Der Kern der bisherigen Geschichte, an der aktuell noch keine Politik, kein heraneilender Leipziger Oberbรผrgermeister oder die streikenden Kumpels der โ€žNeuen Halberg Gussโ€œ (NHG) an der Merseburger StraรŸe etwas รคndern kรถnnen, ist schnell erzรคhlt. Der bosnische Autoteilezulieferer โ€žPreventโ€œ befindet sich in einem Dauerclinch um Preise und Lieferbedingungen mit der als sparsame Einkรคufer bekannten Volkswagengruppe und erwarb vor einigen Monaten auch die NHG mit Werken in Leipzig und Saarbrรผcken. Nun ist die SchlieรŸung in Leipzig zu Ende 2019 angekรผndigt, fรผr gesamt 700 Industriearbeitsplรคtze in Leipzig und 300 weitere an der Saar soll dann Schluss sein. Doch damit beginnt eine neue Geschichte. Die L-IZ.de war vor Ort.

โ€žGoliath gegen Goliathโ€œ, so nennt IG-Metaller Thomas Arnold die Auseinandersetzungen zwischen VW und Prevent den Lieferkrieg, in welche die Angestellten in Leipzig und Saarbrรผcken nun geraten sind. Denn die eigentliche Auseinandersetzung liefern sich die Wolfsburger mit Prevent Sarajevo und das nicht zum ersten Mal. Dabei wird auch klar: die Prevent-Gruppe hat sich, anfangs als Zulieferer fรผr Autositze, zu einem veritablen Gegner der VW-Gruppe gemausert. Durch immer mehr Beteiligungen und Firmenkรคufe hat Prevent zunehmend die Autobauer von sich abhรคngig gemacht und versucht so im jahrelangen Preiskampf die Machtverhรคltnisse zu drehen.

Wie in anderen Branchen auch, glaubte sich die teilstaatliche VW-Gruppe hingegen sicher als Markenmacher und โ€žsourcte ausโ€œ, lieรŸ bauen und kaufte mit hohem Preisdruck die benรถtigten Teile am Markt zusammen, mehr und mehr von Prevent. Anfangs die billigere Alternative, flexibler zudem, konnte man so doch statt langwierige Entlassungen zu verhandeln, schnell den Anbieter wechseln, wenn man wollte.

In der NHG Leipzig und Saarbrรผcken werden jedoch mittlerweile entscheidende Autoteile wie Zylinderkurbelgehรคuse, Kurbelwellen bis hin zu Dreizylinderblocks fรผr Pkws und groรŸvolumigen V8-Aggregaten fรผr Nutzfahrzeuge gebaut. โ€žWir haben hier keine `schwierige Bude`โ€œ, so Thomas Arnold gegenรผber L-IZ.de mit Blick auf das Werksgelรคnde, โ€žwir haben nur den falschen Gesellschafterโ€œ. Denn die Neue Halberg Guss GmbH lรคuft gut, das hoch spezialisierte Leipziger Unternehmen macht Gewinn und soll dennoch geschlossen werden. Denn sie ist eben nicht Teil von Volkswagen, sondern einer Firma in Sarajevo.

Die jรผngste Eskalation scheint nun eine Art Entscheidungsschlacht zu werden: Wรคhrend Prevent sich in der Lage sah, Preise fรผr Zulieferteile teils um das Zehnfache erhรถhen zu wollen oder kรถnnen, kรผndigte Volkswagen als Reaktion an, die benรถtigten Teile selbst zu bauen. Nur wo, hat VW nicht gesagt. Auf den Presseseiten des Konzerns finden sich keine aktuellen Meldungen zur Auseinandersetzung, offiziell ist es ein Arbeitskampf bei Prevent und der NHG.

Lage extrem schwierig, Stimmung kampfbereit

Wenn man dieser Tage Nachts auf das Gelรคnde der NHG Leipzig kommt, trifft man auf kampfbereite Mรคnner mit schwerem Hรคndedruck, die sich in den beiden Werkszufahrten postiert haben. Dazu eine mittlerweile eingespielte Organisation und zunehmend Besucher, die zur Unterstรผtzung bereit sind. Viele Autos, die vorrรผberfahren, hupen, um Solidaritรคt zu zeigen โ€“ hier und da reckt sich eine geballte Faust ins Dunkel.

Und eine rote Linie ist auf Beton gemalt, bis zu welcher alle nur gehen dรผrfen. Vor ihr die Mitarbeiter der NHG, die seit รผber zwei Wochen streiken, blockieren und Feuer entzรผnden. Hinter der roten Linie, im Gebรคude ein Zweimannwachschutz mit gelben Alarmwesten und eine Kamera, die jeden รœbertritt der Markierung registriert. So sei das nun verhandelt, sagt Thomas Arnold, ein Teil der Einfahrten ist รถffentlicher Grund, da dรผrfte man sich aufhalten โ€“ hinter der Linie Betriebsgelรคnde und fรผr die Streikenden ein No-Go-Areal. Da es eine Abstimmung gab, bei welcher 100 Prozent der NHG-Angestellten fรผr den Ausstand stimmten, also fรผr alle.

Tagsรผber tauchte in den vergangenen Tagen die Polizei und ab und zu eine freundliche, aber wenig hilfreiche Anwรคltin von Halberg Guss auf. Es wird gestreikt, in der Donnerstagnacht, am 29. Juni, sind es bereits 16 Tage. Und man hat bereits klare Zeichen gesetzt: Lkws mit Ware wurden nicht vom Hof gelassen, in einigen Firmen, wie beim schwedischen LKW-Bauer โ€žScaniaโ€œ, kommt es zu ersten Lieferproblemen, weitere VW-Firmen haben lรคngst Probleme an Bauteile aus Leipzig und Saarbrรผcken zu kommen.

Im Interview Thomas Arnold (IG Metall) und Holger Mann (SPD, Landtag Sachsen)

Video: L-IZ.de

Die Situation fรผr die Streikenden ist grotesk

Im Prinzip bestreikt man den eigenen Eigentรผmer Prevent und entzieht dem Kunden VW die Ware; Druck in zwei Richtungen und doch die Hoffnung auf Hilfe von VW. Dies und permanente ร–ffentlichkeit und Unterstรผtzung vor Ort wie in der Presse: etwas anderes bleibt dem David in diesem โ€žSpielโ€œ nicht. Von der Politik erhofft sich Gewerkschafter Thomas Arnold eine Vermittlerrolle, Leipzigs OB Burkhard Jung war schon da, kann aber nicht viel tun. Das Niveau des Spiels ist national und mindestens europaweit, der Schlรผssel fรผr eine Lรถsung liegt wohl beim SPD-regierten Bundesland Niedersachsen und den 11,8 Prozent, die somit der Staat an VW hรคlt.

So nimmt es nicht Wunder, dass lรคngst ein Stelldichein von SPD-Politikern bei den Streikenden begonnen hat, am Samstag wird nun auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) gegen 12:30 Uhr erwartet.

Am Ende wird es wohl um Niedersachsens Ministerprรคsidenten Stephan Weil (SPD) gehen und die Frage, wie lange sich unter Umstรคnden auch die mit 30,8 Prozent beteiligte Porsche AG die Lieferengpรคsse und beginnende Regressforderungen bei Lieferausfรคllen gegen den VW-Konzern anschauen kann.

Man erinnert sich: David gewann gegen einen Goliath, weil er groรŸen Mut bewies, aber auch eine Schleuder zur Hand hatte. Mit nur einem Stein fรคllte er so seinen scheinbar รผbermรคchtigen Gegner. Dieses Mal scheint er einen der beiden Riesen als Unterstรผtzer zu brauchen. Der Blick richtet sich dabei eher nach Wolfsburg als nach Bosnien-Herzegowina, wie auch der Landtagsabgeordnete Holger Mann (SPD) gegenรผber der L-IZ.de anklingen lรคsst.

Hier hofft er letztlich auf ein Einlenken im groรŸen Spiel aus Erpressung und Gegenerpressung zugunsten der beiden Werke in Leipzig und Saarbrรผcken. Vielleicht kรถnnte am Ende stehen, dass VW dazulernt und die Produktion der benรถtigten Autoteile tatsรคchlich wieder nรคher ans Mutterschiff heranzieht.

Welchen Weg die Wolfsburger dabei zu gehen gedenken, ist jedoch offen und im Zweifel ebenso unmenschlich wie das Verhalten von Prevent in der Auseinandersetzung, wenn man die angekรผndigte Eigenproduktion mit der Rechnung versieht, dass in Leipzig und an der Saar eben rund 1.000 Industriearbeitsplรคtze wegfallen, die dann woanders hinwandern.

Heimliche NutznieรŸer?

Letztlich blieb unklar, was die GieรŸerei Heunisch aus dem bayerischen Bad Windsheim mit Werken ua. in Thรผringen und der tschechischen Republik wollte. Doch eine Anfrage bei der LEIPZIGER ZEITUNG am 18. Juni 2018 stellte eine Stellenanzeige fรผr Fachkrรคfte fรผr den 23. Juni 2018  in Aussicht; allerdings hatte man die Leipziger Monatszeitung mit einer Tageszeitung verwechselt. Offenbar wollte man im Raum Leipzig die begehrten Fachkrรคfte aus der Autozulieferbranche ansprechen, scheinbar braucht man neue Mitarbeiter in Bayern.

Von hier aus beliefert man unter anderem die Nutzfahrzeughersteller Scania, MAN und Volvo. Und man wird wohl bei Heunisch wissen, dass in Leipzig versierte Gussmodellbauer und GieรŸer arbeiten, die sich mit dem Innenleben eines Kraftfahrzeuges auskennen.

Sollte dies die neue Taktik von VW sein, haben die Angestellten der NHG, die gern weiter in Leipzig und Saarbrรผcken leben wollen, jede Unterstรผtzung verdient.

Die rote Linie und rechts wohnt die Kamera. Foto: Michael Freitag
Die rote Linie und rechts wohnt die Kamera. Foto: Michael Freitag

In Leipzig steht offenkundig fรผr 700 Familien neben den Verwurzelungen im Job auch die Zukunft in der Region auf dem Spiel. In Saarbrรผcken weiรŸ man laut IG-Metaller Thomas Arnold, dass die Gesamtkonstellation nicht beim Abbau von 300 Arbeitsstellen endet. Auch da haben รผber 90 Prozent der Angestellten den Streik beschlossen. Ob und wie Volkswagen hingegen die Produktionskapazitรคten in Leipzig und an der Saar kaufen kรถnnte, ist vollkommen unklar.

Und mancher hofft lรคngst auf weitere โ€œSpielerโ€ aus Politik und der Branche im Interesse der Streikenden an der Merseburger LandstraรŸe.

Am Samstag wollen jedenfalls nach L-IZ-Informationen neben Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig nun die Mitglieder des alternativen Motorradclubs โ€œKuhle Wampe MCโ€ vorfahren. Auch, um eindrucksvolle Bilder der Solidaritรคt mit denen zu senden, die Ende 2019 auf der StraรŸe stehen kรถnnten, wenn das โ€œSpielโ€ um Milliarden mal wieder die Menschen vergisst.

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