Leipziger sind Menschen mit ganz viel Geduld. Nichts geht hier wirklich schnell. Und selbst Denkmalprojekte können schon einmal 100 Jahre dauern, wenn man so ans Richard-Wagner-Denkmal denkt. Ob es je ein Freiheitsdenkmal geben wird, ist völlig offen. Und auch der Versuch, wieder ein Luther-Melanchthon-Denkmal im Stadtraum aufzustellen, geht jetzt schon ins siebente Jahr. Obwohl: Eigentlich sollte es schon 2019 stehen.
Nämlich zum 500. Jahrestag der Leipziger Disputation.
„Am 19.03.2014 fasste die Ratsversammlung den Grundsatzbeschluss zur Wiedererrichtung des vom NS-Regime zerstörten Luther-Melanchthon-Denkmals“, so erinnert jetzt eine Anfrage der CDU-Fraktion in Leipzig Stadtrat an diesen lange zurückliegenden Tag. Und beschreibt eigentlich die nächste Runde im Ringen um das Denkmal.
Wobei auch schon die Aufstellung des ursprünglichen Denkmals am Johannisplatz ziemlich lange dauerte. Schon 1839 wollten die Leipziger ein solches Denkmal aufstellen. Anfangs auf Privatinitiative. Später übernahm die Stadt das Zepter und schaffte es tatsächlich, das Denkmal nach einem Entwurf des Dresdner Bildhauers Johannes Schilling gießen zu lassen. Es stand bis 1943 vor der Johanniskirche – bis die Nazis das Metall mal wieder für Kanonen und Granaten brauchten.
Es war der Luther-Melanchthon-Denkmal e. V., der sich der Aufgabe annahm, das Denkmal in seiner historischen Form wieder ins Stadtbild zurückzuholen. Was sofort zum üblichen Leipziger Streit ausartete, denn die Stadt selbst hat sich seit einigen Jahren vehement gegen Repliken ursprünglicher Denkmale ausgesprochen.
Die Künstler/-innen und Kurator/-innen, die man jeweils in die Denkmaljurys beruft, sprechen sich dann meist für allerlei experimentelle Entwürfe aus, die den Betrachter quasi symbolisch mit dem zumeist sehr versteckten Gehalt des Denkmals konfrontieren sollen.
So war es beim Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal, dessen Wettbewerb auch aus diesem Grund platzte und blanke Ratlosigkeit zurückließ.
Und eigentlich war es auch 2019 so, als die Stadt die Wettbewerbssieger des 2018 ausgelobten künstlerischen Wettbewerbs bekannt gab. Irgendwie schaffte man es damals tatsächlich, den Verein, der sich zuvor vehement gegen ein Denkmal ausgesprochen hatte, dass nicht in irgendeiner Form das 1943 zerstörte Denkmal künstlerisch wieder sichtbar macht, in die Jury aufzunehmen und auch gleich noch dazu zu bringen, seine Satzung zu ändern.
„Der Luther-Melanchthon-Denkmal Verein e. V. änderte 2018 sein Satzungsziel und folgte der Haltung der Stadt Leipzig, keine Nachbildung aufzustellen. Er wirkte am Wettbewerb mit und verpflichtete sich, für die Errichtung eines neuen Luther-Melanchthon-Denkmals Spenden einzuwerben“, meldete die Stadt damals.
„Mit der Beendigung des Ideenwettbewerbs geht der Staffelstab aus der Verantwortung der Stadt zurück an den Luther-Melanchthon-Denkmal Verein. Dieser beginnt nun für die Realisierung des Siegerentwurfs zu werben, Spenderinnen und Spender für die Umsetzung zu gewinnen, sodass das Denkmal wie vor 136 Jahren aus der Bürgerschaft heraus entstehen könnte.“
Und Dr. Sieghard Mühlmann, Pfarrer i.R. und stellvertretender Vorsitzender des Luther-Melanchthon-Denkmal-Vereins, schien dem Siegerentwurf von Gerald Aigner, der den leeren Sockel des Denkmals für die beiden verschwundenen Denkmalsfiguren sprechen lassen wollte, sogar etwas abzugewinnen.
Aber um den Verein ist es still geworden, die alte Website wurde komplett aus dem Netz genommen und durch eine bloße Baustellen-Seite ohne Informationen ersetzt.
Das sieht nicht nach einer begeisterten Umsetzung des Denkmalentwurfs aus.
Und auch die CDU-Fraktion sieht nicht wirklich, dass der von der Stadtverwaltung bevorzugte Weg der richtige ist.
Sie hat sich den Stadtratsbeschluss von 2014 noch einmal aus dem Aktenschrank geholt und zitiert daraus: „In diesem Sinne errichtet die Stadt ein Denkmal, finanziert durch den Verein, in geeigneter Form an einem geeigneten innerstädtischen Standort.“
Was die CDU-Fraktion so interpretiert: „Es liegt auf der Hand, dass diese offene Formulierung Interpretationsspielräume eröffnet. Allen damals Beteiligten muss aber klar gewesen sein, dass für den Verein Luther-Melanchthon-Denkmal e. V. als Finanzier gemäß seines Satzungszwecks nur ein dem Original weitgehend entsprechender bzw. nahe kommender Wiederaufbau infrage kommt. Der Beschluss legt weiterhin fest, das durch die Stadtverwaltung die notwendigen städtebaulichen Planungen und Verfahren ,einvernehmlich‘ (!) mit dem Verein einzuleiten sind.“
Ist dieses Einvernehmen 2018 tatsächlich hergestellt worden?
Die CDU-Fraktion jedenfalls zweifelt: „Im Beschlussumsetzungsbericht, Stand 11.01.2016, wird über die Sitzung des Sachverständigenforums ,Kunst im öffentlichen Raum‘ am 29.06.2015 berichtet, in der Möglichkeiten zur zeitgenössischen Umsetzung des Denkmals erörtert wurden.
Dazu heißt es im Bericht: ,Im Ergebnis der Befassung muss jedoch festgestellt werden, dass die Vereinsvertreter bisher keinerlei Kompromissbereitschaft zeigen.‘ Diese Aussage ist für uns befremdlich: Inwiefern hat der Verein Kompromissbereitschaft vermissen lassen? Unserer Kenntnis nach ist der Verein durchaus zu Kompromissen bereit. Warum wird seitens der Kulturverwaltung Kompromissbereitschaft nur vom Verein eingefordert und nicht in gleicher Weise vom Sachverständigenforum? Im Übrigen weisen wir auf den beschlossenen Realisierungstermin hin: ,bis Juni 2019‘. Seit dem Beschluss sind ca. 2 ½ Jahre vergangen, ohne greifbares Ergebnis.“
Na ja: Die Wettbewerbsergebnisse sind seit Mai 2019 bekannt. Ob sie im Verein freilich dieselbe Zustimmung gefunden haben wie bei Sieghard Mühlmann, ist unklar.
„Der Wiederaufbau des von den Nazis zerstörten Luther-Melanchthon Denkmals stünde Leipzig gerade in diesen Zeiten gut zu Gesicht. Deshalb erinnern wir an die Umsetzung des Beschlusses vom 19.04.2014“, betont die CDU-Fraktion in ihrer Anfrage, was denn nun aus dem Denkmal wird. „Sowohl wir als Initiator des Ratsbeschlusses als auch der Verein möchten eine Kompromisslösung. Eine ,Eins zu Eins – Reproduktion‘ des vom NS-Regime zerstörten Denkmals ist nicht beabsichtigt.“
Dass der leere Denkmalsockel möglicherweise der falsche Ansatz ist, erklärt die CDU-Fraktion in ihrer Anfrage ebenfalls. Denn das Denkmal soll ja nicht an die Kulturvernichtung der Nazis erinnern, sondern an Luther und Melanchthon, die zur Leipziger Disputation 1519 klargemacht haben, wo die Grenze zur alten Papstkirche verläuft. Da kann man doch die beiden Hauptakteure nicht einfach weglassen.
„Allerdings erscheint uns unabdingbar, das neue Denkmal so zu gestalten, dass die ursprünglich von Johannes Schilling geschaffene und kunsthistorisch außerordentlich wertvolle Figurengruppe ,Luther und Melanchthon im Dialog‘ darin eindeutig wiederzuerkennen ist. Der ursprünglich vorhandene Denkmalsockel ist durchaus verzichtbar und sicher auch nicht mehr zeitgemäß.
Vielmehr ist es wünschenswert, dass der Betrachter den beiden Reformatoren quasi auf Augenhöhe begegnen kann. Denkbar ist dabei auch eine Art Umrahmung der figürlichen Darstellung, in die z. B. Zitate der beiden Reformatoren integriert werden (vergleichbar dem Goerdelerdenkmal am Neuen Rathaus). Wünschenswert ist außerdem eine separate Informationstafel, die Geschichte und damaliges Erscheinungsbild des Denkmals dokumentiert.“
Denn eins – das hat ja das Scheitern des Wettbewerbs zum Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal gezeigt – funktioniert eben nicht: Denkmäler, die nicht auf den ersten Blick verraten, woran sie eigentlich erinnern sollen.
Die Fragen der CDU-Fraktion:
Wie ist der Sachstand hinsichtlich der Findung eines Standortes für das Denkmal?
Inwiefern hat der Verein in der Vergangenheit Kompromissbereitschaft vermissen lassen? In welcher konkreten Art und Weise hat das Sachverständigenforum seine eigene Kompromissbereitschaft in dieser Frage unter Beweis gestellt?
Ist die Kulturbürgermeisterin bereit, zeitnah zwischen Verein und Sachverständigenforum mit dem Ziel zu vermitteln, eine mit dem Vereinszweck vereinbare Kompromisslösung zu finden?
Wenn ja: Wann? Wie wird die Einhaltung des beschlossenen Realisierungstermins (Juni 2019) gewährleistet?
Wenn nein: Wie soll der Ratsbeschluss umgesetzt werden? Oder soll die Sache „ausgesessen“ und der Beschluss gar nicht umgesetzt werden?
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