Ämter und Behörden können in Sachsen im Grunde machen, was sie wollen. In Parlamenten werden sie nicht gebremst, weil dort oft das Fachwissen fehlt. Und Umweltverbände scheitern – teuer vor Gericht oder gleich im Vorfeld, wenn ihnen sture Behördenchefs erklären, dass sie nicht mitzureden haben. Obwohl sie eigentlich laut Naturschutzgesetz ein Mitspracherecht haben. Aber nur ein kleines, gnadenweises. Wenn sie brav sind. Die Grünen im Landtag wollen das jetzt ändern.
Die Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag legt jetzt einen Gesetzentwurf für mehr Beteiligungs- und Klagerechte für anerkannte Umwelt- und Naturschutzvereinigungen in Sachsen vor. Der Gesetzentwurf wird am Donnerstagnachmittag, 31. Januar, in den Landtag eingebracht.
„Wir wollen mehr Mitbestimmung von Umwelt- und Naturschutzvereinigungen bei der Durchsetzung der europäischen Vorgaben für Naturschutz, in Landschaftsschutzgebieten und bei der Ausübung der fachlichen Praxis. Das heutige Mindestmaß an Klage- und Beteiligungsrechten genügt einfach nicht mehr“, erklärt Wolfram Günther, Vorsitzender der Fraktion und umweltpolitischer Sprecher.
„In Sachsen gelten noch heute nur die absoluten Mindeststandards, die in Deutschland im Bundesnaturschutzgesetz verankert sind. Dabei ist es möglich, dass Sachsen wie andere Bundesländer den Naturschutzvereinigungen mehr Klage- und Beteiligungsmöglichkeiten an die Hand gibt. In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt werden diese erweiterten Verbandsklagerechte heute schon erfolgreich angewendet.“
Der Freistaat Sachsen erfüllt bislang nur die Mindeststandards der Bundesvorgaben nach Paragraf 63 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Und auch die nicht immer. Wofür auch Leipzig ein eklatantes Beispiel ist. Man sieht dann eben einfach mal von einer Mitwirkung der Verbände ab, wenn das stört – man denke nur an die ganzen Eiertänze um das Wassertouristische Nutzungskonzept (WTNK). Mitwirkung als Alibi – das gern. Aber wirklich als fachliche Einmischung? Bitte nicht.
Aber die Grünen halten es für möglich, auch in Sachsen den Paragraphen 64 als Mindeststandard zu setzen: Nach Paragraf 64 Absatz 3 BNatSchG ist es jedoch möglich, dass die Länder den anerkannten Naturschutzvereinigungen in ihrem jeweiligen Hoheitsbereich erweitere Beteiligungsmöglichkeiten und Zugänge zu den Gerichten einräumen können.
In der Rechtspraxis sind im Freistaat Sachsen im Kern nur unrechtmäßige Befreiungen bzw. Verstöße gegen die Schutzgebietsverordnungen von Naturschutzgebieten, Nationalparks, Nationalen Naturmonumenten, Biosphärenreservaten und Natura 2000-Gebieten sowie bei Großvorhaben mit Umweltverträglichkeitsprüfung auch weitergehende Naturschutzrechte einklagbar, stellen die Grünen fest.
Und selbst wenn es Umweltverbände in diesen Fällen versuchen, werden sie vor Gericht in der Regel ausgeblutet. Man denke nur an das Verfahren um die „Kurze Südabkurvung“, über die Frachtflieger das Natura-2000-Gebiet Leipziger Auenwald in 300, 400 Meter Höhe überfliegen. Das Bundesverwaltungsgericht gab der klagenden Grünen Liga recht, das Oberverwaltungsgericht in Bautzen bog die Klage ab.
Und Wolfram Günther listet auf, wo auch und gerade Leipziger Umweltverbände hätten klagen können und müssen, wenn in Sachsen das Bundesnaturschutzgesetz ausgeschöpft würde.
Die Beispiele sind bekannt und eklatant:
1. Umweltschaden an Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie
Beispiel: Vernichtung eines Winterquartiers des Großen Abendseglers bei Deichausbauten im Einzugsgebiet der Weißen Elster ab 2013. Durch unkontrollierte Genehmigungspraxis erfolgte die Vernichtung des größten bekannten Winterquartiers des Großen Abendseglers im Leipziger Auwald in einer Alteiche am Schleußiger Weg. Es sind bis heute keine wintertauglichen Bauten zur Kompensation bekannt geworden. Verantwortliche Behörde: Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen.
Die Landestalsperrenverwaltung hatte sich bei der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde in Leipzig die Genehmigung geholt, hinter allen Deichen im Auenwald einen breiten Streifen zur „Verteidigung der Deiche“ freischlagen zu dürfen. Dabei wurden auf rund 13 Hektar hunderte wertvoller Auenwaldbäume gefällt, viele davon älter als 100 Jahre. Und auch die Warnungen der Umweltschützer, dass dabei wertvolle Biotopbäume gefällt werden, interessierte Leipzigs „Umwelt“-Behörde nicht.
2. Umweltschäden an Lebensraumtypen des Anhanges I der FFH-Richtlinie
Beispiel: Flachlandmähwiese (LRT 6510) auf Hochwasserschutzdeichen – generell in Sachsen: Hauptverbreitungsgebiet von extensiven Mähwiesen und mageren Flachlandmähwiesen in Sachsen befindet sich auf Deichen. Diese Biotope sind in Sachsen regelmäßig nicht Bestandteil von FFH-Gebieten. Deiche sind im Freistaat Sachsen auch automatisch als Hochwasserschutzanlagen vom Schutz als geschützte Biotope nach Paragraf 30 BNatSchG freigestellt. Bei der derzeitigen Rechtspraxis ist eine Kompensation nicht überprüfbar. Der Erhalt des Lebensraumtyps und Sicherung seltener Lebensraum-Subtypen kann bisher praktisch kaum durchgesetzt werden. Aktuelles Beispiel: Flächennutzungsplan der Stadt Wilsdruff (Lkr. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) aktuell im Auslegungsverfahren.
3. Schädigungen in Landschaftsschutzgebieten
Beispiel: Die Ausräumung der Flusslandschaften bei Leipzig von landschaftsprägenden Gehölzen im LSG ‚Leipziger Auwald‘. Anschließend erfolgte eine kilometerlange Einschlagung von Spundwänden und teilweise gesetzte Betonmauern in der Flusslandschaft. Dies stellt einen besonders schweren Fall einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes dar. Der Verlauf dieser negativen Entwicklung ist in mehreren Wellen seit dem Jahr 2003 jeweils unter Umgehung von geregelten Planfeststellungsverfahren zu beobachten. Verantwortliche Behörde: Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen.
Diese Deiche sperren bis heute das notwendige (Grund-)Wasser vom Auenwald ab. Auch hier spielt die Leipziger Umweltbehörde eine fragwürdige Rolle. Die gerade deshalb möglich ist, weil den Umweltverbänden entweder das Klagerecht vorenthalten wird. Oder sie klagen sich gegen die steuergeldfinanzierte Behördenmacht arm und insolvent.
Die Liste kann man fortsetzen: Entkrautung im Floßgraben, Flussbereinigung in der Pleiße, Bau des Harthkanals (mit Vernichtung der dortigen Eidechsenpopulation). Und aktuell die Klage der Grünen Liga gegen die Leipziger Forstwirtschaftspläne, diesmal getragen vom „Rebellen“ unter den Leipziger Naturschutzvereinen, dem NuKLA e.V. Aber der Waldumbau, wie ihn die Stadt Leipzig betreibt, vernichtet genauso systematisch wertvolle Altbaumbestände wie damals der Eingriff der Landestalsperrenverwaltung.
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„Wenn den Umwelt- und Naturschutzverbänden mehr Mitspracherechte eingeräumt werden, könnten viele unzulässige Praktiken endlich unterbunden werden“, ordnet Wolfram Günther die Bedeutung der erweiterten Verbandsklagerechte für den praktischen Naturschutz im Freistaat ein. „Vor allem Maßnahmen in Landschaftsschutzgebieten oder niedrigschwellige Verwaltungsverfahren in der Alltagspraxis werden oft ohne irgendeine externe Prüfung vollzogen. Diese machen aber einen Großteil der naturschutzrechtlichen Handlungen aus. Entsprechend groß sind ihre Auswirkungen auf den derzeit negativen Gesamttrend im Naturschutzbereich.“
Im Gesetzentwurf der Grünen-Landtagsfraktion sind Verbesserungen in folgenden Punkten auf Ebene des Sächsischen Naturschutzgesetzes vorgesehen:
– Durchsetzung erweiterter Rechte für Naturschutzvereinigungen entsprechend nach europäischen Vorgaben wie in Artikel 9 der Aarhus-Konvention (nationale Umsetzung im Umweltrechtsbehelfsgesetz) zur besseren inhaltlichen Umsetzung der Natura 2000-Richtlinien und der EG-Umwelthaftungsrichtlinie 2004/35/EG (nationale Umsetzung bisher in Umweltschadensgesetz i. V. mit § 19 BNatSchG
– Ausweitung der Klagerechte bezüglich der Schutzgebietskategorien „Landschaftsschutzgebiet“ (LSG) für anerkannte Naturschutzvereinigungen
– Entkopplung der landesrechtlichen Zulassung von Naturschutzvereinigungen und Stärkung regional agierender Vereine mit Naturschutzzielstellung
– Einführung von Verbandklagerechten zum europäischen Artenschutz gegenüber der Ausübung der guten fachlichen Praxis in der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei
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