„Raus aus den traditionellen Parteien ...“, wird in Deutschland bald unser Notruf sein müssen, wenn es politisch so weitergeht. Meine umfangreichen gesellschaftspolitischen Erfahrungen sind hoffnungslos negativ und ich will diese hiermit öffentlich zur Diskussion stellen.
Die traditionellen Parteien reagieren nicht mehr auf „Kritik von unten“ und auch nicht auf die Ängste der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Die im kurzzeitigen Martin-Schulz-Sog realisierten Parteieintritte in die SPD sind viel zu klein geblieben, um „frischen Wind“ in diese Partei zu bringen. Leider kann ich (auch als SPD-Mitglied) nicht daran glauben, dass Martin Schulz „weiß, was die Menschen bewegt.“ Seine „Noch-mehr-Gerechtigkeits-Predigten“ werden die Bürgerinnen und Bürger nicht beeindrucken.
Regierung und Parlament eines freiheitlichen Staates haben die Pflicht, das Land (und auch Europa) auf einen optimalen Weg in die Zukunft zu führen, auch wenn das Maßnahmen erfordert, die den Parteien wehtun. Die Parlamentarier aller Parteien denken aber leider zuerst an sich, danach an ihre Partei und zuletzt an Deutschland.
Wie anders sind folgende drei exemplarisch dargestellte Realitäten zu erklären?
- Der Bundestag wächst immer näher an 700 Abgeordnete heran; in den USA mit ca. fünffacher Einwohnerzahl sind es 435. Eine Wahlgesetzreform, juristisch einfach machbar, wollen die Parlamentarier nicht; sie wollen so viele Mandate, wie nur irgendwie möglich; koste es, was es wolle!
- Eine Föderalismusreform, auch juristisch einfach realisierbar, wollen die Parlamentarier und Politiker auch nicht; obwohl jeder weiß, dass unser föderales System auch mit 8 Ländern (statt 16) besser funktionieren würde. Viele Milliarden könnten sinnvoller verwendet werden. Aber nein, „die da oben“ halten an 17 Regierungen mit 145 Ministerien und 17 Parlamenten mit ca. 2.500 Parlamentariern plus Heerscharen an Adjutanten und Partizipanten fest; pro Kopf der Bevölkerung ein einmaliger Maximalwert auf der Welt.
- Eine strukturelle, dringend notwendige Rentenreform, juristisch nicht einfach machbar, mit dem Ziel der Einzahlung aller in die Rentenkasse – auch das wollen die Parlamentarier nicht, denn dann müssten auch sie, im Alter extrem gut versorgt, in die Rentenkasse einzahlen. In praxi folgt ein Rentenreförmchen nach dem anderen und die Zukunft der Rente bleibt mehr als „nur“ unsicher.
Die klassischen Parteien sind für unsere Demokratie hochgefährlich zu „Gewerkschaften der Politiker“ mutiert. Dort treffen sich nur noch die Politiker und Parlamentarier mit ihren Adjutanten und Partizipanten bzw. denen, die das werden wollen.
Aus diesen Ortsvereinen heraus ist es unmöglich, den Parlamentariern einen konkreten Auftrag „von unten nach oben“ mit auf den Weg zu geben, der ihnen selbst einen persönlichen Verzicht abverlangt. Ich habe 1989/90 in Leipzig die SDP (später SPD) mit aufgebaut und kenne seit dieser Zeit sehr viele MdBs und MdLs aus verschiedenen Parteien – ich weiß, wovon ich schreibe.
Als ich zusammen mit dem MdL Bernward Rotheim Jahr 2015 den Verein „Gesunder Föderalismus e. V.“ gründen wollte, verlor dieser im Magdeburger Landtag unter den Parlamentariern wegen seiner Aktivität „Volksbegehren Mitteldeutschland“ alle Freunde.
Gegen ein „wirkungsloses Mitquatschen“ gab es keine Einwände, aber ein Verbot unseres konkreten strukturellen Veränderungszieles im Rahmen einer Föderalismusreform! („Gesunder Föderalismus“ ist ein Terminus, den bereits die Studenten der „Weißen Rose“ in München für Ihre Zukunftsplanung nach der Überwindung der Nazi-Diktatur verwendet hatten.)
Ich könnte noch viele weitere Beispiele beschreiben, bei denen mir die Lust zur gesellschaftspolitischen Mitarbeit genommen wurde. Deshalb komme ich zu der unvermeidbaren Erkenntnis, dass sich die traditionellen Parteien nicht wieder in einen Zustand zurückführen lassen, den sie zweifelsfrei vor einigen Jahrzehnten einmal hatten, als nämlich die Demokratie vom Karrierismus noch nicht dominiert wurde. Deshalb meine Überschrift „Raus aus den traditionellen Parteien“, aber keinesfalls rein in die noch gefährlicheren populistischen Parteien.
Was bleibt dann nach der Austrocknung der alten Parteien? (Natürlich müssen NPD und AfD zuerst ausgetrocknet werden). Die Gründung neuer Parteien! Im Osten können wir auf ein großes demokratisches Potential der Neugründung demokratischer Parteien und Verbände aus den Jahren 1989/90 zurückblicken.
Ich will meine Darlegung mit der Schilderung eines humorvollen Erlebnisses beenden
Ich erinnere mich daran, wie mich der Bundespräsident G. (mit seiner Securitate-Schar) im Gewandhaus 2010 von weitem optisch fest fixierte und mir im Vorbeigehen die Hand zum Gruß reichte, obwohl er zuvor niemals zu mir persönlichen Kontakt hatte. Meine Freunde aus dem Bürgerkomitee Leipzig und der BStU, die Herr Gauck nach der Festveranstaltung zur deutschen Einheit vermutlich suchte, erklärten mir damals diesen seltsamen Vorfall so:
„Roland, der hat in Deinem Gesicht sofort den noch reichhaltig verbliebenen Rest deiner revolutionären Kampfeskraft von 1989 erkannt!“ Auf diese revolutionäre „Restkraft“ in uns allen müssen wir bauen und bald neue solide demokratische Parteien gründen – vermutlich unsere einzige Chance!
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