Erst am Freitag hatte Leipzig eine Großdemonstration von „Fridays for Future“ mit knapp 10.000 Menschen erlebt und schon am Morgen danach ging es 9 Uhr nahtlos am Hauptbahnhof weiter. Etwas verschlafen und mit einer gerichtlichen Demonstrationsuntersagung samt Kostennote von 10.000 Euro im Gepäck machten sich einige „Fridays“ dennoch auf zum MIBRAG-Kohlerevier bei Neukieritzsch. Zeitgleich fluteten etwa 1.200 Aktivisten von „Ende Gelände“ den Tagebau Peres im Abbaugebiet „Vereinigtes Schleenhain“, während in der Lausitz rund 3.000 weitere Menschen die LEAG-Tagebaue besuchten. Beide Aktionen vor Leipzig sollten entgegen des Säbelrasselns im Vorfeld „Spaziergänge“ werden.

Ob sich die Behörden mit ihrem generellen Demonstrationsverbot für das gesamte Leipziger Kohlerevier einen rechtsstatlichen Gefallen getan haben, werden – so „Fridays for Future” will – im Nachgang wohl die Gerichte im Hauptsacheverfahren entscheiden müssen. In einem riesigen Areal rings um die Tagebaue vor den Toren Leipzigs und in der Lausitz hatten die Landkreise eine Art „No-Go-Area“ konzipiert, in welcher das grundgesetzliche Versammlungsrecht keine Gültigkeit mehr haben sollte.„Fridays for Future” hatte dagegen zwar im Eilverfahren geklagt, nachdem sie vorab die Untersagung auch ihrer Demonstration aus der Presse und verspätet per Amtsbescheid am Freitagabend erfuhren. Für den Gang vors Oberverwaltungsgericht Bautzen blieb jedoch keine Zeit mehr, sodass am Samstagmorgen für die Reisegruppe der jungen Menschen die Frage im Raum stand, wie die Behörden diese General-Untersagung nun vor Ort durchsetzen würden.

Immerhin bestand die gerichtliche Entscheidung aus lauter Notstandsbegründungen der lebensnotwendigen Infrastrukturen in den Tagebauen und dem Mangel an Polizeibeamten, welche die Polizei selbst mit ihrer Darstellung von ungenügenden Kräften medial unterstützte. Eine Aussage zumindest, die die Wandergruppe von „Fridays for Future“ Leipzig auf ihrem Weg über Böhlen und Neukieritzsch zum Kohlerevier bestätigt sah.

Verlassene Polizeiwagen pflasterten den Weg der für FFF gerichtlich verbotenen Demonstrationsroute, von Beamten weit und breit keine Spur an diesem Morgen 10 Uhr mitten in Deutschland. Niemand da, der sich also um die Durchsetzung solcher Maßnahmen und Bescheide kümmern mochte, bis zum Ende am Tagebaurand erkundigte sich der Rechtsstaat nicht nach einer Demo, die keine sein durfte.

Stattdessen fand sich ein älterer Neukieritzscher am Wegesrand, der die Entfernung eines rechtsradikalen Aufklebers von einem Lichtmast wütend kommentierte. Ob hier Restalkohol vom Vorabend, ein aufflammender Generationskonflikt zwischen Kohlebergbauangestelltem und Jugend oder die politische Haltung des Einwohners die vordringliche Rolle spielte, war im weiteren Verlauf nicht zu klären – doch die Grundstimmung in Neukieritzsch war eher die einer samstäglich beruhigten Gemeinde mit hastig abgeparkter Polizeiwagengarnitur bis hinaus auf die B 187 am Tagebau Peres.

Dass trotz durchgehend friedlichem Verlauf des Spazierganges die Abschreckung der Behörden Wirkung gezeigt hatte, konnte man an der Größe der aus rund 10 Personen bestehenden Wandergruppe von „Fridays for Future“ dennoch ablesen. Mochte es darüber hinaus auch an den Vor- und Nachbereitungsanstrengungen am Demonstrationsgeschehen des Vortages gelegen haben, es fanden sich jedenfalls nur sehr wenige ein.

Böse Sache oder gute Aktion?

Anders verlief der Tag bei „Ende Gelände“; nach einer deutschlandweiten Mobilisierung standen ab 9 Uhr bis zu 1.200 Menschen in der MIBRAG-Senke auf der Kohle herum und warteten eher, was nun die teils hoch zu Ross eingetroffenen Polizeibeamten vorhatten. Anfangs dem Augenschein nach nur mit einer Hundertschaft vor Ort, waren die Kohlegegner ohne polizeilichen Widerstand in den Tagebau eingesickert.

Der ebenfalls vor Ort ungehindert arbeitende Fotograf Tim Wagner schilderte im Nachgang die Polizei als kooperativ und wenig angriffslustig. Anfangs sei kein Einsatzleiter vorhanden, der Führer der Hundertschaft hatte den Einsatz von Pfefferspray untersagt und das Betreten des Tagebaugeländes „auf eigene Gefahr“ deklariert und durchsagen lassen.

Auf dem Gelände selbst waren die Einsatzbeamten mit dem Schutz der Bagger befasst, noch vor dem Eintreffen der einsickernden Menschen in weißen Overalls und Gesichtsmasken standen die ersten Beamten selbst auf den Aufstiegsplattformen der „Infrastruktur“ herum. Auch die MIBRAG hielt sich – entgegen des Verhaltens der ebenfalls zur tschechischen EPH-Holding gehörenden LEAG in der Lausitz, welche offenbar wahrheitswidrig die Erstürmung eines Kohlekraftwerkes vermeldete – am 30. November 2019 mit Tweets und aggressiven Mitteilungen zurück.

Vor Ort fanden die „Ende Gelände“-Aktivisten keine MIBRAG-Mitarbeiter vor, das gesamte Gelände wirkte verlassen und nur ein paar Werks- und Geländeschutz-Männer suchten kurz darauf nach Arbeit.

Gesänge und Werksschutz oben, Abtransportversuche unten

Während zeitgleich im Tagebau zwei polizeiliche Versuche stattfanden, möglichst viele Tagebaugegener in einen MIBRAG-Bus zu laden, was auch bei rund 40 Personen gelang, sangen sich am Grubenrand die wenigen Fridays-Spaziergänger immer lauter ein (siehe Video). Später sollten noch ein paar Trommeln hinzustoßen, doch erst hatte der MIBRAG-eigene Geländeschutz seinen Auftritt.

Nach einem Hinweis auf die unzähligen Verbotsschilder bis nach Neukieritzsch hinein, Felder und Wälder nicht zu betreten und einer kurzen Debatte ein wichtiges Telefonat. Ob mit Polizei oder Betriebsleitung von MIBRAG war nicht auszumachen, doch danach die etwas knirschende „Ansprache an die Gruppe“. Diese dürfe bleiben, doch nicht den Zaun überwinden, sonst…

Was sonst, blieb offen und dann ging es mit zwei Fahrzeugen zur Zauninspektion für die Wachmänner. Offenbar waren dabei auch einige nicht intakt, die leicht ab- und wieder aufhängbaren Felder des Zaunes lagen hier und da unbeschädigt am Boden herum.

Fridays for Future am Tagebaurand & Interview mit Sophia Salzberger & Lisa Allisat (FFF)

Video L-IZ.de

Abschied und Ende im Tagebau

Was vor 9 Uhr friedlich begonnen hatte, endete gegen 16:30 Uhr ebenso. Da sich die Aktivisten im Tagebau untergehakt und hingesetzt hatten, blieb ein dritter Versuch, weitere „Ende Gelände“-Teilnehmer in den Mannschaftsbus der MIBRAG zu bringen, erfolglos. Auch hier wollte die Polizei so gar nicht so agieren, wie es manche Menschen vermuten, die selbst nie auf einer Demonstration waren: Das Pfefferspray blieb unbenutzt, Gewalt wurde nicht angewandt.

Daraufhin boten die mittlerweile auf vielleicht zwei bis drei Hundertschaften deutlich verstärkten Einsatzkräfte „Ende Gelände“ das Verlassen des Tagebaus ohne Feststellung der einzelnen Identitäten an. Die Pressefreiheit blieb ebenfalls unangetastet und um 17 Uhr saßen die meisten schon zur Heimfahrt in der S-Bahn in Neukieritzsch.

Bleiben also ein paar Fragen – neben der der (auch ökonomischen) Sinnhaftigkeit des weiteren Kohlebetriebs bis 2038 – am Ende. Die drastischen Strafandrohungen, begründet mit der hohen Gefahr für Leib, Leben und Infrastruktur bleiben aufrechterhalten, zwei Teilnehmer von „Ende Gelände“ sollen in Leipzig nach der Heimfahrt (erkannt an ihren Overalls) verhaftet worden sein. Ein verlassenes Tagebaufeld zeugte hingegen nicht von hoher Betriebsamkeit und dringend benötigtem Kohlenachschub an diesem Samstag.

Eher von einer sterbenden Branche, in welcher die Mitarbeiter und Regionen ebenso wie die gefährdeten Dörfer längst eine Zukunftsvision ohne Kohle verdient hätten. Dass Pödelwitz nicht mehr abgerissen werden soll, ist für Kohlegegner nur ein Anfang.

Interview mit Sina Reisch (Ende Gelände) am Tagebaurand

Video L-IZ.de

Kenia-Koalition am Start

Bleibt also zu konstatieren, dass Politik, die auf Aussitzen und Angstmachen fixiert ist, hier keine Lösung sondern Teil des Problems aufeinanderprallender Interessen zwischen Klimaschutz und Zukunftsangst geworden ist. Und das Demonstrationsverbote anhand von „Notstandsbegründungen“ in einem Rechtsstaat nicht nur kontraproduktiv sondern auch verfassungswidrig bleiben müssen. Eine Diskussion übrigens, welche die neulich erst die Autobahn blockierenden Bauern sicher ähnlich beantworten würden. Eher werden solche Verbote selbst zu einer neuen Konfliktlinie, die zumindest an diesem 30. November 2019 am und im Tagebau Peres friedlich aufgelöst wurde.

Heute, Sonntag, 1. Dezember 2019, möchten jedenfalls die Kenia-Koalitionäre ihre Verhandlungsergebnisse und Zukunftspläne für Sachsen bekanntgeben. CDU, Grüne und SPD dürften wissen, dass die kommenden fünf Regierungsjahre im Freistaat entscheidende Weichenstellungen nicht nur in der Energiegewinnung nach einer Dekade des Hinhaltens und Verschiebens werden. Denn eines dürfte jedem politisch aktiven Menschen längst aufgefallen sein: die Zahl der Demonstrationen und die der Teilnehmer kennen spätestens seit 2018 nur noch eine Richtung – nach oben.

Nur ein Zeichen neben vielen für einen deutlichen Stau bei der Lösung von teils existenziellen Problemen nicht nur in Sachsen. Es gilt also längst, den angeblichen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie aufzulösen.

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