Im Februar äußerte ja schon Susanne Metz, die Leipziger Leiterin der Leipziger Stadtbibliothek, ihr großes Bedauern darüber, dass das von der Stiftung „Bürger für Leipzig“ in der Stadtbibliothek initiierte Erzählcafé seinem Ende entgegengeht. Die Veranstaltung hatte im Lauf der Monate immer mehr Zuspruch bei den älteren Leipzigern gefunden. Nun findet tatsächlich das letzte Erzählcafé statt.
Die Reihe Erzählcafé „Leipzig in den 60er Jahren“ findet am Montag, 14. Mai, um 16 Uhr in der Stadtbibliothek am Leuschner-Platz ihren Abschluss. Die Stiftung „Bürger für Leipzig“ und die Leipziger Städtische Bibliotheken nutzen die letzte Veranstaltung, um Bilanz zu ziehen und nachzufragen: Wie veränderte sich das Leben in den 1960er Jahren, was waren die Träume jener Zeit, was die Probleme? Was bleibt an Erinnerungen, was bleibt an Spuren?
Aber eines steht schon fest: Für die Veranstalter war die neunteilige Reihe ein großer Erfolg. Das Erzählcafé in der Stadtbibliothek wurde zum Ort, um sich mit Gleichaltrigen gemeinsam an die Alltagsgeschichte und -geschichten zu erinnern. Ein Veranstaltungsraum der Bibliothek wurde eigens zum Kaffeehaus umfunktioniert, es gab stilgerecht Kaffee aus Sammeltassen und Kuchen.
Für Susanne Metz, Direktorin der Leipziger Städtischen Bibliotheken, trugen das Format und die Kooperation mit der Stiftung zur Entwicklung der eigenen Angebote bei: „Im Erzählcafé haben die Gäste die Rolle der Autoren übernommen. Sie waren die aktiv Erzählenden und Zuhörenden. Das passt sehr gut zu unserem Anspruch, über den Verleih von Medien hinaus ein Ort des Lernens und der Begegnung zu sein.“
Manche Themen weckten natürlich besonders viele Erinnerungen, über die die Leipzigerinnen und Leipziger, die in den 1960er Jahren jung waren, besonders gern erzählen wollten – so das Thema „Tanzen, Lust und Liebe“.
Monat für Monat war die Teilnehmerzahl gestiegen, bevor sie sich bei achtzig Gästen einpendelte. Der Andrang war so groß, dass sich die ersten Gäste schon eine Stunde vor Beginn die besten Plätze sicherten.
„Wir wollten die Lebensgeschichte der Älteren würdigen und sie miteinander ins Gespräch bringen – offenbar haben wir mit dem Angebot einen Nerv getroffen“, resümiert Prof. Michael Hofmann, der für die Stiftung „Bürger für Leipzig“ die Reihe konzipiert und moderiert hat.
Das Thema „Tanzen, Lust und Liebe“ im Februar war „der Renner“ und brachte die Räume an ihre Kapazitätsgrenzen. Es war zugleich das Thema, das starke Emotionen wachrief. Tanzlokale wie der Felsenkeller, das Schorschl und das Forsthaus Raschwitz waren präsent wie die Präsent-20-Hosen oder Petticoats, unvergessen die Auftrittsverbote für Leipziger Bands und Saalverweise wegen „amerikanischer Tanzweise“.
Und die Veranstaltung berührte etwas, was so gern im Jagen der Zeit vergessen wird: Dass Menschen Erinnerungen brauchen und mit ihren erinnerten Geschichten auch Stolz auf das eigene Leben verbinden. Wenn man sie nicht fragt, verschwinden diese Geschichten.
Und das war der zentrale Ansatzpunkt für die Stiftung „Bürger für Leipzig“: diese Geschichten für die Nachwelt zu sichern.
Ein Grundton zog sich durch alle Veranstaltungen: Die heute 70 bis 80-jährigen Leipziger sind stolz auf ihr Leben, vor allem auch stolz auf das im Beruf geleistete. Viele waren mit ihrem Lebensweg sehr zufrieden, würdigten die Qualität der Ausbildung und die in der Regel kostenfreien Möglichkeiten, zu studieren und sich weiterzuentwickeln. Der Lebensalltag war oft beschwerlich, aber mit viel Improvisationstalent wurde aus dem was gemacht, was man hatte oder was man sich mit Hilfe von Vitamin B beschaffen konnte.
So waren auch zu den eher ernsten Themen viele berührende Geschichten zu hören: Wie wohnte es sich mit Ofenheizung und Klo halbe Treppe? Wie schwierig war es in den 60er Jahren, sich mit Nahrungsmitteln und Kleidung zu versorgen? Sehr lebendig waren die Erinnerungen an die Freizeitvergnügen, an die Spiele der Kindheit. „Wir hatten nicht viel, aber Platz“ – so erinnert man sich an die Freiräume zum Spielen auf der Straße angesichts der damals geringen Zahl an Fahrzeugen.
Alle Erzählungen sind aufgezeichnet und von Helferinnen zu Papier gebracht worden. 350 Seiten Material stehen den Veranstaltern als Grundlage einer Veröffentlichung zur Verfügung.
„Wir werden das Material sichten, ein Konzept entwickeln und uns um eine Finanzierung kümmern“, skizziert Michael Hofmann die nächsten Schritte. Die Veranstaltungsreihe selbst war von der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Aktionen für eine Offene Gesellschaft gefördert worden.
Und nun? Fallen alle in ein Loch? Was folgt dem Erzählcafé?
Die Stiftung Bürger für Leipzig schafft mit ihren offenen Angeboten Räume, die Begegnung und den Dialog zwischen den Generationen fördern. Nach dem Erzählcafé soll jetzt das Sommer-Angebot der Stiftung „Bürger für Leipzig“ starten. Am 30. Mai beginnt das Bürgersingen im Johannapark. 250 vorwiegend ältere Leipziger singen mittwochs ab 17 Uhr auf der Wiese an der Lutherkirche gemeinsam Volkslieder.
„Wir werden sicher viele Gäste des Erzählcafés beim Singen wiedersehen und im Gespräch bleiben“, meint Michael Hofmann.
Jetzt kann man gespannt sein, ob die Geschichten aus dem Erzählcafé es schaffen, zu einem Buch zu werden.
Stadtbibliothek möchte sich gern ein Leipziger Wohnzimmer zulegen
Stadtbibliothek möchte sich gern ein Leipziger Wohnzimmer zulegen
Keine Kommentare bisher