Während der Diskussionsprozess um die „Zukunftsstadt“ Leipzig seit November 2015 in einem wattigen Raum der Unverbindlichkeit herumschwirrt, der selbst in gut organisierten Workshops einfach nicht zielführend werden will, zeigt die Leipziger Agenda 21 am 20. Juni, dass man in Leipzig schon längst viel weiter ist. Nur heißt das Ding nicht wattig „Zukunftsstadt“, sondern „nachhaltige Stadt“.

Die Dresdner haben das Thema Nachhaltigkeit gleich in ihre Bewerbung zur ersten Phase des vom Bund geförderten Projekts „Zukunftsstadt“ geschrieben, wohl wissend, dass man ohne ein konsequentes Umdenken der Probleme der modernen Stadt nicht mehr Herr wird. So weit war Leipzig auch schon mal – 1998, als der Agenda-Prozess in Leipzig ins Laufen kam. Doch irgendwo auf dieser Strecke hat Leipzigs Verwaltung die Lust verloren, ist auf einen anderen Weg eingebogen und hat nun irgendwie geglaubt, die Sache Zukunftsstadt mit großen, moderierten Werkstätten völlig neu erfinden zu müssen.

Schon nach der großen Auftaktkonferenz stand eine ziemlich diffuse Liste von Arbeitsfeldern fest, die man nun konkret untersetzen wollte.

Aber schon wenn man die Einzelpunkte genauer betrachtete, wurde klar, dass schon bei diesem Auftakt der Versuch gescheitert ist, eine klare Linie in den Prozess zu bringen.

Beispiel: Verkehr. Was kommt dabei heraus, wenn man eingeladene Bürger querbeet darüber diskutieren lässt, wohin es beim Verkehr in Leipzig gehen soll. Das Ergebnis im November: „Insgesamt forderten viele Bürgerinnen und Bürger innovative Lösungen der Stadt Leipzig für das Thema Mobilität. Es war festzustellen, dass die Bedürfnisse beim Thema Mobilität sehr unterschiedlich sind, was sich in einem sehr breiten Meinungsbild äußerte. Als Schnittmenge dieser Meinungen konnte herausgearbeitet werden: die Stadt Leipzig solle vor allem darauf achten, dass die Verzahnung von ÖPNV, Auto und Fahrrad gut funktioniere.“

Man einigt sich – das ist ja der Grundeffekt all dieser so beliebten Workshop – auf den kleinstmöglichen Nenner und macht den dann zur Arbeitsaufgabe. Mit Zukunft hat das nichts zu tun. Das ist nur Alibi. Denn bevor es um Verzahnung geht („Multimodalität“ heißt der Kunstbegriff, mit dem das unter die Leute gebracht werden soll), geht es um die Stärkung dessen, was Leipzig wirklich noch zu wenig hat: die Grundbedingungen für die umweltfreundlichen Verkehrsarten. Sie waren in den letzten 18 Jahren Stiefkind der Stadtpolitik. Und sie stehen wieder hinten an, wenn sich die Verantwortlichen jetzt erst einmal um „Verzahnung“ kümmern wollen.

Im Workshop, in dem es um „Integration“ gehen sollte, hat man sich zuletzt schon gründlich verheddert in Fragen von Heimat oder Nicht-Heimat und bürokratischen Fragen von Status-Klärungen.

Dabei liegen alle Themen, in denen Leipzig endlich nachhaltig werden muss, seit 1998 auf dem Tisch – vom bezahlbaren Wohnen für alle bis zum Klimaschutz und der Förderung regionaler Produktion. Und dass Leipzig in Sachen Nachhaltigkeit stagniert, hat die Leipziger Agenda-Gruppe schon im September 2015 deutlich kritisiert.

Daran hat sich nun im Juni 2016 nichts geändert. Denn um so einen Prozess in Gang zu halten, braucht es Oberbürgermeister und Bürgermeister, die ihm in der täglichen Politik auch Gewicht geben und ihn mit konkreten Maßnahmen untersetzen. Dass Leipzig ganz von vorn angefangen hat, irgendwie über Zukunft zu debattieren, zeigt im Grunde, dass zumindest in Leipzigs Verwaltungsspitze die Vorarbeit und die Notwendigkeiten eines konsequenten Agenda-Kurses überhaupt nicht mehr präsent sind. Man macht Politik von der Hand in den Mund, sucht die kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner und verliert sich folgerichtig in Profillosigkeit.

Dabei ist den Akteuren der Leipziger Agenda 21 durchaus bewusst, dass sie – wenn sie von den Nachhaltigkeitszielen der Stadt sprechen – selbst einen Berg von Themenfeldern vor sich her tragen. Ob das in einem zweieinhalbstündigen Forum alles zu besprechen ist, ist natürlich die Frage.

Einladung für den 20. Juni zum Forum

Sie wagen es trotzdem und laden zum Forum „Globale Nachhaltigkeitsziele – wie machen wir sie für Leipzig konkret?“ am Montag, 20. Juni, 17:00 bis 19:30 Uhr in der Handwerkskammer zu Leipzig (Dresdner Straße 11-13) ein.

Dabei berufen sie sich – und auch das ist keine Überraschung – auf die im vergangenen September durch die UN beschlossenen „Sustainable Development Goals“, die grundsätzlichen Nachhaltigkeitsziele, die man natürlich nicht nur im Weltmaßstab umsetzen muss, sondern auch in Städten wie Leipzig.

Dabei will man auch das Workshop-Prinzip aufgreifen und die folgenden Themenschwerpunkte an verschiedenen Tischen besprechen:

– Auseinandersetzung mit der wachsenden Stadt: Wie schaffen wir es, das stattfindende Wachstum so flächensparend wie möglich zu gestalten? Wie kann das richtige Gleichgewicht zwischen Verdichtung und Freiraumsicherung in der Stadt gefunden werden? Wie können wir in der dichter werdenden Stadt Möglichkeitsräume aller Art, die in den letzten zwei Jahrzehnten ein Markenzeichen der Stadt waren, erhalten.

– Intelligente, nachhaltige Mobilität fördern: Wie soll in der Stadt künftig der umweltfreundliche Verkehr gefördert werden, ohne den notwendigen Wirtschaftsverkehr zu behindern? Wie kann auch der Wirtschaftsverkehr umwelt- und stadtverträglicher werden? Wie kommen wir stärker zu einem intelligenten Mix aller Verkehrsarten und -dienstleistungen?

– Sicherung bezahlbaren Wohnens für alle sozialen Gruppen: Das Wohnungspolitische Konzept der Stadt Leipzig ist erst vor kurzem beschlossen worden, doch das Wachstum der Stadt läuft schneller als im Konzept prognostiziert. Welche Instrumente müssen hier kurzfristig eingesetzt werden, um für alle sozialen Gruppen bezahlbaren Wohnraum zu erhalten?

– Chancengerechtigkeit für alle verbessern: Leipzig hat eine extrem hohe Quote an Schulabgängern ohne Abschluss. Damit werden geringere Chancen zur Lebensgestaltung vorprogrammiert. Die Ursachen hierfür liegen oft in der gesamten zurückliegenden Kindheit. Wie kann die Stadt hier bessere Rahmenbedingungen schaffen, um für mehr Kinder eine aussichtsreiche Zukunft zu ermöglichen?

– Bildung für nachhaltige Entwicklung stärken und verbreiten: Die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung erfordert viele Kompetenzen, die in der derzeitigen Bildungslandschaft nur ansatzweise, wenn überhaupt, gefördert werden. Wie kann es gelingen, die wichtigen Kompetenzen zur Gestaltung unserer Zukunft stärker in den formalen und non-formalen Bildungsprozess zu integrieren?

– Nachhaltige Lebensmittelproduktion und Lebensmittelkonsum fördern: Die Art, wie unsere Lebensmittel derzeit produziert werden, aber auch der Überfluss und die Verschwendung und Vernichtung von Lebensmitteln in gigantischem Ausmaß sind ein unhaltbarer Zustand für eine nachhaltige Entwicklung. Wie können wir verträglichere Produktionsformen und angemessenen Konsum lokal fördern?

– Lokale Aktivitäten zum Klimaschutz verstärken: Die Notwendigkeit, mehr für den Klimaschutz zu tun, ist inzwischen weitgehend unbestritten. Jedoch klemmt es an vielen Stellen, wo es konkret werden könnte. Wie können wir Aktivitäten fördern, die sowohl ökologisch, wirtschaftlich und auch sozial sinnvoll sind?

– Fairen Handel ausbauen: Im vergangenen Jahr hatte sich die Stadt Leipzig erfolgreich im Wettbewerb zur „Hauptstadt des fairen Handels“ beworben (4. Platz in Deutschland). An diesem Engagement möchten wir anknüpfen. Wie kann es stärker gelingen, den Handel, die Gastronomie, aber letztlich auch alle Verbraucher anzuregen, Kriterien des Fairen Handels im Alltag stärker zu berücksichtigen.

– Lokale Entwicklungspartnerschaften aufbauen: In einer sich immer stärker globalisierenden Welt können wir die globalen Herausforderungen nicht nur isoliert lokal lösen. In vielen Kommunen bestehen bereits heute lokale Entwicklungspartnerschaften, bei denen sowohl privates, unternehmerisches, aber auch städtisches Engagement gebündelt wird. Wir haben hierfür, beispielsweise mit der Städtepartnerschaft mit Addis Abeba, Ansatzpunkte, die aber noch stark ausbaufähig sind. Wie kommen wir hier weiter?

– Bürgerschaftliches Engagement stärken: Ob in temporären Initiativen, in Vereinen oder aus dem beruflichen Kontext heraus: das persönliche Engagement ist eine der grundlegenden Voraussetzungen für die nötigen gesellschaftlichen Veränderungen. Wie können mehr Menschen aktiviert und eingebunden werden? Wie müssen Rahmenbedingungen hierfür verändert werden?

„Bei dieser Vielzahl von Themen und Fragen ist klar, dass nicht alles im Forum in der nötigen Tiefe besprochen werden kann. Es sollen aber Handlungsansätze für die weitere Bearbeitung im Agenda-Prozess herausgearbeitet und möglichst auch weitere Mitwirkende gewonnen werden“, betont Ralf Elsässer, Leiter des Büros der Leipziger Agenda 21.

In die Veranstaltung werden der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Volker Lux, als Gastgeber, der Bürgermeister für Umwelt, Ordnung, Sport, Heiko Rosenthal für die Stadt Leipzig und Prof. Dr. Dieter Rink als Sprecher des Koordinierungskreises der Leipziger Agenda 21 einführen.

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