Kurze, klare Lösungen sollten in der Stadtentwicklung immer hinterfragt werden, schließlich sind Faktoren mitzudenken, die gern mal ein Bein stellen, wenn alles so schön am Laufen ist. So sollte bei der Sanierung von Wohnungen auch mal daran gedacht werden, dass in ein paar Jahren Energie schweineteuer werden wird - und vielleicht sollte manch Extrem-Traditionalist eben doch das von ihm ungeliebte Wort Nachhaltigkeit in seinen Denkvorgang übernehmen.
Da Tanner gern hinterfragt und seine Komplizin Swantje Vondran (deshalb ist sie auch mittig mit auf dem Bild) ihn oft und gern zum Mitdenken anregt, kam der Kontakt zu Krutzsch (seecon) und Haendel (DSK) zustande. Die sind nämlich schon am Zukunft gestalten. Mitten unter uns. Hier in Leipzig. Doch lest selbst:
Ein Begriff geistert durch die Stadt, nicht mal wirklich ein Begriff, eher eine Abkürzung: ESM. Ich kenne nur ESP (Einführung in die sozialistische Produktion) und EMP, die verkaufen Shirts mit lustigen lebensverneinenden Sprüchen drauf. Was aber ist dieses ominöse ESM, mit dem Ihr Euch befasst?
Ronny Krutzsch: Der Begriff steht für Energetisches Sanierungsmanagement und wurde als Förderinstrument von der KfW (eine Fördermittel-Bank, Anm. der Red.) eingerichtet, um Energieeffizienz und Klimaschutz auf Quartiersebene voranzubringen, zugegeben, das sagt immer noch nicht viel. Die Vorgeschichte erklärt es vielleicht am verständlichsten: Die Stadt Leipzig hat Anfang 2015 für die Quartiere Lindenau/Plagwitz und für Alt-Schönefeld Klimaschutzkonzepte erstellen lassen. In denen wurde modellhaft analysiert, wie man die Stadt durch weniger abgaslastigen Verkehr, innovative Energieversorgungslösungen, energiesparende Sanierungsmaßnahmen und auch mehr Grünflächen vor Ort besser auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten kann. Das Konzept ist quasi unser Arbeitsauftrag. Wir sollen an den Stellen, wo das Konzept konkrete Maßnahmen formuliert, diese in die Tat umsetzen und an den Stellen, wo es noch vage bleibt, gemeinsam mit den Akteuren vor Ort neue Projekte vorbereiten.
Und was macht Ihr da genau? Wen wollt Ihr denn eigentlich erreichen, wer ist Eure Zielgruppe? Was sind Eure konkreten Angebote?
Ronny Krutzsch: Diese Fragen sind wirklich entscheidend, Volly. Das ESM hat so viele Themenfelder, da kann man leicht den Überblick verlieren… Am einfachsten lässt es sich tatsächlich an den verschiedenen Zielgruppen festmachen: Da wären zum Beispiel die Hauseigentümer. Dadurch, dass das ESM von der Stadt Leipzig gefördert wird, können wir umfangreiche Beratungsleistungen anbieten. Im Einzelfall können diese bis hin zu einer konkreten Sanierungsberatung reichen. Aber nicht jeder ist Hauseigentümer, ich als Mieter habe da andere Interessen. Vor allem: geringe Nebenkosten! Hier werden wir viel vermitteln, insbesondere an unsere Kollegen von der Verbraucherzentrale Sachsen. Die sind hierzulande leider vergleichsweise unbekannt. Trotz ihrer wirklich tollen Beratungsangebote, vom richtigen Lüften bis zur geeigneten Solaranlage auf dem Dach.
Gibt es auch direkte Unterstützung?
Ronny Krutzsch: Ja, die gibt es: wir beraten Interessierte auch zum konkreten Einsatz von Erneuerbaren Energien, heißt, falls Sie und Ihre Nachbarn Interesse an einem gemeinschaftlich betriebenen Blockheizkraftwerk mit Nahwärmenetz haben, kalkulieren wir für Sie die notwendige Dimension und bestimmen die Kosten. Sie haben nicht zufällig Bekannte, die sich ein BHKW kaufen wollen und auf der Weißenfelser Straße wohnen, Herr Tanner?
Hm, da muss ich einfach mal in meinem Umfeld fragen. Ich weiß ja nicht, ob sich das für´s Helheim lohnt, das müssen wir echt mal beschnarchen.
Christian Haendel: Tun Sie das, Herr Tanner, tun Sie das. Wir unterstützen darüber hinaus aber auch bei der Suche nach geeigneten Förderprogrammen und Finanzierungsmöglichkeiten, die sind im Bereich Klima und Energie ja sehr breit gefächert und es kommen ständig neue Programme hinzu und bestehende werden angepasst, da können wir Navigationshilfe sein. Außerdem bieten wir an, Gruppen von Akteuren bei Gemeinschaftslösungen zu unterstützen; zum einen durch Moderation und Organisation solcher Gruppen, aber auch bei der Findung eines geeigneten Betreibermodells für eine gemeinschaftlich genutzte Energieversorgung. Genossenschaft, GmbH oder doch ein Alleinverantwortlicher? Was ist die sinnvollste Lösung für das konkrete Vorhaben? Hier können wir beraten und holen geeignete Ansprechpartner ins Boot. Mit solch einer Beratung ist ja, sagen wir mal, den Rasenmäherverkäufern von Lützschena-Stahmeln nicht wirklich geholfen.
Ronny Krutzsch: Der Rasenmäherverkäufer aus Lützschena ist zwar nicht unser direktes Ziel, aber wir möchten mit unserer Tätigkeit im Quartier auch dafür sorgen, dass im weiteren Umfeld energie- und klimarelevante Themen stärker wahrgenommen werden. Und die gegenwärtige Konzentration auf das Untersuchungsgebiet in Lindenau und Plagwitz soll natürlich auch Erkenntnisse und Erfahrung bringen, die wir auch in Lützschena, Dölitz oder Reudnitz anwenden können.
Eure Arbeit richtet sich ja auf einige Zukunftsprognosen aus. Dass der Peak Oil irgendwann demnächst kommt, ist nicht wegzudiskutieren, dass wir uns über Energie und Energiemassenverbrauch Gedanken machen müssen, auch nicht. Welches ist da der Hintergrund für Euch, in welchem größeren Kontext ist Eure Arbeit da zu sehen?
Christian Haendel: Ich weiß gar nicht, ob der Peak Oil nun schon da war oder ob er vielleicht gar nicht kommt, aber Fakt ist, wir verbrauchen Energie und die muss irgendwoher kommen. Wir haben uns die Bilanz für den Stadtteil angeschaut und festgestellt, dass zu einem Großteil fossile Energieträger zum Einsatz kommen. Wir haben uns gesamtgesellschaftlich darauf verständigt, dass wir nach und nach aus diesen fossilen Energien aussteigen wollen. Das kann aber nur funktionieren, wenn man an den Stellen wo Energie verbraucht wird, anpackt. Unser Zielfeld als ESM ist das Stadtquartier, weil ein Großteil unserer Energie in die Beheizung von Gebäuden und in den Verkehr fließt.
Ronny Krutzsch: Also ich bin definitiv der Meinung, dass es den Peak Oil schon gab oder zeitnah geben wird, aber ansonsten kann ich meinem Kollegen Herr Haendel nur zustimmen. Die Energiewende ist nicht durch Einzelne zu bewerkstelligen, dafür braucht es die ganze Gesellschaft. Mit dem ESM werden Teile von Lindenau und Plagwitz zu einem geförderten Versuchsraum. Für eine langfristig lebenswerte Stadtgestaltung.
Zurück zum ESM konkret. Wie sieht Euer Arbeitsplan für die nächsten drei Jahre aus? Der muss ja, das erschließt sich jedem Denkfähigen, flexibel sein, aber ein paar Eckdaten habt Ihr doch bestimmt, erzählt mal bitte.
Christian Haendel: Wir knüpfen gegenwärtig an den Prozess der Konzepterarbeitung im letzten Jahr an, strukturieren und organisieren Beratungsangebote, diese sollen dann auch regelmäßig gemeinsam mit weiteren Fachleuten im Stadtteilladen angeboten werden. Außerdem sprechen wir gezielt Schlüsselakteure im Gebiet an, um deren Ideen und Entwicklungsabsichten aufzunehmen und bei eigenen Projekten zu unterstützen. Dann geht es darum, diese Beratung zu verstetigen und die Projekte des Klimaschutzkonzeptes zur Umsetzung zu bringen. Die vorhin erwähnten Angebote des ESM stehen dann und können in Anspruch genommen werden. Wir sorgen dafür, dass die Angebote wahrgenommen werden und bringen uns aktiv in die Stadtteilarbeit ein.
Ronny Krutzsch: Im ESM haben wir vorrangig Beratungs- und Kommunikationsfunktionen. Wir vermitteln, beraten, berechnen und reden. Wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich in den drei Jahren gerne ein großes Modellvorhaben realisieren. Bei der Erarbeitung des Klimaschutzkonzeptes haben wir darüber nachgedacht, ein Nahwärmenetz für die Philippuskirche und die Helmholtzschule zusammen mit umliegenden Anwohnern zu konzipieren. Jetzt sind das noch ungelegte Eier, aber es wäre doch toll, wenn wir nach drei Jahren sagen können: Daran waren wir maßgeblich beteiligt! Das entscheiden aber nicht wir, auch nicht die Stadt, sondern die Eigentümer selbst. Daher kann man wesentliche Projektschritte im Vorfeld wirklich schwer voraussagen.
Alles in allem sehe ich es aber schon als Erfolg, wenn nach dieser Zeit klimaschutzrelevante Themen im Stadtteil etabliert sind und der Weg in Richtung Energieeffizienz und Klimaanpassung weitergegangen wird. Letztens meinte eine Kollegin aus der Stadtverwaltung “Ach, drei Jahre, das ist doch ein Wimpernschlag für Fragen der Stadtentwicklung.” Recht hat sie.
Aber es braucht ja auch ein Ziel, nicht wahr?
Christian Haendel: Am Ende der drei Jahre steht dann gemeinsam mit dem zweiten Gebiet in Alt-Schönefeld eine Auswertung an, um, wie bereits erwähnt, gute Erfahrungen und Erkenntnisse zusammenzutragen und zu prüfen, an welchen anderen Orten man dies ebenfalls so umsetzen kann. Natürlich geht es dann auch darum, zu identifizieren, an welchen Punkten es noch geklemmt hat. Also, warum das eine oder andere Projekt dann doch nicht umgesetzt wurde und ob es dafür eventuell neue Ideen gibt, wie man es anders machen kann. Fehlen vielleicht bestimmte Rahmenbedingungen, die man zunächst regeln müsste? Brauchen wir beispielsweise eine passgenauere Förderung oder waren baurechtliche Vorschriften ein Hindernis und so weiter, denn wir wollen ja auch für die Zeit nach unserer Beauftragung vordenken und die eine oder andere Grundlage für eine langfristige klimafreundliche Stadtteilentwicklung schaffen.
Danke für Eure Antworten. Und danke, dass sich einige Menschen mit der Zukunftsfähigkeit unserer Stadt befassen.
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