Sichtlich enttäuscht zeigte sich das globalisierungskritische Netzwerk Attac am Montag, 19. September, nach der Entscheidung des SPD-Parteikonvents, dem EU-Kanada-Abkommen CETA zuzustimmen. Dabei hatten erst am Samstag, 17. September, über 320.000 Menschen in deutschen Großstädten gegen CETA und TTIP demonstriert – 15.000 davon in Leipzig.

Attac-Handelsexperte Roland Süß: „Mit dieser Entscheidung stimmt die SPD einer weiteren Machtausweitung der großen Konzerne zu und beschneidet gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten. Die SPD verleugnet die von ihr selbst gezogenen roten Linien: Mit CETA würde eine Klagewelle multinationaler Konzerne und Investoren gegen Staaten ausgelöst. Der Ausnutzung unbestimmter Rechtsbegriffe wurde in dem Abkommen kein Riegel vorgeschoben. Selbst die öffentliche Daseinsvorsorge würde durch Konzernklagerechte unter Beschuss geraten. Auch für Verletzungen von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards gibt es in CETA keine Sanktionsmöglichkeiten. Die von Sigmar Gabriel versprochenen Zusatzerklärungen ändern nichts am Geist des Abkommens.“

Mehr als 320.000 Menschen haben am Samstag bundesweit gegen CETA und TTIP mit den USA demonstriert. Wenige Tage vor der EU-Handelsministerkonferenz am 23. September in Bratislava trugen die Bürgerinnen und Bürger ihren Widerstand gegen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA in sieben deutschen Städten auf die Straße. In Berlin demonstrierten 70.000 Menschen, in Hamburg waren es 65.000, in Köln 55.000, in Frankfurt am Main 50.000, in Leipzig 15.000, in Stuttgart 40.000 und in München 25.000. Die Erwartungen der Organisatoren wurden damit deutlich übertroffen.

„Die Bundesregierung muss endlich die Notbremse ziehen und das Nein der Bürgerinnen und Bürger zu CETA und TTIP respektieren“, forderten die Organisatoren. „Beide Abkommen schaffen eine konzernfreundliche Paralleljustiz, beide sind eine Gefahr für die Demokratie, für Sozial- und Umweltstandards und die öffentliche Daseinsvorsorge, beide müssen gestoppt werden. CETA bedeutet TTIP durch die Hintertür. Die Bürgerinnen und Bürger wissen das.“

Das Bündnis fordert, die Verhandlungen zu TTIP offiziell zu beenden und CETA weder zu ratifizieren, noch anzuwenden. Das Abkommen mit Kanada dürfe in keinem Fall vorläufig angewendet werden, bevor die nationalen Parlamente darüber abgestimmt haben.

Der breite Protest war aus Sicht der Organisatoren auch eine Botschaft an die Delegierten des am Montag nicht-öffentlich tagenden SPD-Parteikonvents, bei dem SPD-Chef Sigmar Gabriel sich sein Ja zu CETA inklusive einer vorläufigen Anwendung des Abkommens dann auch geholt hat.

In einem nicht unbedeutenden Kraftakt, das muss betont werden, denn auch in der SPD sitzt die Skepsis gegen CETA und TTIP tief.

Vor allem drei Argumente Sigmar Gabriels scheinen die Konvent-Delegierten dann doch umgestimmt zu haben. Alle vier sind im Konventsbeschluss nachzulesen.

Das erste:

„Einstufung als gemischtes Abkommen: Wir haben immer die Auffassung vertreten, dass es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handelt. Daher begrüßen wir nachdrücklich, dass die EU-Kommission vor allem auf sozialdemokratischen Druck hin mittlerweile CETA als gemischtes Abkommen eingestuft hat. Damit ist klar, dass sowohl das Europäische Parlament als auch die nationalen Parlamente, in Deutschland der Bundestag und der Bundesrat, das Abkommen beraten und ratifizieren müssen. Das heißt im Umkehrschluss auch: Wenn ein nationales Parlament CETA ablehnt, kann es nicht in Kraft treten.“

Österreich hat schon angekündigt, dass es CETA nicht ratifizieren wolle. Wenn auch andere Länderparlamente so agieren, dürfte CETA in der EU nicht in Kraft treten.

Das zweite Argument:

„Einsetzung eines öffentlich-rechtlichen Investitionsgerichtshofs: Beim Investitionsschutz haben wir uns dafür ausgesprochen und eingesetzt, dass das alte privatrechtliche ISDS-System abgeschafft wird. Auf sozialdemokratische Initiative hin ist es gelungen, den bereits ausverhandelten Vertragstext an dieser Stelle nochmals grundlegend zu verändern und erstmals überhaupt einen öffentlich-rechtlichen Investitionsgerichtshof zu etablieren. Damit würden nicht nur die bisherigen Investitionsschutzbestimmungen zwischen den EU-Staaten und Kanada, die noch auf dem alten ISDS-System beruhen, abgeschafft. Der Gerichtshof bietet auch die Chance, einen völlig neuen Standard für einen modernen Investitionsschutz nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu schaffen. (…) Zudem soll die öffentliche Daseinsvorsorge aus dem Streitschlichtungsmechanismus herausgenommen werden.“

Gerade die Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge (Wasser, Energie, ÖPNV) durch private Klagerechte hatte tausende Demonstranten auf die Straße gebracht. Denn damit waren kommunale Versorgungsunternehmen genauso in Gefahr wie kommunale Selbstverwaltungsrechte.

Das dritte Argument:

„Parlamentarische Entscheidungshoheit: Mit Blick auf die regulatorische Kooperation zur Anpassung von Normen und Standards haben wir die Erwartung formuliert, dass hierdurch der politische Gestaltungsspielraum von Parlamenten und Regierungen nicht eingeschränkt werden darf. Der CETA-Vertrag sieht eine regulatorische Kooperation auf freiwilliger Basis und ohne bindende Wirkung auf parlamentarische Entscheidungen vor. Er betont zudem das ‚right to regulate‘ der Vertragsparteien, stellt also klar, dass die Entscheidungshoheit der Parlamente in vollem Umfang gesichert ist.“

Wenn das so stimmt, dann ist tatsächlich die Frage, warum das Freihandelsabkommen überhaupt so weit ausgreift ist und nicht nur die Abschaffung von Zöllen umfasst.

Sigmar Gabriel hatte damit argumentiert, dass CETA das Vorbild für völlig neue Arten von Freihandelsabkommen sein sollte. Der SPD-Konventbeschluss kritisiert ausdrücklich das gerade von den USA mit den Pazifikstaaten abgeschlossene Freihandelsabkommen TPP (Trans-Pacific Partnership). „Diese bilateralen Handelsabkommen sind zum Teil von schlechter Qualität, fehlender sozialer Verantwortung und keiner ernsthaften ökologischen Nachhaltigkeit gekennzeichnet“, heißt es im Konventsbeschluss. „Je mehr sich diese Art Handelsabkommen durchsetzen – z.B. das US-Abkommen mit Pazifikstaaten (TPP) – umso größer wird die Gefahr einer Verfestigung dieser Mängel.“

Was eigentlich auch das Grundproblem beleuchtet: Drei Viertel der Welt sind schon in solche Freihandelsabkommen vor allem mit den USA eingebunden und damit einem rigiden Dumping-Wettbewerb ausgesetzt. Mit CETA und TTIP befürchten das die Kritiker auch für Europa. Gerade die Sache mit den Standards steht auch bei CETA noch nicht wirklich auf einem belastbaren Fundament. Das stellt auch der SPD-Konvents-Beschluss fest, auch wenn er mit dem Argument wirbt.

Das vierte Argument:

„Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards: In unserem Konventsbeschluss haben wir die Erwartung formuliert, dass die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in Konfliktfällen genauso wirkungsvoll sichergestellt sein muss, wie die Einhaltung anderer Regeln des Abkommens. Der CETA-Vertrag sieht zur Durchsetzung der im Nachhaltigkeitskapitel verankerten Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards ein dialogorientiertes Verfahren unter Einbindung der Zivilgesellschaft einschließlich der Gewerkschaften und der ILO vor.“

Man spürt, dass CETA durchaus zu einem vorbildhaften Freihandelsabkommen werden könnte. Die Ansätze sind da. Kanada hat schon mal artikuliert, dass es nicht nachverhandeln wolle. Auch der EU-Präsident will das Paket ohne weitere Änderungen ins EU-Parlament bringen. Die Eile macht eher misstrauisch, als dass sie die tatsächlich besorgten Europäer überzeugt, dass dieses Abkommen kein Trojanisches Pferd ist.

Die 30 Verbände und Initiativen hinter den Protesten gegen CETA und TTIP haben schon angekündigt, dass sie weitere Aktionen planen werden, um CETA und TTIP zu stoppen.

In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

Leser fragen, wir antworten: Was kostet die Herausgabe der L-IZ.de? Warum 1.500 Abos?

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 2 Kommentare

– Keine Mehrwertsteuererhöhung -> Erhöhung statt auf 18 % auf 19 %
– Gesetzespaket zur “Belebung” und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes u.a. Hartz IV, massive Ausweitung von Zeitarbeit und Werkverträgen
– Riesterrente und damit Aufkündigung des Solidarprinzips
– Einfrieren der Arbeitgeberanteile der Krankenversicherung
…..

Schreiben Sie einen Kommentar