Wenn man sich wohlig eingerichtet hat in einem Leben aus Autotouren zum Bäcker, Flugreisen möglichst mehrmals im Jahr und fest daran glaubt, dass eine Energieversorgung ohne Kohlestrom einfach nicht möglich ist – der dürfte zunehmend gereizt reagieren. Bei über 2.000 Leipziger Demoteilnehmern heute kann man aber eines nicht mehr übersehen. Die jungen Klimaretter von „Fridays for Future“ haben gleich zwei äußerst unangenehme Botschaften für Stehenbleiber in Sachen Klima- und Umweltpolitik verbreitet: sie werden nicht aufhören, während sie immer mehr werden. Und dabei zunehmend Unterstützung von „Scientists für Future“ und den „Parents for Future“ erhalten.

Wenn man den bisherigen Verlauf rings um „Fridays for Future“ mal Revue passieren lässt, fällt einem angesichts der knapp 2.500 Demonstrierenden allein auf dem Richard-Wagner-Platz, den wohl 300.000 Teilnehmern in Deutschland und einer noch unbekannten, weit höheren Zahl weltweit auf, dass die jungen Menschen sich frei nach Ghandi gerade in Phase zwei befinden dürften. Erst wurden Greta Thunberg und die ersten Schüler, die sich ihr anschlossen, mehr oder minder ausgelacht, nun werden sie angesichts der rapide steigenden Zahlen zunehmend vor allem von konservativen Politikern bekämpft.

Oder herabgewürdigt, wie es etwa FDP-Chef Christian Lindner gleich mehrfach versuchte, als er den jungen Menschen den Einblick absprach, in Klimafragen derart radikale Veränderungen und ein rascheres Handeln zu fordern. Mehr oder minder unverblümt sein Hinweis, um diese Fragen müssten sich schon „Profis“ kümmern.

Impressionen vom Wagnerplatz, der Demostrecke, Augustusplatz und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Video: L-IZ.de

Auch wenn er damit Politiker und somit auch sich selbst gemeint haben dürfte, finden er und andere Stehenbleiber in der Politik und Wirtschaft in der unangenehmen Situation wieder, dass sich mittlerweile 23.000 von eben diesen professionellen Wissenschaftlern an die Seite der Schüler gestellt haben. Und in einer gemeinsamen Stellungnahme eine einfache und klare Feststellung treffen: „Die jungen Menschen fordern zu Recht, dass sich unsere Gesellschaft ohne weiteres Zögern auf Nachhaltigkeit ausrichtet. Ohne tiefgreifenden und konsequenten Wandel ist ihre Zukunft in Gefahr. Dieser Wandel bedeutet unter anderem: Wir führen mit neuem Mut und mit der notwendigen Geschwindigkeit erneuerbare Energiequellen ein. Wir setzen Energiesparmaßnahmen konsequent um. Und wir verändern unsere Ernäh­rungs-, Mobilitäts- und Konsummuster grundlegend.“

Worte, welche am 15. März auch von einer Abordnung unter anderem des “Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung” (UFZ) auf dem Simsonplatz vor dem Verwaltungsgericht verlesen wurden. Das Fazit von Dr. Annegret Haase vom UFZ gegen Ende der Demonstration unter dem großen Jubel der jungen Menschen ein schlichtes „ihr habt Recht“. Fast ein wenig Neid sei auch dabei, denn seit Jahren weisen die von Lindner herbeizitierten Profis nun bereits auf die verschiedenen menschlichen Faktoren hin, die zur Erderwärmung beitragen.

Doch erst die Schüler hätten es geschafft, unübersehbar auf die seit langem auf dem Tisch liegenden Themen Erderwärmung, Artensterben und vermehrte Starkwetterereignisse aufmerksam zu machen. Dass sie wissen, dass sie dafür auch verzichten müssen, machte heute eine Sprecherin von „Fridays for Future“ deutlich. Es sei klar, dass es mit dem Autoverkehr so nicht weitergehen könne, man also auf ÖPNV, CarSharing setzen wird, dass jeder auch persönlich eine fleischärmere Ernährung für sich finden muss und letztlich die Wegwerfgesellschaft ihrem Ende entgegensieht. Auch Flugreisen sollte man sich öfter schenken, betonte die Rednerin.

Redebeiträge vom UFZ, “Scientist for Future” und der Elterninititive “Parents for Future” auf dem Simsonplatz. Video: Tom Richter, FridaysForFuture Leipzig (leider gab es bei der L-IZ.de einen Datenverlust, Danke für die Hilfe)

Immer wieder riefen die Demonstrierenden heute „wer nicht hüpft, der ist ein Auto“ und „für das Klima laufen wir“. Vor allem Zweiteres sollte in seiner Doppeldeutigkeit auch der Autoindustrie zu denken geben. Diese Generation könnte sich vom Statussymbol Auto nachhaltig abwenden und eine ressourcenschonendere Mobilität einleiten. Dass man heute in Leipzig auch die bisherige konsumorientierte Ausrichtung des Kapitalismus generell kritisierte, ist demnach nur folgerichtig. Sollte also der von Kritikern der Proteste gern zynisch eingeforderte Verzicht hier bereits Wirklichkeit werden, weil es immer mehr Menschen längst verstanden haben?

Soweit zu beobachten war, wurden die Schüler jedenfalls heute in Leipzig nicht mit dem SUV vorgefahren oder abgeholt. Und zu McDonalds ging während und nach immerhin drei Sunden Demonstration vom Wagner- über Augustus bis zum Simsonplatz auch niemand. Aber auch dies wird sicherlich eben jene nicht freuen, die sich von den jungen Menschen in der eigenen Bequemlichkeit bedrängelt sehen.

„Hört nicht auf“, so jedenfalls der Wunsch der Delegation vom UFZ, die Reaktionen unter den Teilnehmern deuteten darauf hin, dass sie das nicht vorhaben. Weltweit waren heute laut Tagesschau bereits in 1.700 Städten Jugendliche unterwegs, kein Kontinent blieb zudem ohne eine Demonstration.

Und dass hier auch die Wähler von morgen den selbst organisierten Aufstand proben, ist zumindest Grünen, Linken und Vertretern der SPD längst klar – auch sie waren heute in Leipzig dabei: als Eltern, Mitdemonstranten und wohlwollende Begleiter.

Die Schüler erhalten nun Verstärkung. Neben 23.000 Wissenschaftler kommen nun auch die ersten Eltern dazu. Foto: L-IZ.de
Die Schüler erhalten nun Verstärkung. Neben 23.000 Wissenschaftler kommen nun auch die ersten Eltern dazu. Foto: L-IZ.de

Das Ende der deutschen Schulpflichtdebatte

Gleichzeitig hat auch die irritierende deutsche Debatte um Schulpflicht contra Aufmerksamkeit durch Streik zu einer Solidarisierung der ersten Eltern unter dem Namen „Parents for Future“ (hier im Netz) geführt. In einem Redebeitrag verkündete eine Mutter einer anwesenden Schülerin: „Wenn die Schule die Fehltage meiner Tochter wegen dieses Streiks ins Zeugnis aufnimmt, werde ich erst dazuschreiben, warum sie gefehlt hat, bevor ich das Zeugnis selbst unterschreibe.“

Denn längst verstehen auch immer mehr zukünftige Arbeitgeber, dass ein solcher Eintrag wohl eher ein Grund mehr wäre, derart engagierte Menschen zu Vorstellungsgesprächen einzuladen, sie auszubilden oder ihnen einen Job zu geben. Zwar seien sie erst etwa 10 Gruppenmitglieder vor Ort, so die deutschlandweit organisierten „Parents for Future“ in Leipzig, doch auch sie hoffen, es werden sich weitere Eltern anschließen und haben dazu unter anderem einen Telegramkanal mit mittlerweile 60 Teilnehmern eröffnet.

Auch hier scheint also die Unterstützung gerade erst so richtig anzulaufen, statt abzuebben.

Auch Oma und Opa Mey haben auf dem Richard-Wagner-Platz ihre Unterstützung für die demonstrierenden Enkel deutlich gemacht. Foto: Marek Scholz
Auch Oma und Opa Mey haben auf dem Richard-Wagner-Platz ihre Unterstützung für die demonstrierenden Enkel deutlich gemacht. Foto: Marek Scholz

Hinzu kommt nun auch das zunehmende Einlenken der Schulen. Im Wissen darum, dass es letztlich die Verantwortung und Aufsichtspflicht der Eltern ist, ob sie ihre Kinder für diese Demonstrationen freistellen oder nicht, scheint es keinen nennenswerten Widerstand mehr an Leipziger Schulen zu geben. Denn abseits der Phantomdebatte der vergangenen Wochen setzt sich allmählich die korrekte Lesart durch: stellen Eltern ihre Kinder kurzzeitig und rechtssicher für einen Freitag von der Schule frei, ist es ihre Verantwortung. Weshalb unter den Demoteilnehmern natürlich auch Eltern waren, die so ihre und andere Kinder unterstützten und ein Auge auf den Nachwuchs hatten.

Zudem begleiteten bereits heute einige Lehrer einfach ihre Schüler zur Demonstration, auch ein probates Mittel, dem hübschen Sprüchlein „für das Leben lernen wir“ einen Sinn zu geben.

Sollte nun noch, was fast zu erwarten ist, die 16-jährigen Schwedin Greta Thunberg, welche den Aufstand 2018 anfangs ganz allein begann, den Friedensnobelpreis erhalten, könnten Christian Lindner und seine Politikerkollegen eventuell noch mehr ins Hintertreffen geraten. Denn die jungen Menschen wollen jetzt Taten sehen, Worte haben sie bereits genug gehört und beispielsweise der auf 20 Jahre veranschlagte Ausstiegshorizont für die Kohle kommt für sie nicht infrage.

Sie verlangen nicht weniger als eine wirkliche Energie-, Verkehrs- und Klimawende jetzt. Die Zeit des Aussitzens verbindlich beschlossener Klimaabkommen dürfte demnach schwinden.

In der kommenden Woche wollen sich die “Fridays for Future“s wieder zum Müllsammeln treffen und Ampelaktionen machen, um Autofahrer auf ihr Verhalten hinzuweisen. Und in zirka vier Wochen soll die nächste größere Demonstration folgen.

Die “Scientists for Future” in der Bundespressekonferenz am 12. März 2019. Quelle: Tilo Jung, Youtube 

Impressionen vom 15. März 2019 in Leipzig (Fotos: Marco Arenas & Michael Freitag)

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Ich weiß gerade nicht, welche Politiker mir lieber sind. Die, die überheblich meckern und drohen, oder die, die mitmischen wollen und dann wieder von Samstag bis Donnerstag für Arbeitsplätzchen in der Braunkohle und Autoindustrie stimmen. Erstere sind wenigstens ehrlich. Die anderen sind es nicht, nichtmal zu ihren eigenen Kindern!

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