Fünf Jahre können verdammt lang werden, wenn man zwar anfangs vollmundig in eine intensive Bürgerbeteiligung startet, am Ende aber die Ergebnisse immer weiter vertagt werden und über die Zeitung dann gar noch der Eindruck verstärkt wird, dass die ganze Bürgerbeteiligung nur ein Feigenblatt war. Mittendrin ein Oberbürgermeister, der das alles zu verantworten hat und jetzt einen geharnischten Offenen Brief zum Thema bekommt.

Es ist der Ökolöwe, der diesen Offenen Brief zur Leipziger Verkehrspolitik jetzt verfasst hat. Aber genauso hätten auch dutzende weitere Vereine und Verbände schreiben können, die sich seit 2012 intensiv in den Beteiligungsprozess zur Leipziger Verkehrspolitik eingeklinkt haben, der am Ende in den heiß diskutierten Stadtentwicklungsplan (STEP) Verkehr und öffentlicher Raum mündete. Der nicht deshalb so aussah, weil es eine einzelne Baubürgermeisterin so wollte, sondern weil die zentrale Erkenntnis aller Diskussionen war, dass Leipzig endlich wirklich mehr für den Umweltverbund tun muss: für ÖPNV, Rad und Fußverkehr.

Denn alle drei Verkehrsarten waren seit Beginn des Jahrhunderts Stiefkinder der Leipziger Verkehrspolitik. Aus nachvollziehbaren finanziellen Gründen. Vom Freistaat hat Leipzig wie jede andere Kommune im Land auch ein rigides Sparprogramm auferlegt bekommen, das vor allem dazu führte, dass wichtige Zukunftsinvestitionen über Jahre und Jahrzehnte gestreckt wurden und werden.

Nur ist es beim Umweltverbund besonders eklatant, weil dessen Ausbau dringend gebraucht wird, um den Kollaps auf Leipzigs Straßen zu verhindern. Das rieten nicht nur die selbst sehr professionell arbeitenden Umweltverbände, das rieten auch namhafte Verkehrsforscher.

Aber seit dem großen Gezeter um den STEP Verkehr im Jahr 2015 ist der Wurm drin. Alle wichtigen Pläne, die auf dem STEP aufbauen, wurden vertagt, die Stadt schob sechs vage Mobilitätsszenarien dazwischen. Und was der Ökolöwe in der seligen Autofahrerzeitung der Stadt zu lesen bekommt, lässt dort alle Alarmglocken schrillen.

„Im Jahr 2012 hat die Stadt Leipzig unter Baubürgermeister Martin zur Nedden (SPD) einen bis dahin beispiellosen Bürgerbeteiligungsprozess zur Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Verkehr und Öffentlicher Raum initiiert. Mit dem Bürgerwettbewerb ‚Ideen für den Stadtverkehr‘ wurden über 618 Vorschläge aufgenommen. Es wurde ein Runder Tisch ‚Verkehr und Öffentlicher Raum‘ eingerichtet, an dem Interessengruppen aus allen Gesellschaftsbereichen – von Wirtschaft über Soziales bis Umwelt – zusammen mit allen Fraktionen und verschiedenen Ämtern der Stadtverwaltung Platz nahmen“, heißt es jetzt im Offenen Brief.

„In dutzenden Sitzungen, über mehrere Jahre hinweg, diskutierten alle Beteiligten über die Gestaltung des Mobilitätswandels in Leipzig. Der Runde Tisch wurde dabei von neun angesehenen VerkehrsprofessorInnen aus der gesamten Bundesrepublik begleitend beraten. Am Ende der Diskussion gab es eine Einigung auf gemeinsame Leitlinien. So hat der Stadtrat 2015 beschlossen, die Verkehrsträger des Umweltverbundes (Fuß- und Radverkehr, Carsharing, Öffentlicher Nahverkehr) besonders zu fördern. Der Marktanteil umweltfreundlicher Verkehrsträger soll von 60 Prozent im Jahr 2015 auf 70 Prozent im Jahr 2025 gesteigert, der Anteil des Autoverkehrs entsprechend gesenkt werden. Die konkrete Umsetzung sollte im Rahmen von Fachkonzepten geklärt werden. Jetzt wäre die Zeit des Handelns. Maßnahmen für eine Verkehrswende müssen jetzt zügig umgesetzt werden, um die Beschlüsse aus der Bürgerbeteiligung zu erfüllen.“

Doch keine solche Maßnahme steht zur Entscheidung.

Stattdessen werde, so der Ökolöwe, über den Weiterbau des Mittleren Ringes und eine Schneise durch den Stünzer und den Wilhelm-Külz-Park debattiert. Als hätte es die Bürgerbeteiligung gar nicht gegeben.

Mit dieser „Hinterzimmerpolitik“ werde die Bürgerbeteiligung in Leipzig ad absurdum geführt, warnt der Ökolöwe: „Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, wenn Sie Ergebnisse aus Bürgerbeteiligungsprozessen nicht oder nur unzureichend umsetzen, dann verkommt Bürgerbeteiligung zur Beschäftigungstherapie, Demokratieverdrossenheit wächst. … Wir möchten eindringlich an Sie appellieren, als Oberbürgermeister aller BürgerInnen, die Ergebnisse aus der Bürgerbeteiligung zum Stadtentwicklungsplan Verkehr und Öffentlicher Raum endlich ernst zu nehmen. Setzen Sie die dort gemachten Vereinbarungen um und sorgen Sie für eine engagierte Verkehrswende in Leipzig, so wie das mittlerweile fast alle europäischen Metropolen tun. Nur mit der Verlagerung auf umweltfreundliche und flächensparende Verkehrsmittel kann die Belastung aus dem Autoverkehr in der wachsenden Stadt erträglich gehalten werden.“

Der Offene Brief.

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