Einen Teil der gestiegenen Grünen-Werte zur Europawahl können sie sicher auch für sich verbuchen. Die noch etwas unbeholfenen Verständigungsversuche der anderen Parteien ebenfalls. Und während die Politik angesichts eintretender Deutungshoheiten über ein existenzielles Thema schon von der neuen 68er Bewegung raunt, zeigt die Bewegung „Fridays for Future“, was sie vor allem ausmacht. Sie ist weit hartnäckiger, als alle Abwiegelungsversuche um sie herum glauben machen wollen. Auch heute waren die Leipziger Jugendlichen gemeinsam mit Eltern und Großeltern unter dem Motto „Konsum tötet“ wieder auf der Straße.
Seit dem Sommer 2018, als Greta Thunberg begann, Freitags nicht mehr zur Schule zu gehen und sich vor das schwedische Parlament setzte, ist eine massive Diskursverschiebung deutlich geworden. Gerade mal ein halbes Jahr hat seit dem 21. Dezember 2018 auch in Leipzig gereicht, aus den anfangs belächelten „Schulschwänzern“ veritable Politikakteure zu machen.
Das Thema Klimakrise jedenfalls haben sie mit Wucht ins Zentrum nahezu jeder Frage von Ernährung, Verkehr über Energieversorgung bis hin zu Bekleidung getragen. Und sie scheinen gekommen, um zu bleiben – gerade erst hat die Stadtrats- und Europawahl auch in der Messestadt gezeigt, dass aus der Konzentration auf existenzielle Fragen auch Wahlprozente werden.
„Fridays for Future“ ist längst mehr als ein „Schülerstreik“, die jungen Menschen schreiben ihre eigene Geschichte. Die von einem tiefgehenden Wandel in unserer Konsumgesellschaft und die Klimakrise. Das nervt so manchen, der nicht raus will oder kann aus seiner Komfortzone.
Impressionen & Redebeiträge von „Fridays for Future“ am 31. Mai 2019
Video: L-IZ.de
Abwehrreflexe
„Die Eltern haben doch alle Autos“, raunt ein Mittvierziger mit markanter Bauchwölbung im Vorübergehen, als der 200 Teilnehmer starke Demonstrationszug auf dem Leipziger Marktplatz eintrifft. Nicht mehr, nur dieser eine Satz inmitten hochgereckter Handys der Passanten. Die Einkaufstüte baumelt mit ihm am Breuninger vorbei, andere Einkaufstütenträger kreuzen seinen Weg, dann ist er verschwunden.
Hielt man heute in einer übervollen Innenstadt am Rande der „Fridays for Future“-Veranstaltung ein wenig Augen und Ohren offen, fand man neben wohlwollendem Applaus der Umstehenden immer wieder auch diese ungefragten Hilflosigkeiten. Ein Versuch, die jungen Menschen der Heuchelei zu bezichtigen, so halblaut und im schnellen Weggehen. Entlarvende Worte, die immer auch ein Stück schlechtes Gewissen in sich tragen. Denn die Argumente haben eher die jungen Menschen, die neben 28.000 Wissenschaftlern längst auch die „Parents for Future“ und eine wachsende Zahl weiterer Erwachsenenorganisationen samt deren Know How hinter sich wissen.
Trotz Ferienzeit und Brückentag waren sie wieder mit Rad, Bahn und zu Fuß auf den Richard-Wagner-Platz gekommen, um sich anschließend gemeinsam vor Primark, Breuninger, McDonalds, H&M und der Deutschen Bank hinzulegen. Und dort mit den Umstehenden zu lauschen, was so alles in den Unternehmen schon für das Klima und die Umwelt getan oder besser nicht getan wurde.
Einfach mal hinlegen und erzählen …
Drei Modeketten, zweimal letztlich das gleiche Problem und einmal der Vorwurf, weiterhin Echtpelze im Angebot zu haben. So sei es laut Ansprache per Megaphone noch immer bei Breuninger am Leipziger Markt. Die beiden anderen – Primark und H&M – verbindet hingegen ein gemeinsames Problem. Billigbekleidung, in unglaublichen Stückzahlen produziert, ist letztlich Wegwerfware nach einmal tragen oder einer Saison. Mit allen entsprechenden Begleiterscheinungen von Ressourcenvernichtung über fragwürdige Arbeitsbedingungen bei der Herstellung bis zum Verbrennen überschüssiger Waren, noch bevor sie überhaupt von irgendwem erworben wurden (H&M).
Alles nicht wirklich neu, aber vielleicht ist ja gerade diese Beziehung zwischen Kunden, die noch immer solche Waren kaufen und den Unternehmen, die sie anbieten, das Erschreckende daran.
Bei McDonalds gab es im Kern vor allem Informationen über den Wasserverbrauch bei der Herstellung des fleischlichen Fastfood-Essens, die wachsende Nitratbelastungen der Böden und die Rodung des Regenwaldes für Weideflächen zu kritisieren. Im Grunde neben dem entstehenden CO2-Ausstoß das Hauptthema der industriellen Herstellung von Fleisch in der Agrarwirtschaft. Und die Deutsche Bank, vor der am kleinen Leuschnerplatz die Demonstration endete, scheint mal wieder ein Investment zum Ausbau eines Kohlehafens in Australien am Laufen zu haben. Auch dafür gab es eher keinen Applaus der verbliebenen Innenstadtwanderer.
Nach dem Blick in die Welt zurück nach Leipzig
Zum Ausklang wurden noch einmal die Forderungen der „Fridays for Future“-Petition zum raschen Umbau der Radverkehrsinfrastruktur in Leipzig verlesen. Sicherheit und mehr direkte Wege für Radfahrer, die stärkere Beräumung von auf Radwegen parkenden Autos, mehr Radbügel und die Unterstützung für den Antrag des Jugendparlamentes, die Karl-Liebknecht-Straße zur Radstraße umzuwidmen, sind darin enthalten und können hier unterschrieben werden.
Um all dies zu erreichen verlangen die Jugendlichen, die jährlichen Rad-Investitionen Leipzigs von derzeit fünf Euro (2017) auf 20 Euro pro Kopf zu erhöhen, mindestens einen Radbeauftragten pro 100.000 Einwohner einzustellen und von Städten wie Groningen zu lernen, wie eine wirklich radfreundliche Stadt machbar ist.
Doch wo Groningen mit pro Kopf-Investitionen von 85 Euro längst einen Radverkehrsanteil von 60 Prozent erreicht hat, wäre es für den ADFC bereits ein großes Ziel auf, 35 Prozent zu kommen.
Apropos Ziel: Das nächste größere Ziel der Bewegung ist, neben den kleineren Freitagsaktionen in vielen deutschen Städten, der nächste Zentralstreik in Aachen gemeinsam mit Teilnehmern aus ganz Europa und der Initiative „Ende Gelände“. Am Freitag, den 21. Juni 2019, „stehen wir nach 6 Monaten Streik in Aachen direkt am Rand des rheinischen Braunkohlereviers, der größten CO2-Quelle Europas, um zu zeigen, dass wir wütend sind. Wütend, dass sich nach 6 Monaten Streik immer noch nichts getan hat“, heißt es im Aufruf dazu. Auch von Leipzig aus wird ein Sonderzug starten.
Zum Archiv aller Beiträge rings um Fridays for Future auf L-IZ.de
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Ich bin so begeistert von den Kids. Die haben jedes Recht zu demonstrieren, haben wir ihnen doch in unserer Gier schon so viel weggenommen für die Zukunft. Einfach nur, weil wir faul und bequem und gedankenlos und verwöhnt sind. Wir sollten uns alle schämen. Wie können die Erwachsenen, die im Moment verbal so dermaßen gegen diese Kids schießen, ihren eigenen Kindern eigentlich noch in die Augen schauen?