Nicht locker lassen. Demokratie ist nichts für Kurzstreckensprinter. Für Leute, die schon nach dem ersten Anlauf erschöpft sind, erst recht nicht. Selbst gute Ideen setzen sich selten im ersten Aufbegehren durch. Auch in der Demokratie gibt es Leute, die sich gegen jede Veränderung wehren. Zum Beispiel gegen die Gründung eines schlagkräftigen Bundeslandes Mitteldeutschland.
Eigentlich hätte man erwartet, dass Politiker mit Geburtsorten in der Lausitz, der Börde, dem Thüringer Wald das Thema anpacken, in ihrem Stolz gekitzelt,in einer reichen und einst starken Kultur- und Wirtschafts-Landschaft zu leben. Doch in den meisten mit Regierungsämtern gesegneten Parteien hat 1990 das Einschlafmittel “Traditionsbewusstsein” zugeschlagen – sie singen von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, als könnte eine regionale Identität eine wirtschaftliche Bündelung der Kräfte ersetzen. Doch Trachtengruppen und “Tage der Sachsen” schaffen keine wirtschaftliche Power. Und seit Jahren verzetteln sich drei Landesregierungen in einem Kleinklein, das die einst stärkste Wirtschaftsregion Deutschlands bremst.
Ob Ansiedlungspolitik, Infrastrukturpolitik, Forschungs- oder Förderpolitik – immer wieder enden die Träume an der Landesgrenze, passt nichts zusammen, wird auch das Projekt Metropolregion ausgebremst, weil jeder Mitspieler nur seinen eigenen Vorteil sieht.
Aber zwei Burschen aus Halle und Leipzig ackern nun seit Monaten für das Thema. Auch bei Schnee und Frost waren sie rund um Halle und Leipzig unterwegs, um Unterschriften zu sammeln für ein Volksbegehren, mit dem eine Abstimmung in Gang gebracht werden soll für eine Fusion der drei Bundesländer, von denen zwei schon jetzt viel zu klein sind, um im Konzert der Bundesländer Gewicht zu haben: Thüringen und Sachsen-Anhalt. Und Sachsen spielt im Bundesrat zwar gern den Halbstarken und prescht mit eigenen Anträgen und Gegenanträgen vor – und sitzt dann allein da mit seiner Position, die mit den Nachbarländern nicht abgestimmt ist.
Ein Trauerspiel, findet Bernward Rothe, geboren in Bonn, Verwaltungsfachmann, Rechtsanwalt und langjähriger Abgeordneter des Landtags in Sachsen-Anhalt. Seit 2014 sitzt er im Stadtrat von Halle, seiner Wahlheimat, nachdem er auch Magdeburg und Aschersleben in seiner politischen Praxis kennen gelernt hat. Leipzig kennt er nicht nur aus Vor-“Wende”-Zeiten, sondern schon aus der Schule. Denn die Industrieregion Leipzig, Chemnitz, Zwickau, Halle, Dessau, die war selbst in den Schulbüchern im Westen eine Nummer. Leuna war noch lange kein Skandal, sondern eine zu merkende Vokabel aus dem Chemieunterricht.
Wie sehr dieses einst berühmte (und gefürchtete) mitteldeutsche Industrierevier unter der Teilung in drei Bundesländer leidet, darüber könnte er Vorträge halten. Macht er auch gern. Gemeinsam mit dem Leipziger Roland Mey, der Anfang der 1990er Jahre auch mal den rebellischen SPD-Abgeordneten im Leipziger Stadtrat gegeben hat, ist er seit Monaten über Märkte und Plätze getingelt und hat Unterschriften für das “Volksbegehren Mitteldeutschland” gesammelt. Mindestens 7.000 gültige Unterschriften mussten die beiden sammeln, um überhaupt die erste Hürde zu nehmen für ein Volksbegehren.
“Die haben wir”, sagt Mey mit breiter Brust.
Und Rothe etwas zurückhaltender: “10.000 haben wir gesammelt. 8.000 werden gültig sein. Das müsste reichen.”
Am Mittwoch, 1. Juli, haben sie ihre Unterschriften gebündelt und ins Auto gepackt. Ein kurzer Fototermin. Denn das nächste Ziel ist Berlin. Die Unterschriften müssen ins Innenministerium, das die dicken Ordner mit Unterschriften nun sichten und prüfen muss. Und wenn die nötige Zahl gültiger Unterschriften bestätigt wird, könnte es im Herbst zur nächsten Stufe kommen. Dann müssten die Bürger aus der Region zur Amtseintragung in die Rathäuser eilen, denn leicht hat es der Gesetzgeber den Untertanen nicht gemacht. Jede Hürde bis zu einem möglichen Bürgerentscheid ist um eine Ecke höher.
Bei der Amtseintragung braucht es nicht mehr nur 7.000 gültige Unterschriften, sondern 100.000. Binnen 14 Tagen müssen die Wahlberechtigten in Mitteldeutschland in die Räume mit den Unterschriftenlisten flitzen, um quasi durch ihre Menge zu bestätigen: Ja, wir wollen über die Fusion unserer Bundesländer abstimmen. Passieren soll das, wo die Region am heftigsten unter der Zersplitterung leidet, in der Region Leipzig-Halle-Dessau.
Eine Hürde, die Rothe und Mey für ziemlich heftig halten. Denn ein großes Budget, zwei Wochen lang auf allen Kanälen für die Unterschriftsleistung zu trommeln, haben sie nicht. Sie bereiten sich aber trotzdem schon einmal darauf vor, dass das Innenministerium ihnen den Termin im Herbst anweist samt den 14 Tagen Frist.
Und wenn dann wirklich die nötige Zahl Unterschriften von 10 Prozent der Wahlberechtigten zusammenkommt, dann ist tatsächlich die Tür zur nächsten Stufe aufgestoßen: Das ist dann der Volksentscheid, von dem Rothe hofft, dass er gleichzeitig mit der nächsten Bundestagswahl 2017 stattfinden kann. Nur so kommen auch tatsächlich genug Wähler ins Wahllokal, um so einen Entscheid gültig zu machen. 25 Prozent der Wahlberechtigten müssen dann mitmachen.
Ob sie dann für eine Fusion stimmen, ist dann noch eine ganz andere Frage. Denn noch braucht die Idee viel Rückenwind, um überhaupt wahrgenommen zu werden in einem Politikumfeld, in dem drei Landesregierungen auf reine Heimatfolklore setzen und auch nicht wirklich über die Chancen nachdenken, ihre Kräfte auf den wichtigsten Gestaltungsfeldern zu bündeln.
“Warum nicht erst mal auf den wichtigsten Feldern anfangen”, fragt Rothe. “Es gibt genug Dinge, die alle drei Länder gemeinsam anpacken können.” Aber: Es passiert nicht. Da kann man lange warten.
Eine kleine Hoffnung hat er, dass die Initiative demnächst auch prominentere Befürworter findet, die auch mal mit mehr Nachhalt erklären könen, warum eine Industrieregion wie Mitteldeutschland auch gemeinsame Strukturen braucht.
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