Am 24. Januar wurde im Conne Island der Tagungsband โNach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDRโ vorgestellt. Rund 150 Menschen waren gekommen, weit mehr als erwartet. Die Veranstalter hatten 100 Stรผhle aufstellen lassen. Die meisten Besucher waren jรผngeren Alters. Die Einlader der Veranstaltung waren die Gedenkstรคtte Zwangsarbeit Leipzig und die Rosa Luxemburg Stiftung in Sachsen. Und es wurde emsig diskutiert รผber den geforderten Paradigmenwechsel in der ostdeutschen Geschichtsschreibung.
Von den Herausgebern des Buches konnte leider Patrice G. Poutrus nicht mitkommen. Er war durch dringende Termine verhindert. Die Moderation hatte Cornelia Siebeck (siehe das Portal โkritische Geschichteโ bei facebook). Dr. Enrico Heitzer stellte das Buch und seine verschiedenen Beitrรคge vor.
Angeregt durch die Moderation drehte sich die Debatte auf dem Podium und mit dem Publikum vorwiegend um die Frage, was die Autoren mit dem โParadigmenwechselโ meinen, den sie von den Forscherinnen und Forschern der DDR-Zeitgeschichtsschreibung erhoffen.
Als Beispiel was darunter verstanden werden kรถnnte, verteilten die Herausgeber des Buches die Erklรคrung der Volkskammer vom 12. April 1990.
Die Abgeordneten aller Fraktionen der Volkskammer (nur 21 Enthaltungen, keine Gegenstimme) hatten darin ausdrรผcklich erklรคrt, dass sie, in Vertretung der Wรคhlerinnen und Wรคhler, Verantwortung und Haftung fรผr die Verbrechen der Nazis รผbernรคhmen und sie hatten sich entschuldigt fรผr die Entwรผrdigung und Verfolgung von Juden in der DDR, fรผr die aggressive Politik der DDR gegen Israel.
Die Abgeordneten hatten der Sowjetunion zugesichert, dass der deutsche Vernichtungskrieg nicht vergessen sei und man sich verpflichtet sรคhe, mit der SU gemeinsam eine Friedenspolitik in Europa zu entwickeln. Auรerdem hatte man sich bedankt fรผr die Anregungen, die man durch die Perestroika erhalten habe.
In Richtung Polen hatten die Abgeordneten erklรคrt, dass die Verbrechen der Deutschen in Polen nicht vergessen seien und zugesichert, dass ein vereinigtes Deutschland die Grenzen Polens respektieren werde. Auรerdem hatten sich die Abgeordneten fรผr die Beteiligung der DDR an der Niederschlagung des Prager Frรผhlings entschuldigt.
Die Herausgeber des Bandes argumentierten wรคhrend der Veranstaltung, dass die Themen, auf die die Volkskammer Abgeordnete am 12. April angesprochen hatten, in der spรคteren Forschung zur Aufarbeitung der DDR kaum vorgekommen wรคren. Ein Beispiel seien die Verhandlungen der beiden Enquetekommissionen des Bundestages. Man suche dort vergebens nach Expertisen zu diesen Themen.
Auf die Frage, wie denn zu erklรคren sei, dass die DDR-Forschung diese Themen eher weniger beachtet habe, verwiesen die Herausgeber des Buches auf รuรerungen des damaligen Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, der bereits 2004 mit Blick auf die Gedenkstรคttenpolitik in Sachsen von der Herausbildung einer โWaagschalenmentalitรคtโ nicht nur in Sachsen gewarnt hatte.
Bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts werde hรคufig eine Gleichsetzung der Verbrechen des NS mit dem DDR-Unrecht vollzogen. Statt die ungenรผgende Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der DDR zu thematisieren und zu erforschen, wie das zu erklรคren sei, gehe es bei manchen Forschungen zum DDR-Unrecht um eine Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus.
Mit Blick auf die Versuche von Politikern der AfD und anderen einschlรคgigen Vereinigungen, warben die Herausgeber dafรผr, alle Versuche der Relativierung des Verbrechens des Nationalsozialismus zurรผckzuweisen und die nach 1945 mรผhsam erworbene Gedenkkultur zu erhalten und auszubauen. Demokratie sei in Deutschland nach 1945 ohne radikale Kritik des Nationalsozialismus nicht mรถglich.
โNach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDRโ oder die Frage: Was passiert eigentlich, wenn man Geschichte einfach fรผr erledigt erklรคrt?
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