So geht es einfach nicht. Seit 2008 steckt Europa in der Krise. Wirtschaftlich, aber längst auch politisch. Die Krisen an seinen Grenzen verschärfen sich. Aber statt Lösungen anzubieten, werden Ultimaten gesetzt und Sanktionen verhängt. So geht das nicht, wenn man nicht mitten in eine kriegerische Konfrontation hineinrauschen möchte, die für alle Beteiligten nur katastrophal werden kann. Jetzt gründen Leipziger eine Bürgerinitiative, die eine andere Politik anmahnt.
„Gute Nachbarschaft mit Russland“ heißt sie. Das klingt fast, als hätte sich die Sächsische Staatsregierung das ausgedacht. Aber die kommt ja über Proklamationen meist nicht hinaus. Die ist auch in der deutschen und europäischen Politik nicht wirklich vernehmbar als mahnende Stimme. Oder gar als Anstifter einer anderen Politik im europäischen Interesse.
Denn das ist das leidige Problem – eines von vielen, die die EU mittlerweile für so viele Menschen so schwer erträglich macht: Man laviert irgendwo im wirtschaftlichen, politischen und militärischen Fahrwasser der USA, aber eine wirklich ernsthafte Politik im Interesse von Frieden und Sicherheit für Europa ist nicht erkennbar.
Und das betrifft vor allem Russland. Gerade weil es so ist, wie es ist, scheinbar irrational, leicht zur Konfrontation neigend.
Aber die billigen Schablonen verstärken nur das Gefühl, dass man mit dieser Militärmacht eigentlich nicht verhandeln kann. Oder darf. Es wird ja meistens moralisch verbrämt, wenn es tatsächlich um so etwas wie Respekt geht. Auch Verhandlungspartnern gegenüber, die einem fremd und unheimlich erscheinen. Gerade weil moderne Mittelstreckenwaffen so schnell am Ziel sind, sind die leicht verletzlichen europäischen Staaten dazu verdammt, mit diesem fremden Russland einen Konsens zu finden.
Und da fehlt es sichtlich an einer Tugend, die irgendwie verloren ging, als die Verfechter der Lehre vom reinen Markt begannen, die Schaltstellen in Europa zu besetzen.
„Viele Leipziger Bürgerinnen und Bürger sorgen sich wegen der steigenden Spannungen um den Frieden in Europa“, heißt es deshalb im Gründungsaufruf der Bürgerinitiative „Gute Nachbarschaft mit Russland“. „Als hohes Gut gilt dabei gute Nachbarschaft mit allen Völkern rings um uns herum zu pflegen, besonders mit Russland. Die einseitigen, vergröbernden und auch falschen Darstellungen der Meinungs- und Interessenunterschiede zwischen Deutschland und Russland lassen den Eindruck zu, dass hier ein neues altes Feindbild installiert werden soll. Durch militärische Maßnahmen an den Grenzen Russlands, werden Vertrauen verspielt, Hass und Angst geschürt, der Frieden gefährdet.“
Im Gründungskreis der Initiative findet man einige namhafte Leipziger: Tilo Frenzel, Ingo Klein, Prof. Klaus Haensgen, Dr. Christel Hartinger, Dr. Helga Lemme, Prof. Helmut Richter, Torsten Schleip, Prof. Andreas Schierwagen, Johannes Schroth, Prof. Cornelius Weiss und Dr. Hans-Joachim Wienhold.
Die Besorgnis hat sichtlich schon größere Kreise erfasst.
Was die Gründer meinen, wenn sie von guter Nachbarschaft sprechen, haben sie auf ihrem Blog kurz in Stichpunkte gefasst:
„Die Bürgerinitiative versteht unter Guter Nachbarschaft:
– sich nicht in die inneren Angelegenheiten des anderen einzumischen
– zu helfen, wenn der Nachbar in Not und Gefahr gerät
– sich jeder Verächtlichmachung, Dämonisierung, falscher Nachrede sowie anmaßender Sanktionierung zu enthalten
– freundlich miteinander umzugehen.“
„Die Bürgerinitiative tritt dafür ein, dass jegliches Säbelrasseln und dessen mediale Begleitung endlich aufhören“, heißt es in der Einladung zum Gründertreffen. „Sie verurteilt jede Aktion, gleich von welcher Seite sie ausgeht, die Spannungen verschärft. Sie unterstützt den Aufruf der 60 deutschen Persönlichkeiten 2014 und will selbst mit ihren Möglichkeiten einen Beitrag für eine gute Nachbarschaft mit allen Völkern um uns herum, aber besonders mit dem ins Fadenkreuz geratenen Russland leisten.“
Und – was wichtig ist: „Die Bürgerinitiative ist politisch und institutionell völlig unabhängig. Sie wendet sich gegen alle eventuellen Versuche, mit ihr rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische, nationalistische und ähnliche rechte Auffassungen und Haltungen in Verbindung zu bringen.“
Offiziell gründen will sich die Bürgerinitiative am heutigen Mittwoch, 26. Oktober, um 18 Uhr im Bürgertreff „Messemagistrale“ in der Straße des 18. Oktober 12a.
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