Auf einmal drängt die Zeit. Am 22. August soll die Vorlage der Verwaltung „Veranstaltungen zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution 9. Oktober 2019“ im Stadtrat landen. Und damit auch der von vier Fraktionen getragene Änderungsantrag, die Verantwortung für die jährlichen Feste zum 9. Oktober von der Initiativgruppe „Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober“ auf ein „Kuratorium Friedliche Revolution 1989“ zu übertragen. In der Initiativgruppe schrillen sämtliche Alarmglocken.
Denn die vier beantragenden Fraktionen (CDU, Grüne, SPD und Freibeuter) würden damit zwar erreichen, dass die Ratsfraktionen damit – wie schon seit Jahren gewünscht – mehr Einfluss auf die Veranstaltungen zum 9. Oktober bekommen würden. Gleichzeitig aber würde es das Aus für die Initiative „Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober 1989“ bedeuten und damit auch das Ende eines umfangreichen zivilgesellschaftlichen Engagements und einer 17-jährigen selbstbestimmten, sehr ernsthaften und kompetenten Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur in Leipzig und der inhaltlichen Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 9. Oktober.
Mehrere Bürgerrechtler haben deshalb jetzt einen Aufruf an die Ratsfraktionen verfasst, mit dem sie das Dilemma und die Konsequenzen beschreiben. Unterschrieben haben den Appell Stephan Bickhardt, Rainer Eckert, Falk Elstermann, Gesine Oltmanns, Regina Schild, Walter Christian Steinbach, Rolf Sprink und Elke Urban.
Und ihr Schreiben versucht das Dilemma möglichst genau zu fassen.
Denn den Dissens in der Initiativgruppe gibt es tatsächlich. Aber nicht unbedingt zu der Frage, wer die inhaltlichen Vorgaben macht, was dann etwa zum Lichtfest auf dem Augustusplatz zu sehen ist, sondern um die Art der Umsetzung.
Der Appell formuliert es so: „In den zurückliegenden Jahren hat die Initiativgruppe erfolgreich mit dem Oberbürgermeister und dem Leipziger Stadtrat zusammengearbeitet und eine intensive inhaltliche Kooperation mit der LTM GmbH als Veranstalter des Lichtfestes aufgebaut. Thema, Motto und wesentliche inhaltliche Eckpunkte für die zentralen Veranstaltungselemente zum 9. Oktober wurden jedes Jahr in einem mehrstufigen Workshopverfahren entwickelt und deren Umsetzung im Anschluss an die Feierlichkeiten sorgfältig und kritisch ausgewertet.
Dass insbesondere die künstlerische Gestaltung des Lichtfestes unterschiedliche Reaktionen bei den Rezipient*innen hervorrufen kann, ist dem Format geschuldet und lässt keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Arbeit der Initiativgruppe zu. Ihr Engagement ist unübersehbar von einer intensiven und vielschichtigen Auseinandersetzung mit dem historischen Ereignis der Friedlichen Revolution, mit der aktuellen Lage der Demokratie in unserem Land und in ganz Europa und mit grundlegenden Überlegungen zur Entwicklung zeitgemäßer Formen des Erinnerns gekennzeichnet, die eine Brücke von der Historie in unsere gesellschaftliche Gegenwart schlagen.“
Das ist ein hoher Anspruch. Aber auch die vier beteiligten Fraktionen sehen das nun in zumindest drei Jahren in Folge nicht erfüllt. Sie sprechen von Eventisierung und Kommerzialisierung. Und so ähnlich war ja auch der Einspruch der beiden Mitglieder der Initiativgruppe, die gerade die Umsetzung kritisiert haben. Gerade das Lichtfest scheint zunehmend ein Zuschau-Format geworden zu sein, das viele Leipziger kaum noch anspricht.
Die Umsetzung aber liegt nicht bei der Initiativgruppe. Die gibt nur die Vorlage. Umgesetzt wird das Lichtfest dann von Leipzig Tourismus und Marketing GmbH. Aber genau die soll dann – nach dem Willen der vier Fraktionen – auch wieder das Kuratorium mit der Umsetzung beauftragen.
Das sieht ganz so aus, als ob man damit zwar die Initiativgruppe aus dem Rennen nimmt – das eigentliche Problem aber einfach übernimmt. Dass die Initiativgruppe in der Form etwas Einmaliges ist, betonen die Autoren auch: „Dass sie sich 2001 aus eigener Initiative gegründet hat und seitdem einem selbstgesetzten Auftrag dient, ist nicht nur einmalig in Deutschland. Es steht aus unserer Sicht ebenso in der Tradition des Herbstes 89 und der Selbstermächtigung (zivil)gesellschaftlicher Kräfte, wie es Leipzig als ‚Stadt der Friedlichen Revolution‘ gut zu Gesicht steht.“
Aber wie soll das Dilemma dann gelöst werden? Die Ratsfraktionen haben ja schon mehrfach ihr Interesse bekundet, in der Initiativgruppe mitzumachen.
„Der Initiativgruppe empfehlen wir, sich der gewünschten Beteiligung durch Vertreter*innen der Stadtratsfraktionen zu öffnen und damit die demokratische Basis ihrer Arbeit weiter zu stärken“, schreiben die acht Bürgerrechtler. Das würde auch die Informationsdefizite mindern, die gerade in den vier antragstellenden Fraktionen den Eindruck erwecken, es ginge in der Initiativgruppe drüber und drunter, obwohl es ganz konkrete Streitpunkte sind, die einige nicht ganz unwichtige Gruppenmitglieder zur Kritik herausgefordert haben.
Man sollte also genau über diese Streitpunkte reden und herausbekommen, warum sie da sind. Und was man daran ändern sollte.
Nicht einmal die Möglichkeit, dass das Lichtfest 2018 vielleicht doch wieder ein „Knaller“ wird, hat eine Chance, wenn schon am 22. August tabula rasa gemacht wird.
Aus Sicht der acht Briefschreiber eigentlich eine Katastrophe.
„Diese erfolgreiche Entwicklung würde von einem Tag auf den anderen beendet, wenn der Stadtrat einem interfraktionellen Änderungsantrag zu einer Verwaltungsvorlage zustimmt, der vorsieht, die inhaltliche Verantwortung für die thematische Schwerpunktsetzung des Lichtfests sowie der begleitenden Programme“ dem zu gründenden „Kuratorium Friedliche Revolution 1989“ zu übertragen, das „als Beirat gemäß §47 SächsGemO berufen“wird.“, schreiben sie.
„Wir empfehlen den beteiligten Stadtratsfraktionen deshalb dringend, diesen Antrag zurückzuziehen. Durch diesen formalen Akt würde eine Struktur zerschlagen, die sowohl in ihrer vielfältigen Kompetenz als auch in ihrer Arbeitsweise und ihrer Netzwerkfunktion in der Stadtgesellschaft für die nachhaltige Erinnerung an die Friedliche Revolution in Leipzig nicht zu ersetzen ist.“
Und eigentlich würde auch die notwendige Diskussion unterlassen, warum das Lichtfest in den letzten Jahren immer weniger Zustimmung bekam. Was ja eine durchaus fruchtbare Diskussion werden könnte, erst recht, wenn sie auch noch öffentlich geführt wird. Ja, so ungefähr wie 1989 im Academixer-Keller oder im Gewandhaus.
Vielleicht verstört das am meisten, dass so wenig öffentlich diskutiert wird. Und vielleicht würden Academixer, Gewandhaus oder (auch damals in Aktion) die Moritzbastei sogar wieder mitmachen.
Ist schon echt blöd, wenn einem die naheliegendsten Sachen immer erst so spät einfallen.
Der Offene Brief der Bürgerrechtler.
Vier Ratsfraktionen setzen ein klares Zeichen gegen die Eventisierung des Leipziger Lichtfestes
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