Am 23. Januar 2019 ist etwas geschehen, was selbst gestandene Stadtrรคte nicht begriffen haben. An dem Tag stimmte die Leipziger Ratsversammlung รผber den kรผnftigen Verlauf des Pleiรemรผhlgrabens an der Hauptfeuerwache ab. Die Mehrheit schwenkte auf die Position der Stadtverwaltung ein, die seit 2013 daran gearbeitet hatte, den Grabenverlauf an den Goerdelerring vorzulegen. Und die das auch noch favorisierte, nachdem in zwei Bรผrgerveranstaltungen eine deutliche Mehrheit fรผr den alten Verlauf hinter der Feuerwache gestimmt hatte.
Den sieht man heute nicht mehr, da der Pleiรemรผhlgraben auch in diesem Abschnitt noch verrohrt ist. Das Wasser flieรt westlich der alten Hauptfeuerwache, deren Sanierung jetzt 7,6 Millionen Euro teurer wird als ursprรผnglich geplant. Dieser deftigen Kostenerhรถhung hat der Stadtrat gerade erst am 29. April zugestimmt.
Zwar wurde auch beim Pleiรemรผhlgraben mit Kosten jongliert. Aber wie teuer die am Ende bevorzugte Variante wird, weiร heute kein Mensch. Bis zur รffnung werden noch Jahre vergehen.
Die Stadtratssitzung im Januar 2019 war auch eine Machtdemonstration. Nicht nur, weil sich das zustรคndige Umweltdezernat nicht einmal bereit fand, die vom Verein Neue Ufer e. V. favorisierte Variante im alten Verlauf zu prรผfen. Die wurde ja mit einem Argument vom Tisch geputzt, das zuvor selbst in den beiden Bรผrgerveranstaltungen nicht betont worden war: Man kรถnne auf den Hinterhof mit den Wartungshallen fรผr die Feuerwehr nicht verzichten.
Mit seinem Versuch, die Debatte zu entschรคrfen, indem er meinte, man mรผsse bei kรผnftigen Bรผrgerbeteiligungen besser darรผber aufklรคren, ob es nun nur um eine reine Information fรผr die Bรผrger, um Partizipation oder um echte Mitentscheidung ginge, machte Oberbรผrgermeister Burkhard Jung letztlich klar, dass eine unbetreute Bรผrgerbeteiligung in Leipzig nicht wirklich mehr erwรผnscht ist. Einer hat das an diesem Tag sehr wohl verstanden: Hans-Jรผrgen Bรถhme, der sich im Verein Neue Ufer seit 1996 an vorderster Front engagiert hat, die alten Leipziger Mรผhlgrรคben wieder zu รถffnen.
Der Verein machte sich die Entscheidung nicht leicht. Immerhin hรคtte es ohne sein Engagement โ lange Jahre massiv unterstรผtzt durch Leipzigs ersten Baudezernenten nach der โWendeโ, Niels Gormsen, โ keine รffnung der in den 1950er/1960er Jahren verrohrten Mรผhlgrรคben gegeben. Der erste Erfolg war ja die รffnung des Pleiรemรผhlgrabens vorm Bundesverwaltungsgericht. Wo die รffnung gelang, wurde das Umfeld sichtlich aufgewertet.
Und der Verein ruhte auch nicht, wenn die Verwaltung drohte einzuschlafen. Schon vor der Diskussion um den Pleiรemรผhlgraben an der Hauptfeuerwache aber gab es Unstimmigkeiten, die sich รผber die Jahre mehrten, auch weil sich die Verwaltung die Grabenรถffnung immer mehr zu ihrem Projekt machte und die kompetenten Vorschlรคge des Neue Ufer e. V. immer รถfter ignorierte.
Ende 2019 beschloss der Verein Neue Ufer nun โ mit einer Enthaltung โ die Einstellung seiner Arbeit. Die Website verschwand fast komplett aus dem Netz. Nur noch den Hinweis findet man: โDer ,Fรถrderverein Neue Ufer e. V.โ hat seine Tรคtigkeit zum 31.12.2019 beendet und befindet sich in Liquidation. Informationen zur Freilegung der Mรผhlgrรคben von Pleiรe und Elster (Hefte ,Neue Uferโ 1990 bis 2019) sind unter folgenden Adressen erhรคltlich:
Atelier Salon 21, Spinnereistr 7, Haus 21 (Spinnereigelรคnde Plagwitz), 04179 Leipzig
Pro Leipzig, Haus der Demokratie, Bernhard-Gรถring-Str. 152, 04277 Leipzigโ.
Was noch zu ergรคnzen ist. Denn ganz so sanglos wollte sich der Verein nicht verabschieden. Er hat noch ein letztes Heft โNeue Uferโ produziert, die Nr. 12 in der Reihe, die รผber die Arbeit des Vereins informiert. Das Heft enthรคlt nicht nur einen weiteren kritischen Beitrag zum Umgang der Leipziger Verwaltung mit den Vereinen in der Stadt โ nรคmlich zum โRunden Tischโ zum Wassertouristischen Nutzungskonzept (WTNK), den alle Umweltvereine verlassen haben, nachdem sie von den dort versammelten Verwaltungsmitarbeitern wieder dieselbe hoheitlich-beratungsresistente Haltung erfuhren.
In gewisser Weise bringt Heinz-Jรผrgen Bรถhme die mittlerweile beklemmende Verรคnderung, die da in den vergangenen Jahren passiert ist, auf den Punkt, wenn er schreibt: โWenn jedoch kein Dialog mehr zustande kommt, keine Argumente mehr gefragt sind, wenn Amts-Hierarchie รผber partnerschaftliches Tun gestellt wird und wenn dann noch Stadtrรคte agieren, die kaum etwas รผber die Kulturgeschichte der Leipziger Gewรคsserlandschaft wissen und Verwaltungsaussagen einfach hinnehmen, anstatt sie einer kritischen Prรผfung zu unterziehen, spรคtestens dann muss sich jeder Ehrenamtliche fragen, ob er sich in diese Verhรคltnisse weiterhin einbringen mรถchte, oder ob die hierfรผr eingesetzte Zeit nicht fruchtbarere Verwendung finden sollte.โ
So hat die Stadt in den vergangenen Jahren schon viele einst Engagierte verloren. Je รถfter von Bรผrgerbeteiligung geredet wird, umso weniger gibt es.
Das Heft Nr. 12 bekommt man beim Pro Leipzig e. V.
Bรผrgerbeteiligung Pleiรemรผhlgraben sehenden Auges vor die Wand gefahren + Video
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Es gibt 3 Kommentare
Und Herr Jung, wenn nun keine Bรผrgerbeteiligung mehr erwรผnscht ist dann brauch ich ja auch nicht mehr wรคhlen, ist ja an sich auch eine Art der Bรผrgerbeteiligung.
Das wusste ich noch nicht.
รuรerst bitter!
So zieht sich Stรผck fรผr Stรผck ehrenamtliches Engagement โ nicht nur in diesem Fall โ zurรผck.
https://www.nukla.de/2020/05/von-amtlichen-und-ehrenamtlichen-konfliktfall-leipzig-ein-beispiel/