Vom 12. bis 14. September findet in der Alten Börse zu Leipzig das 2. Internationale Auenökologiesymposium statt. Veranstalter ist der NuKLA-Verein zusammen mit der Arbeitsgruppe Artenschutz Thüringen aus Jena, der Fördergemeinschaft Tierökologie und Naturkunde Höxter sowie Riverwatch Wien. L-IZ sprach mit dem Auenexperten Prof. Bernd Gerken von NuKLA.
Symposion bedeutet im Altgriechischen so viel wie „gesellig Trinken“, woraus sich Symposium als Begriff für wissenschaftliche Konferenz entwickelte. Welchen Wein wollen Sie im September einschenken?
Wir haben mehr als 20 teilnehmende und mitwirkende Referenten gefunden, die gerne nach Leipzig kommen und aus vielen Sparten der Auenökologie berichten. Möglichkeiten der Revitalisierung von Auen nehmen darin einen bedeutenden Zeitanteil ein. Das ist ein gutes Zeichen – das Thema ist wichtig. Und es gibt dazu viele herausfordernde Untersuchungen und praktische Ergebnisse.​
Revitalisierung bedeutet, dass die Fließgewässer wie lebende Organismen betrachtet werden – somit zielt Revitalisierung darauf ab, alle Eigenschaften und Funktionen soweit als möglich wiederherzustellen. Vielerorts sind Gewässer so umfassend geregelt, kontrolliert, kanalisiert, dass das eine sehr umfassende Aufgabe ist.
Aber überall, wo die Gewässer derart ihrer Natur entfremdet wurden, wie wir es auch in Leipzig, der „Stadt an der Aue“, erleben, ist die Wiederbelebung möglich, trotz der Siedlungs-, Straßen- und weiteren Nutzflächen. Es gibt auch im Leipziger Auwald keine Situation, die sich einer gesamtökologischen Aufwertung entziehen würde. Das Symposium will dazu beitragen, dass dieses Verständnis Freunde findet.
Auf welche Themen, Aspekte sowie Referenten freuen Sie sich besonders? Weshalb?
Auenlandschaften bieten bedeutende Resträume der Artenvielfalt, und Leipzig hat eines der größten, zusammenhängenden Auwaldgebiete in Europa direkt vor der Haustür. Wir richten nun dieses zweite Internationale Auensymposium wieder hier aus, weil eben nicht alles Mögliche getan wird, diesen Auenwald zu erhalten, ihm seine Lebensbedingungen wieder zurückzugeben, wo immer das möglich ist.
Also ist Umweltbildung ein großes Thema – sie ist in vieler Munde – jedoch haben wir noch viel zu tun. Das liegt beispielsweise daran, dass in Kindergärten, Schulen und Universitäten​​ eine naturkundliche Allgemeinbildung noch immer zu kurz kommt – abgesehen von Ausnahmen – doch das Kenntnis- und Motivationsdefizit ist beträchtlich​​. Wer kennt mehr als fünf Schmetterlingsarten oder mehr als 30 Vogelarten​? Was steckt hinter dem Rückgang der Insekten? Die letzte Frage können wir leider sehr leicht beantworten, die Situation zu ändern, ist jedoch anscheinend sehr schwer: Wir mähen die Blüten – in Stadt und Land, an allen Wegen. Die früher blühenden Umwelten sind grün geworden.
In den vergangenen Tagen bot die Stadt Leipzig die Möglichkeit an, sich mit blühenden, artenreichen Wiesen zu befassen – und just zu diesen Ortsterminen wurden sehr viele Wiesen zu früh, zu vollständig gemäht. Wo sollen Insekten und die vielen von ihnen genährten anderen Tierarten denn leben, wenn wir ihnen die Speisekammer leer räumen und den übrigen Teil der Landschaft begiften, weil wir mit unserer fehlgeleiteten Agrarindustrie die Nachfrage ohne Gift nicht mehr bewältigen können? In der Natur haben sich seit vier Milliarden Jahren alle Organismen ohne Gifte ernährt, auch wir Menschen – unsere Urgroßeltern konnten nichts anderes als „Bio“ kaufen oder wachsen lassen.
Inwiefern wird sich dieses Symposium vom ersten unterscheiden?
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Die Themen des ersten Symposiums vom vergangenen Jahr sind so aktuell, dass auch das zweite sich diesen Fragen zu widmen hat. Ich habe seit den 1980er Jahren bereits zahlreiche Symposien organisiert oder begleitet. Thematisch haben sich die Dauerbrenner kaum geändert. Dafür sind die Eingriffe unserer Zivilisation in die Ökosysteme noch immer zu umfassend und zu invasiv. Wir vergessen bei unserem auf Wirtschaftlichkeit zielenden Tun sehr oft, dass menschliches Leben auf dieser Erde nur auf Grundlage einer funktionsfähigen Natur gelingen kann. Wir brauchen sauberes Wasser, gute Luft und so oft als möglich die Abwesenheit von Lärm. Diese Angebote machen uns der Wald, die Wiese und der Rastplatz am sauberen, gurgelnden Wasser, das nicht in kantigem Beton gefesselt ist.
Uns ist es wichtig, den Begriff „Wildnis“ mit den allerorten sich ausbreitenden Siedlungen, Industriegebieten, den urbanen Landschaften zu verbinden. Es gilt, viel mehr Natur in diese monotonen „eingegrünten“ Landschaften einzubinden. Passen wir die Bebauungs- und Pflegepläne an! Es gilt auch, Wildnisgebiete zu schaffen und zu erhalten, in denen der Mensch sich erholen, spielen und lernen kann. Dem Menschen sollte naturnahe, technisch unbelastete Natur geschenkt werden, wo immer möglich.
Was wird voraussichtlich thematisch vertieft?
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Die Revitalisierung der Leipziger Auenlandschaft stagniert seit Jahren, daran können auch Umweltpreise oder das zu klein gedachte Projekt Lebendige Luppe nichts ändern. Wir holen Referenten in die Stadt, die umfassende Revitalisierungsprojekte vorstellen. Auch in unseren Auenworkshops stellen wir Beispiele vor, die erfolgreich Auen oft mitten in den Städten wieder zum Leben erwecken – und die von der Bevölkerung von Anfang an begleitet und schon intensiv genutzt werden. Die Ruhr mitten in Arnsberg ist ebenso ein Beispiel wie die Isar in München.​
​Die Vorträge unter anderem aus Nordrhein-Westfalen werden auch zeigen, dass mit der Wiederkehr der Natur die Hochwassersicherheit verbessert wird. Und es wird von mehreren Referenten begründet ausgeführt werden, dass die Hochwassergefahr nicht nur auf ungebremste Ausdehnung der Siedlungen, sondern auf Art und Umfang der Ausbaumaßnahmen der Flüsse zurückzuführen ist, die zum Beispiel in Leipzig in den 1930er Jahren durch den Bau der Neuen Luppe heraufbeschworen wurden.
​Die in der Einladung formulierte Zielgruppe – Verwaltung, Naturschützer, Wissenschaftler, Privatleute – erscheint mir ein überaus breites, um nicht zu sagen überbreites Spektrum.
​Das sehe ich nicht so – die Auen gehen alle Bürger an. Frau Prof. Nissen stellte vor ein paar Tagen Ergebnisse einer Umfrage vor: Bei den Leipziger BürgerInnen rangiert der Auwald in der Akzeptanz und im Wunsch auf gute Pflege und Entwicklung absolut in den 80-90%-Rängen. ​Tatsächlich zeigen vielerorts in Europa durchgeführte Revitalisierungsmaßnahmen, dass die Zahl der technischen Bauwerke an Flüssen sehr stark reduziert werden kann.
In den USA sprengt man beispielsweise ganze Staudämme, weil man deren Nachteile erkannt hat. In und um Leipzig gibt es zu viele solcher Bauwerke – daher sind auch Verwaltungen eingeladen, das Vortragsangebot wahrzunehmen. Es gilt Chancen aufzuzeigen, aus den Erfahrungen anderer zu lernen.
Eine Aussage dieses Symposiums wird sein, dass naturnahe Auen zu allen Anforderungen der Menschen an die Natur, zum Beispiel an sauberes Trinkwasser, grundlegende Beiträge leisten. Dazu müssen wir die Auen aber lebendig erhalten oder wieder lebendig machen.
Werden die umweltpolitischen Gräben im wissenschaftlichen Diskurs spürbar sein?
​Die Stadt Leipzig war im vergangenen Jahr durch Referat und Teilnehmende​ vertreten – diesmal gibt es kein Referat aus der Stadtverwaltung – ich gehe jedoch davon aus, dass Verwaltungsmitglieder teilnehmen werden.
Insgesamt war der Saal im Mai 2017 zu einem Drittel gefüllt – das war für einen Neustart gar nicht so übel. 2018 kommen sehr viel mehr. ​​Es liegen schon einige Anmeldungen vor. Ich würde mich sehr freuen, wenn auch die städtischen und Landesbehörden teilnehmen. Das Land Sachsen wird durch Referenten zum Thema Umweltbildung beziehungsweise Gestaltungspraxis am Fluss vertreten sein.
Lassen Sie mich mit einem mehr als 500 Jahre alten Zitat von Leonardo da Vinci enden: „Weil der Fluss umso schneller wird und den Damm umso mehr zernagt und zerstört, je gerader er ist, deshalb ist es nötig, solche Flüsse entweder stark zu verbreitern oder sie durch viele Windungen zu schicken oder sie in viele Zweige zu teilen.“
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Es ist dies vom Interviewer ja vermutlich ironisch gemeint “… und zufriedene Schafe am Nahleberg ”
​Man ergänze: wer die Schafe fragen könnte, und wenn sie uns antworten könnten, ​müsste gewiß hören, dass sich ihr Wohlbefunden verbessern wird, wenn sie auf eine artenreichere Wiese zum Weiden gelassen würden – sie dürften beispielsweise auch den angrenzenden Wald beweiden, wo sie ihn als lichtreich genug empfinden – was nun nicht bedeutet, eigens dafür noch mehr Femellöcher anzulegen!. Aber Schafe und wildnah gehaltene Rinder wären auf den Femellöchern, von denen es nun genug gibt, allemal besser als Freischneider die stinken, Lärm machen und den ausführenden einen ungesunden, nervösen Arbeitsplatz bescheren!
2. In der Burghaue muß kein Gewässer neu angelegt werden, um den Auenwald wieder wirklich zu beleben. Es sind genug alte Luppe-Gerinne anzutreffen. Was dafür zu geschehen hat, und möglich ist, ist die Teil-Öffnung der Deiche an Nahle und Neuer Luppe, die veränderte Steuerung des Gewässerknotens und wenige und wenig kostenintensive! weitere Begleitmaßnahmen. Damit würde der Bevölkerung ein beachtlicher Teil neu zu leben beginnender Aue beschert werden.