KommentarAm 6. Oktober teilte das norwegische Nobelkomitee mit, dass der Friedensnobelpreis 2017 an die internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung (Ican) geht. Der „Spiegel“ wertete das sogar als Wiedergutmachung für die Auszeichnung Barack Obamas mit diesem Preis im Jahr 2009. Denn mit dem von Obama verkündeten Erneuerungsprogramm für das Atomwaffenarsenal der USA erwies sich Obama ganz und gar nicht als Friedenspräsident. Aber das liegt auch an alten Strukturen und Denkweisen.

Und das machte noch am 6. Oktober Nicolas Busse mit seinem Kommentar für die F.A.Z. deutlich. Er ist verantwortlicher Redakteur für die „Frankfurter Allgemeine Woche“ und stellvertretender verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik bei der F.A.Z. „2007 Entsendung nach Brüssel als Korrespondent für die Nato und die EU“, heißt es in seinem Kurzporträt auf faz.net.

Deutsche Sprache, schwere Sprache. Wahrscheinlich war er dort ganz und gar nicht „Korrespondent für die NATO“, sondern F.A.Z.-Korrespendent für die Nato-Berichterstattung. Das ist natürlich etwas anderes.

Aber wer über ein Jahrzehnt aus dem Herzen des NATO-Bündnisses berichtet, der nimmt natürlich irgendwann die dortigen Sichtweisen auf die Welt an. Vielleicht nicht „natürlicherweise“. Aber eine wirklich distanzierte und kritische Sicht auf die Politik der NATO zeichnet die F.A.Z. nicht unbedingt aus. Und damit meine ich nicht, dass man das Militärbündnis verdammen muss oder gar für die Übel der Welt verantwortlich machen.

Distanz beginnt schon damit, wenn man als Journalist hinterfragt, ob die Sicht der NATO-Generäle auf das Weltgeschehen richtig ist, ob es nicht interessengeleitet ist, ob es überhaupt noch tauglich ist für die neue Weltkonstellation nach 1990 oder 2005. Und ob sie nicht angepasst werden müsste.

Bis hin zu der Frage, ob sich nicht auch die Außenpolitik der Bündnisstaaten ändern müsste – oder könnte. Weg von der nach wie vor gültigen Abschreckungsdoktrin hin zu einem Bündel anderer Aufgabenkonstellationen. Oder gar dem Ändern kompletter Sicherheitsdenkweisen in den westlichen Staaten.

Dass Busse das NATO-Abschreckungsdenken zutiefst verinnerlicht hat, wird in der „Pointe“ seines Kommentars deutlich: „Genau darum wirkt diese Preisverleihung noch utopischer als es bei den Auszeichnungen aus Oslo ohnehin oft der Fall ist. Kein Land, das Nuklearwaffen besitzt, zeigt derzeit die geringste Bereitschaft, auf sie zu verzichten. Es ist sogar höchst umstritten, ob die Welt dann friedlicher wäre: Nichts hat kriegerische Gelüste in den vergangenen siebzig Jahren mehr in Schach gehalten als die nukleare Abschreckung, vor allem in Europa. Deshalb will nicht einmal Deutschland auf sie verzichten.“

Deswegen war der „Spiegel“-Kommentar von Markus Becker viel anregender, der anmerkte: „Obama etwa schob zwar den New-Start-Abrüstungsvertrag mit den Russen und das Atom-Abkommen mit Iran an. Zugleich aber initiierte er ein gigantisches Programm zur Modernisierung der US-Atomwaffen, das in den nächsten 30 Jahren rund eine Billion Dollar verschlingen wird. Schon damit war klar: Eine Welt ohne Atomwaffen werden frühestens Obamas Urenkel erleben.“

Denn natürlich stimmt es, dass scheinbar „kein Land, das Nuklearwaffen besitzt“, derzeit Anstalten macht, diese abzuschaffen. Aber das hat Gründe im militärischen Denken dahinter. Und in knallharten wirtschaftlichen Interessen. Denn 1 Billion Dollar bedeuten nun einmal einen gigantischen Auftrag für private Rüstungskonzerne. Mit diesen Superwaffen verdienen sich einige einflussreiche Konzerne goldene Nasen.

Und gleichzeitig sorgt schon die schiere Existenz dieser Waffen dafür, dass sich politische Denkweisen der Abschreckung verhärten. Weil man Atomwaffen besitzt, setzt man konsequent auf politische Strategien der Härte, der Abgrenzung und der Drohung. Es ist eine bequeme Politik. Man versteckt sich hinter der Existenz gewaltiger Waffen, die die Existenz der ganzen Menschheit infrage stellen – und sieht nicht mal die Notwendigkeit, das friedliche Überleben der Menschheit gemeinsam zu organisieren. Politik also anders zu denken – nicht als Erpressung der Schwächeren durch die Übermächtigen.

Womit man bei Deutschland wäre, das 1990 die einmalige Gelegenheit verpasst hat, zur atomwaffenfreien Zone zu werden. Es sind zwar keine deutschen Atomwaffen, die hier stehen. Aber nach wie vor sind die amerikanischen hier stationiert, gegen die die Antiatomwaffenbewegung Anfang der 1980er Jahre so lautstark wie vergebens protestiert hat. In Politikerhirnen ist die Vorstellung, man sei unter einem Atomschirm irgendwie geschützt, manifest.

Strategisch Sinn machen Atomwaffen nur, wenn man den potenziellen Gegner als vernichtungswürdig einstuft. Das ist Steinzeitdenken. Es zeugt auch davon, dass sich die Vertreter dieser Doktrin nicht vorstellen können, dass man politische Konflikte auch anders lösen kann als mit Drohung und maximaler Gewaltandrohung. Dass man gar mit bewusstem Verzicht auf Bedrohung Kooperationen schafft, die Vertrauen herstellen, die sogar darum ringen, dass man Wege sucht, einander zu stärken, lebensfähiger und zukunftsfähiger zu machen.

Alles keine Themen der NATO, die so zu denken gar nicht in der Lage ist. Aber Themen der EU – als Beispiel. Die sogar sehr gute Voraussetzungen zum Friedensstifter hätte, denn das Kernthema der EU ist ja Kooperation. Und jeder Staat, der mit der EU verhandelt, weiß, dass er davon profitiert. Die Botschaft kann durchaus lauten: Wir bedrohen niemanden. Im Gegenteil: Ihr alle habt mehr von uns, wenn ihr mit uns kooperiert.

Stattdessen verbrennen auch die Europäer jedes Jahr dreistellige Milliardenbeträge für eine Rüstung, deren Sinn sich nicht mehr erschließt. Und die vor allem das Geld verschlingt, das zum Aufbau Osteuropas gebraucht werden könnte. Denn dort fehlt es.

Wer auch nur ein wenig Abstand nimmt vom alten Bedrohungs- und Einschüchterungsdenken, der merkt, dass man auf Atomwaffen schon längst verzichten könnte. Sie hindern nur daran, auch politisch und verbal abzurüsten. Sie machen Präsidenten zu Prahlhänsen und lassen sie sich wie grimmige Cowboys benehmen, wo sie eigentlich in der Verantwortung stehen, ihr eigenes Volk, aber auch den Reichtum der Welt zu bewahren. Denn wer weltweit drohen kann, der ist eigentlich auch verpflichtet, weltweit den Reichtum der Menschheit zu bewahren.

Das braucht freilich Typen in den Ämtern, die Respekt vor anderen Menschen haben und soviel Rückgrat, dass sie mit ihnen friedlich an Lösungen arbeiten können.

Und die auch den Mumm haben, die eigene Rüstungsindustrie zu verprellen.

Aber den Mumm haben sie alle nicht.

Deswegen ist der unermüdliche Kampf gegen die Atomwaffen einer, der nur von Bürgern getragen wird, von Menschen, die sich auch nach zehn Jahren (ICAN wurde 2007 gegründet) nicht entmutigen lassen. Die Botschaft muss in die Köpfe: Eine Weltpolitik ohne Atomwaffen und ständige Kriegsandrohungen ist möglich. Wir haben nur leider noch nicht das politische Personal, das das Format zu einer solchen friedlichen Politik hat.

Vielleicht ist es tatsächlich utopisch, was Ican da möchte. Denn es arbeitet gegen die Denkfaulheit von Generälen, Rüstungsmanagern, Politikern und Zeitungskommentatoren an.

Aber gerade deshalb braucht es jede Unterstützung.

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Es gibt 2 Kommentare

Liebe Sabine,
da fallen mir aber eher andere realisierte Utopien ein 😉
offene Grenzen (innerhalb Europas), Mauerfall, vorübergehendes Ende des Kalten Krieges, Nutzung erneuerbarer Energien .. Windkraft, 99 Luftballons..
Bin gerade bei ‘alten’ Nena-Liedern gelandet..
https://www.youtube.com/watch?v=La4Dcd1aUcE

“Aber gerade deshalb braucht es jede Unterstützung.”
Eben. Vieles, was heute “normal” ist, war irgendwann mal utopisch. Wir hätten weder Flugzeuge noch Autos, wenn sich nicht irgendwann mal Menschen dieser Utopien angenommen hätten.

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