Am 17. September wird es in mehreren Großstädten Demonstrationen gegen CETA und TTIP geben, die beiden Freihandelsabkommen, die derzeit zwischen der EU einerseits und den USA und Kanada andererseits ausgehandelt werden. Und augenscheinlich sehen die Verhandlungsführer gerade bei CETA vor, die Europäer auch ohne Mitsprache der Parlamente zu dieser ziemlich seltsamen Hochzeit zu zwingen. Wie die Hochzeit aussieht, hat Attac mal verfilmt.

Eine Frau und ein Mann werden auf offener Straße gekidnappt, in eine Kirche gezerrt und dort unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen ihren Willen getraut. Als sich das unfreiwillige Paar beschwert, nicht gefragt worden zu sein, erklärt der als Pfarrer verkleidete Komplize freundlich: „Diese Eheschließung gilt vorläufig ohne euer Jawort, da sie nicht in euer beider Zuständigkeitsbereich fällt.“ Die Vorläufigkeit beschränke sich erst einmal auf zehn Jahre, dürfe aber bis ans Ende ihrer Tage fortgesetzt werden, erfahren die entsetzten Eheleute.

So beginnt der Kurzfilm, mit dem das globalisierungskritische Netzwerk Attac zu den sieben Demonstrationen gegen die Freihandelsabkommen CETA und TTIP am 17. September in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart mobilisiert.

Der Spot weist auf unterhaltsame Art auf die Gefahr einer vorläufigen Anwendung von CETA hin: Geht es nach der EU-Kommission, soll der umstrittene EU-Kanada-Pakt (CETA) bereits vor seiner Ratifizierung durch die EU-Staaten vorläufig angewendet werden – also noch bevor die Abgeordneten in den Mitgliedsländern über diese Wirtschaftsehe mit Kanada entscheiden können.

Beide Abkommen greifen auch tief in die kommunale Selbstverwaltung ein und schaffen gerade auf dem Gebiet der öffentlichen Daseinvorsorge neue Grauzonen, in denen Konzerninteressen erst so richtig zum Streitfall werden und außerstaatliche Schiedsgerichte auf einmal zu Entscheidern über demokratische Belange werden.

Zu sehen ist das anderthalbminütige Video mit dem Titel „Wie Sie vermutlich nicht heiraten wollen…“ auf der Attac-Webseite (www.attac.de/vorlaeufige-anwendung) und auf Youtube. Auch über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter findet es Verbreitung. Zudem wird der Film in mehreren Programmkinos gezeigt. Entwickelt und produziert wurde der Spot von der No-TTIP-Gruppe von Attac Berlin in Zusammenarbeit mit der Filmproduktion 900seconds.

Sieben parallele Großveranstaltungen

Mit sieben parallelen Großdemonstrationen will ein breites gesellschaftliches Bündnis den immer lauter werdenden Protest gegen die umstrittenen Handelsabkommen CETA und TTIP am 17. September bundesweit auf die Straße bringen. Unmittelbar vor dem SPD-Parteikonvent zu CETA sowie dem entscheidenden Treffen des EU-Handelsministerrats markiert der bundesweite Demonstrationstag den bisherigen Höhepunkt der Proteste. Die mehr als 30 Trägerorganisationen fordern heute in der Bundespressekonferenz den sofortigen Stopp der Verhandlungen über TTIP und die Aussetzung der Ratifizierung von CETA. Für sie sind die Abkommen ein demokratiepolitischer Skandal – ebenso wie das Vorhaben der EU-Kommission, CETA noch vor der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente vorläufig anzuwenden.

Das Bündnis umfasst Gewerkschaften, Globalisierungskritiker, Wohlfahrts-, Sozial- und Umweltverbände, kultur-, demokratie- und entwicklungspolitische Organisationen, Initiativen aus Kirchen und von kleinen und mittleren Unternehmen sowie für Verbraucherschutz und nachhaltige Landwirtschaft. Es kritisiert, dass mit CETA und TTIP eine Paralleljustiz für Investoren verankert und rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft gesetzt werden. Es drohe die Aushöhlung der demokratischen Gestaltungsspielräume. Staaten würden auf Investitionsschutz zulasten der Gemeinwohlorientierung verpflichtet, soziale und ökologische
Errungenschaften der Gewinnerwartung von Großunternehmen untergeordnet.

Stimmen aus dem Bündnis

„Ein demokratisch bestimmtes Gemeinwesen mit hohen sozialen Standards muss Vorrang vor Sonderrechten für grenzüberschreitend tätige Investoren und Unternehmen behalten!“, so Frank Bsirske, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, ergänzt: „Wo es um Erziehung, Pflege oder soziale Arbeit geht, haben Profitinteressen nichts zu suchen. CETA und TTIP bedrohen soziale Standards, gefährden unsere gemeinnützigen sozialen Dienste und hebeln die Bürgergesellschaft aus. CETA und TTIP müssen deshalb sofort gestoppt werden. Wir brauchen bei beiden Verträgen einen Neuanfang.“

Zu den Leidtragenden der durch die Abkommen forcierten Handelspolitik – insbesondere im Agrarsektor – gehören weltweit „die Ärmsten der Armen“, so Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt. „CETA und TTIP stehen im Gegensatz zu einer werteorientierten Handelspolitik und den Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen. Mit CETA und TTIP vergrößern die führenden Industriestaaten die globale Schere zwischen reichem Norden und armen Süden. Damit Handel zum Motor für Nachhaltige Entwicklung und ein gutes Leben für alle wird, brauchen wir faire Abkommen mit höheren, nicht niedrigeren sozialen und ökologischen Standards.“

Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands, begründet das Engagement aller großen Umweltverbände in der Bewegung gegen die Abkommen: „Wer den Schutz der Natur ernst nimmt, darf keine neoliberale Politik der Deregulierung verfolgen. Die geplanten Freihandelsabkommen versündigen sich an kommenden Generationen, sie sind organisierte Verantwortungslosigkeit.“

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann sieht die „kulturelle Vielfalt“ durch CETA gefährdet: „Weder die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sind ausreichend gesichert. CETA und TTIP sind ein kulturpolitischer Sündenfall, der negative Auswirkungen auf die Künstler, die Kultureinrichtungen und die Kulturwirtschaft in Europa haben wird. Der Kulturbereich arbeitet international, gerade deshalb ist es notwendig, dass die Spielregeln nicht einseitig zu Gunsten weniger Kulturkonzerne verschoben werden.“

Distanz zu nationalistischen Trittbrettfahrern

Die Organisatoren unterstreichen den transatlantischen Charakter ihres Protestes und distanzieren sich deutlich von nationalistisch motivierter Freihandelskritik. Christoph Bautz, geschäftsführender Vorstand bei Campact: „Am 17.09. gehen Menschen aus allen Schichten und Teilen der Gesellschaft zeitgleich in sieben Städten auf die Straße. Es ist eine Bürgerbewegung, in der alle willkommen sind – außer von rechts außen. Diese Menschen verbindet in all ihrer Vielfalt etwas sehr Grundsätzliches: die Sorge um unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat.“

Die Leipziger Demo am 17. September findet von 12 bis 17 Uhr auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz statt. Vom Leuschner-Platz aus soll um den kompletten Innenstadtring demonstriert werden.

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Es gibt 3 Kommentare

Ich arbeite auch, das hat mich noch nie daran gehindert, mich über wichtige Themen zu informieren. Allerdings ist Nicht-Wissen in diesem Fall eher “staatlich gefördert”. Und genau DAS sollte jeden erst recht aufmerksam machen.

Hoffentlich gehen am 17.09.16 mehr Leute auf die Straße als beim letzten Mal. Habe auch Bekannte animiert, aber das Interesse ist nicht da, die meisten Menschen sind wie Vogel Strauß. Die interessieren sich nicht, aber hinterher wird den falschen Leuten die Schuld in die Schuhe geschoben. Die Leute, die jeden Tag lange arbeiten müssen, wissen nichts über CETA, TTIP und Co., denn sie haben gar keine Zeit, sich mit den Inhalten zu befassen und sind desinteressiert. Aber jeder ist seines Glückes Schmied und die heutigen Ignoranten werden es in Zukunft sehen, was dann passiert. Auch jetzigen Gutverdienern kann es in Zukunft schlechter gehen, der Mittelstand ist im Abflug. Der Arbeitsmarkt hat sich gewandelt, sodass nicht mehr für alle Menschen Arbeit vorhanden ist bzw. andere Art von Arbeit. Die Konzerne bekommen immer mehr Macht und die kleinen Leute müssen sehen, wo sie bleiben.

„Am 17.09. gehen Menschen aus allen Schichten und Teilen der Gesellschaft zeitgleich in sieben Städten auf die Straße. Es ist eine Bürgerbewegung, in der alle willkommen sind – außer von rechts außen. Diese Menschen verbindet in all ihrer Vielfalt etwas sehr Grundsätzliches: die Sorge um unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat.“
So muss das. Ich bin in Köln dabei. An diesem Tag sollte wirklich (fast) Jeder auf die Strasse gehen.

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