Das passiert dann auch eher selten, dass der Leipziger Umweltbürgermeister zum Pressegespräch einlädt, weil es eine Namensänderung gibt. Vielleicht waren deshalb auch nur eine Radioreporterin und zwei Journalisten da. Die Sommerhitze war garantiert nicht schuld. Das Thema wohl eher, denn auch die meisten Leipziger Medien können mit dem Stichwort Nachhaltigkeit nicht viel anfangen. Sie leben und arbeiten noch im letzten Jahrhundert. Dabei geht es bei Nachhaltigkeit um unsere Zukunft.
Unser aller Zukunft. Und die aller kommenden Generationen. Denn das, was wir Menschen derzeit mit unserem Planeten anstellen, ist eine Vernichtung von Ressourcen, Lebensbedingungen und Zukunft. Und nicht die Chinesen oder Afrikaner sind schuld, auch wenn die großen Medien seit drei Jahren nur noch das Lied der AfD von der „Flüchtlingskrise“ plärren.
Aber wir haben keine Flüchtlingskrise.
Wir haben eine Zukunftskrise. Und dass Millionen Menschen auf der Flucht sind, hat nicht nur mit Kriegen zu tun, sondern auch mit Verlust von fruchtbaren Böden, zerstörten Wäldern, schwindenden Trinkwasservorräten. Und der Klimawandel, dessen Folgen wir in Sachsen derzeit als Dürre erleben, schneidet überall auf der Erde in die Lebensgrundlagen der Menschen ein.
Das ist das Mega-Thema, über das wir eigentlich reden müssten.
Stattdessen diskutieren wir über die Schreckensbilder der Rechtsradikalen.
Aber natürlich redet es sich „über andere Leute“ leichter als über die eigene Verantwortung. Denn das haben wir nicht gelernt. Das ist das Große am Thema Nachhaltigkeit, vor dem sich die meisten Bürger Leipzigs fürchten. Deshalb gab es am Mittwoch, 11. Juli, beim Pressetermin im Neuen Rathaus auch kritische Töne zu hören – auch von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal, der das Thema „Nachhaltigkeit“ ja quasi durch sein Amt auf dem Tisch hat und der zumindest andeuten kann, dass es auch innerhalb der Verwaltung zuweilen heftige (Verteilungs-)Kämpfe gibt, wenn es um nachhaltige Weichenstellungen geht.
Doch wenn die Verwaltung sich selbst bremst, werden natürlich auch die selbstgesteckten Zielmarken nicht erreicht. Rosenthal nannte als Beispiel den Co2-Ausstoß der Leipziger. Man sei zwar im Klimaprozess in Leipzig nicht schlecht aufgestellt, sagt er. „Aber wir kommen nicht in dem Maße voran, wie wir uns das eigentlich wünschen.“
Und man merkt auch, dass ihn die wild ausufernde Debatte in deutschen Medien irritiert. Da wird zwar die ganze Zeit von oben herab über Flüchtlinge geredet. „Aber unsere eigene Verantwortung für die Übel in der Welt findet in der aktuellen Debatte überhaupt nicht statt.“
Denn kein einziger Leipziger kann wirklich behaupten, er hätte keinen Anteil daran, dass die Ressourcen der Welt ausgeplündert werden und sich das Klima immer rapider ändert. Es ist unser eigenes (Konsum-)Verhalten, das für die Unwucht verantwortlich ist. Was erst einmal wie ein Vorwurf klingt.
„Mit dem Holzhammer bekommt man diese Themen nicht vermittelt“, sagt Rosenthal.
Aber es steckt eben auch noch etwas anderes dahinter: Wenn wir selbst Verantwortung tragen für die Verwüstung der Welt, können wir unser eigenes Verhalten auch ändern.
Das steckt auch in der 2015 von der UNO verabschiedeten „Agenda 2030“, die mit ihren 17 „Sustainable Development Goals“ die Ziele der Agenda 21 (nicht zu verwechseln mit Gerhard Schröders wilder „Agenda 2010“) neu definiert hat. Die 1992 in Rio de Janeiro beschlossene „Agenda 21“ hatte erstmals Ziele (Goals) definiert, wie die Staaten der Erde endlich die Verwüstung der Welt beenden und zu einem nachhaltigen Wirtschaften übergehen könnten. Dazu wurden auch einige wichtige Zielmarken definiert – so der Abbau des CO2-Ausstoßes durch fossile Energieträger.
„Aber einige dieser Parameter haben sich eher noch verschlechtert“, sagt Prof. Dr. Dieter Rink vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), einer der beiden Sprecher des bisherigen Koordinierungskreises der „Leipziger Agenda 21“. Um die und ihren Namenswechsel ging es ja am Mittwoch.
1996 hatte der Leipziger Stadtrat beschlossen, den Agenda-21-Prozess für Leipzig zu übernehmen und auch mit einem eigenen Agenda-21-Büro fest zu verankern. Die Stadt finanziert dieses Büro seitdem, die eigentliche Arbeit aber erfolgt ehrenamtlich – im Koordinierungskreis, im Beirat und in mehreren thematischen Arbeitsgruppen. Und da sitzen vor allem Leipziger engagierte Bürger, Forscher wie Rink, aber auch gerade jene Unternehmer drin, die das Thema angeht.
Denn der nachhaltige Umbau einer Stadt passiert auf vielen Themenfeldern. Zentral für den Leipziger Agenda-Prozess sind zum Beispiel Themen wie Regionalvermarktung, Fairer Handel, aber auch Bürgerbeteiligung, Ernährung, Landwirtschaft. Man merkt schon, dass das alles Themen sind, bei denen jeder Leipziger mitmachen kann.
Aber ein Problem – so Dieter Rink – ist natürlich immer auch die Kommunikation. Wie bindet man die Leipziger in so ein Thema ein? Da gibt es, so Ralf Elsässer vom Agenda-Büro, ganz gewiss Verbesserungsbedarf.
Und auch der jetzt – nach intensiven Diskussionen im Beirat – beschlossene Namenswechsel gehört dazu. Denn augenscheinlich konnten viele Leipziger mit dem Namen „Agenda 21“ wenig anfangen. Und da die UNO ihre Ziele mit der „Agenda 2030“ sowieso geschärft hat, war auch die Frage aktuell: Passt der alte Name noch zum Inhalt?
Denn die 17 Nachhaltigkeitsziele von 2015 hat man ja schon längst zur Grundlage der eigenen Arbeit gemacht, wie Rink betont. Zwar geht es Leipzig genauso wie der UNO: Die Ziele von 1992 wurden nicht erreicht. Man scheiterte auch hier an lauter Beharrungswiderständen, Bequemlichkeiten oder dem Üblichen „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Fast überall fehlt auch die Fähigkeit, in nachhaltigen Kategorien zu denken.
Aber wenigstens können die engagierten Leipziger mit dem Begriff Nachhaltigkeit schon etwas anfangen.
Deswegen sollen die Aktivitäten künftig unter dem Namen „Forum Nachhaltiges Leipzig“ weiterverfolgt werden. Eine entsprechende Vorlage, die die Namensänderung und Informationen zu Struktur und Inhalt der Arbeit beinhaltet, hat Heiko Rosenthal gerade zur Information an die Ratsfraktionen weitergeleitet.
Denen ist das Thema nicht neu, denn viele Stadträtinnen und Stadträte arbeiten schon in den Arbeitsgruppen mit, wissen also, was in Leipzig getan werden müsste, um die Stadt klimafreundlicher, energiesparender, gesünder, sozialer, zukunftsfähiger zu machen – alles Begriffe, die in das Thema Nachhaltigkeit hineingehören. Deswegen spielen die Kommunen in diesem Prozess so eine wichtige Rolle. Sie sind das Labor, in dem Zukunftslösungen ausprobiert werden können.
Die Arbeitsstruktur mit Beirat (15 Mitglieder) und Koordinierungskreis (20 Mitglieder) bleibt erhalten. Nur werden Stadt und Stadtrat künftig öfter zu hören bekommen, was im „Forum Nachhaltiges Leipzig“ besprochen und thematisiert wird.
Eine neue Homepage „Nachhaltiges Leipzig“ ist schon im Entstehen. Ein neues Logo mit einem stilisierten N wie Nachhaltigkeit gibt es auch schon.
Und Heiko Rosenthal lädt alle Bürger zum Mitmachen ein. Nur dann funktioniert die Sache wirklich. Denn wenn viele wichtige Vorhaben in Verwaltung oder auch Stadtrat hängenbleiben, dann liegt das oft genug auch daran, dass noch lange nicht genug Leipziger mitmachen und Druck aufbauen gegen die alte, weltzerstörende Art des Lebens, Konsumierens und Wirtschaftens. Man kann es nicht immer nur einigen wenigen Aktivisten, wie es so schön heißt, überlassen. Gerade wenn es um die Zukunft der Stadt geht. Da sind alle gefragt, die sich um mehr sorgen als nur den eiligen Einkauf im Shop.
Und weil viele schon verzagen, wenn es um so simple Fragen geht wie „Was kann ich denn nun für den Klimaschutz tun?“, wird eines der nächsten Projekte, die das „Forum Nachhaltiges Leipzg“ initiiert, eine Klimaschutzagentur sein, kündigt Rink schon mal an. Und das Jahr 2019 steht unter dem Thema „Nachhaltige Bildung“. Da sollte man vielleicht mal den sächsischen Bildungsminister einladen.
Und da das „Forum Nachhaltiges Leipzig“ vor allem als Beratungsgremium fungiert, wird es auch die regelmäßigen Treffen mit der Verwaltung geben. Etwa zwei Mal im Jahr gibt es diese großen Treffen mit der Verwaltungsspitze, in denen sich die Bürgermeister auch mal anhören müssen, wie die unabhängigen Köpfe aus der bisherigen „Agenda 21“ die Nachhaltigkeitsbemühungen der Stadt einschätzen.
Und auch Heiko Rosenthal gibt zu: „Da ist noch Luft nach oben.“
Leipzig wird seine Klimaschutzziele für das Jahr 2020 meilenweit verfehlen
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