PEGIDA, AfD, Höcke, Le Pen, Wilders, Orbán, Brexit, Trump... – politisch scheint in diesen Zeiten alles aus den Fugen geraten, die althergebrachte Ordnung fragil wie nie. Der überwunden geglaubte Geist des Nationalismus weht durch die Lande, manifestiert sich in Köpfen, Parteien und auf der Straße. Die pro-europäische Bewegung „Pulse of Europe“ will sich dem entgegenstellen. Am Sonntag, 6. März, versammelte sich der Leipziger Ableger erstmals auf dem Marktplatz.

Schätzungsweise 150-200 Menschen verschiedener Altersklassen fanden sich bei milden Temperaturen auf dem Markt zusammen. Die bekannte Europahymne „Freude schöner Götterfunken“ beschallte den Ort und veranlasste viele Teilnehmer zum überzeugten Mitsingen. Eine große EU-Flagge leuchtete in der Sonne, Wimpel und Luftballons gingen herum.

Barbara Rucha leitete die Veranstaltung mit kurzen Worten ein, sprach von Leipzigs Bedeutung für die Friedliche Revolution in der DDR. Die Musikerin hatte die Leipziger Gruppe der Bewegung initiiert: „Ich habe in der Zeitung gelesen, dass es Pulse of Europe gibt und hatte spontan das Gefühl, die sprechen mir aus der Seele“, so die 44-Jährige im Gespräch mit L-IZ.de. „Da war ein Unbehagen, das gewachsen war, im Zuge von LEGIDA, PEGIDA, dem Brexit und den Österreich-Wahlen.“

Mehrere Redebeiträge und Musikeinlagen, unter anderem aus Polen und Portugal, füllten die Zeit aus. Einige Menschen tanzten spontan. Unter den Sprechern fanden sich auch Prominente wie etwa der ehemalige Pfarrer Christoph Wonneberger, von 1986 bis 1989 Koordinator der Friedensgebete in der Nikolaikirche. Unisono wurde für ein respektvolles Miteinander, Frieden, Rechtssicherheit, Menschenrechte und freie Medien geworben.

Thesen wie „Europa soll wieder Freude bereiten“ und „Wer austritt, kann nicht mitgestalten“ stießen bei den Zuhörern auf reichlich Applaus.

Das offene Mikrofon bot schließlich jedem Gelegenheit, seine Sicht nach außen zu tragen. Ein Mann erzählte von seinem Großvater, der vor 100 Jahren im Krieg auf den belgischen Schlachtfeldern kämpfte. „Er hat Albträume nach Haue getragen, die reichten für ein ganzes Leben. Wir sollten den friedlichen Weg weitergehen.“ Im Hinblick auf anstehende Wahlen in Frankreich und den Niederlanden ist der Appell in der jeweiligen Landessprache klar: „Bitte wählt europäisch! Wir möchten mit euch zusammen Teil von Europa sein.“

Eine ältere Dame berichtete sichtlich gerührt, wie es sie nach 40 Jahren in ihr geliebtes Leipzig zurückzog, als LEGIDA gerade seine Hochphase erlebte. Ihre Tochter lebe mit griechischem Mann in London, der Brexit habe sie geschockt. Eine Frau, die ein behindertes Kind hat, sprach sich für ein Europa mit gelebter Inklusion aus, eine frühere Schulleiterin erinnert sich an einen Austausch mit schwedischen Schülern. „Alles Gerede um Europa ist weniger sinnvoll, wenn die Jugend nicht aufeinander zugeht. Ich freue mich über alle ehemaligen Schüler, die im Beruf in Europa und sonstwo unterwegs sind und den Gedanken der Demokratie mit Leben erfüllen.“

„Pulse of Europe“, 2016 in Frankfurt am Main gegründet, versteht sich nach eigenen Angaben als parteiübergreifende und überkonfessionelle Initiative zum Erhalt Europas. Zeitgleich mit Leipzig fanden am Sonntag Veranstaltungen von Ablegern in 34 Städten und vier Ländern statt. Für kommenden Sonntag ist eine erneute Zusammenkunft in Leipzig geplant.

Dann sollen die Teilnehmer als Symbol für die Wahl in den Niederlanden Tulpen mitbringen.

Das Treffen endete mit einer Menschenkette. „Nun haben wir das erste Mal geschafft. Nächstes Mal wollen wir ein paar mehr sein, wir wollen in ganz Europa sichtbar sein“, so das ehrgeizige Ziel der Leipziger Initiatorin Rucha. „Ich möchte einfach nicht, dass wir wieder in ein Europa der Nationalstaaten zurückkehren. Ich möchte das verhindern, bevor es zu spät ist, und jetzt ist der Moment“, erklärte sie L-IZ.de ihre persönliche Motivation. „Meine Familie hat unter dem Krieg extrem gelitten, das belastet mich bis heute.“

Und ihre Botschaft an Kritiker, die in der EU ein unreformierbares Bürokratiemonstrum sehen? „Man kann das Kind nicht mit dem Bad auskippen. Weil es Dinge gibt, die nicht gut sind, kann man nicht alles zerstören. Der Weg hin zu einem ‘Wir bekriegen uns wieder’ ist dann kürzer. Das wollen wir nicht.“ Außerdem, könnte denn der Rückweg zu Passkontrollen, Geldumtausch und Roaming-Gebühren wirklich das Ziel sein?

Man darf wohl gespannt sein, wie sich die europafreundliche Bewegung lokal und darüber hinaus weiter entwickeln wird.

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