrerische Klimaerhitzung billigend in Kauf genommen haben, zu einem Zeitpunkt als die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens noch mรถglich war.โ
Die gute Nachricht: Technisch ist die CO2-Neutralitรคt bis 2035 erreichbar
โKann das 1,5 Grad Ziel noch erreicht werden und wenn ja, wie? Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir die Studie finanziert. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Transformation mรถglich ist, wenn jetzt konsequente politische Maรnahmen ergriffen werdenโ, betont Thomas Jorberg, Vorstandssprecher GLS Bank. โWir als GLS Bank mit unseren 270.000 Kund/-innen setzen uns dafรผr ein und unterstรผtzen die Forderungen von Fridays for Future.โ
โDie in der Studie skizzierten Mรถglichkeiten zur Zielerreichung bis 2035 stellen in den betrachteten Sektoren jeweils fรผr sich alleine schon groรe Herausforderungen dar und erfordern beispiellose politische Anstrengungenโ, erklรคrt Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, Wissenschaftlicher Geschรคftsfรผhrer Wuppertal Institut.
โNotwendig ist zudem, den Unternehmen die Mรถglichkeiten zu geben, den Transformationsprozess anzugehen, ohne ihre eigene Wettbewerbsfรคhigkeit zu gefรคhrden. Angemessene Beitrรคge zur Einhaltung der 1,5-ยฐC-Grenze sind aber vor allem ohne eine breite Zustimmung und Teilhabe der Gesellschaft nicht mรถglich. Hierfรผr bedarf es insbesondere einer gerechten, auf soziale Aspekte achtenden Gestaltung der Zielerreichung.โ
Und natรผrlich den Mut von verantwortlichen Politiker/-innen, die Herausforderungen auch zu benennen und dafรผr zu werben. Windelweiche Autominister oder Verteidiger von Kohlekraftwerken helfen da nicht weiter. Und die Feigheit von Landesregierungen, die nicht den Mut haben, den Ausbau von Windkraft und Photovoltaik als Generationenprojekt mit den Wรคhlern zusammen anzugehen, sorgt eben leider dafรผr, dass auch noch die letzten wertvollen Jahre zum Umsteuern vergeudet werden
Die ganze Vorschlagsliste dessen, was getan werden kann und muss, findet man hier.
Im Detail sieht man, dass alle politischen Ebenen aktiv werden mรผssen. Etwa wenn der Autoverkehr sich binnen 15 Jahren halbieren muss, der รPNV aber doppelte Leistung erbringen muss. Das Leipziger Mobilitรคtskonzept passt hier schon hinein, auch wenn es viel zu lange dauert in der Umsetzung.
Und nicht nur der CO2-Preis, der ja jetzt nach Willen der Bundeslรคnder bis 2026 auf 65 Euro je Tonne CO2 steigen soll, muss noch viel stรคrker steigen, fordert das Papier โ nรคmlich auf 180 Euro je Tonne. Auch die klimaschรคdlichen Subventionen mรผssen gestrichen werden: โAbschaffung der vielzรคhligen klimaschรคdlichen Subventionen im Verkehr, darunter die Steuerbefreiung von Flugbenzin, das Dieselprivileg, das Dienstwagenprivileg, Subventionen fรผr Regionalflughรคfen und die Bevorzugung fรผr den Straรenbau; ferner eine sozialvertrรคgliche Umgestaltung der aktuell Fehlanreize setzenden Pendlerpauschale.โ
Sachsen muss also Abschied nehmen von der vรถllig falschen Vision, mit dem Frachtflughafen Leipzig kรผnftig Geld verdienen zu kรถnnen. Das funktioniert nur, wenn wir unser Klima endgรผltig demolieren wollen.
Und wie ein Appell an Leipzigs Verkehrsplaner liest es sich, wenn die Studie anrรคt: โPkw-Bestand in Stรคdten auf 1/3 des heutigen Wertes senken. Dafรผr Ausbau der Rad- und Fuรinfrastruktur und des รPNVs, kombiniert mit Push-Faktoren wie City-Maut, Tempolimits und Reduzierung von Fahrspuren und Parkplรคtzen.โ
โEin fairer Beitrag zur Einhaltung der 1,5-ยฐC-Grenze kann nur noch geleistet werden, wenn die kommende Bundesregierung die Transformation in der oben beschriebenen Geschwindigkeit angeht. Ohne eine historische Fokussierung auf die Reduktion der CO2-Emissionen und eine Priorisierung von Klimaschutz in allen Politikbereichen dรผrfte das nicht zu schaffen seinโ, fasst Fridays for Future die Ergebnisse der Studie zusammen, betont aber auch: โEs sind weniger die technischen Grenzen, die รผber Erfolg oder Misserfolg entscheiden werden, sondern der gesellschaftliche und politische Wille. Ist dieser gegeben, stehen der Erreichung von CO2-Neutralitรคt bis 2035 auf der Basis heutiger Erkenntnisse keine unรผberwindlichen Hindernisse entgegen.โ
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