Sechs Jahre hat das alte Wohnungspolitische Konzept der Stadt Leipzig gehalten. 2009 wurde es beschlossen. Da konnte auch der Leipziger Stadtrat noch nicht ahnen, wie die Bevölkerungszahl in Leipzig ab 2011 in die Höhe schießen würde. So schnell, dass in einigen Vierteln mittlerweile ein neues Gefühl Raum gewinnt: Hier wird's jetzt eng. Seit etwa anderthalb Jahren schwelt die Debatte. Anfangs auch von den politischen Gremien eher als belanglos abgetan.
Immerhin hatte Leipzig noch vor wenigen Jahren 70.000 Wohnungen Leerstand. Auch der “Zensus 2011” hatte enorme Leerstandszahlen für Leipzig ergeben. Das Mietniveau steigt seit Jahren nur moderat um 1,5 Prozent im Jahr, etliche Leipziger hatten deutliche Einkommenszuwächse.
Und trotzdem meldeten gerade die jungen, kreativen Leipziger aus den wachsenden Quartieren im Westen “Gefahr im Verzug”. Manche erlebten direkt, wie es ist, wenn Immobilienentwickler die alte Mieterschaft herausdrängen und sich alternative Wohnprojekte in wenigen Jahren in teure Lofts verwandeln. “Die Karawane” zieht weiter, stellt auch Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau fest, die am Donnerstag, 25. Juni, den Entwurf des neuen “Wohnungspolitischen Konzepts” der Presse vorstellte. Gezwungenermaßen ziehen die kreativen Pioniere derzeit vom Westen in den Osten. Früher waren sie mal im Süden zu Haus.
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Am Montag, 29. Juni, wird der Entwurf ab 18:00 Uhr in einer Veranstaltung im Rahmen von „Leipzig weiter denken“ im Neuen Rathaus (Festsaal, Einlass: 17:30 Uhr) vorgestellt und diskutiert. Direkt danach wird es die Möglichkeit geben, sich öffentlich über den Entwurf zu informieren sowie Hinweise und Ideen einzubringen. Das Konzept kann vom 30. Juni bis zum 24. Juli auf www.leipzig.de/weiterdenken sowie bei der Ausstellung im Stadtbüro (Katharinenstraße 2) eingesehen und kommentiert werden. Dort wollen Vertreter des Stadtplanungsamtes jeweils am Donnerstag von 14:00 bis 18:00 Uhr auch Rede und Antwort stehen.
Das könnte durchaus nötig sein, denn die Vorlage ist wesentlich komplexer als eine einfache Erklärung “Wohnen soll bezahlbar bleiben”. 78 Seiten sind es geworden, nachdem die Planer der Stadt sechs Werkstätten mit den Akteuren des Wohnungsmarktes zusammengesessen haben, drei große Bürgerforen haben stattgefunden. Und dabei stellte sich auch heraus, wie komplex die Interessenlagen aller Beteiligten sind. Denn nicht nur preiswerter Wohnraum wird knapp – auch Wohnungen für Familien sind Mangelware geworden, barrierefreie Wohnungen gibt es viel zu wenige. Es wird zwar wieder gebaut: Im Schnitt 1.500 Wohnungen entstehen jedes Jahr neu, weitere 1.500 werden aus dem Altbaubestand revitalisiert, für 7.000 liegen die Baugenehmigungen für die nächsten Jahre vor.
Unter 8,00 Euro pro Quadratmeter kann man heute keine Wohnung mehr bauen
Aber schon der Blick ins Detail zeigt das Problem: Bauen ist im Jahr 2015 so teuer, dass man im Grunde keine neuen Wohnungen mehr unter einem Mietpreis von 8,00 bis 8,50 Euro je Quadratmeter bauen kann, wie Stefan Heinig, Abteilungsleiter Stadtentwicklungsplanung im Stadtplanungsamt, erklärt. Das befeuert zwar den Wohnungsbau gerade für die wachsende Zahl von Haushalten, die sich solche Mieten auch leisten können. Aber es bringt die Stadt, ihre Wohnungsbaugesellschaft LWB und auch die Wohnungsgenossenschaften schnell an ihre Grenzen. Denn woher soll das Geld kommen, solche Wohnungen zu subventionieren?
“Andere Bundesländer haben längst wieder ein Förderprogramm für sozialen Wohnungsbau”, sagt Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau. “Sachsen leider nicht. Wir könnten jede Menge Förderung für Wohnungsabriss bekommen. Aber das macht – wie Sie ja selber wissen – in einer Stadt wie Leipzig wenig Sinn.”
Grund ist: Flächenmäßig betrachtet hat Sachsen zu viele Wohnungen. Gerade in den ländlichen Räumen sind Kommunen froh, wenn sie Geld für Wohnungsabrisse bekommen können. Aber nicht nur Leipzig – auch die Landeshauptstadt Dresden hat längst das Problem eines enger werdenden Wohnungsmarktes.
Aus den einst 70.000 leerstehenden Wohnungen sind mittlerweile nach Schätzungen des Stadtplanungsamtes nur noch 22.000 geworden. “Die Hälfte davon in einem marktfähigen Zustand”, so Stefan Heinig, “die andere Hälfte nicht.” Die Zahlen selbst bestätigen also das, was viele Wohnungssuchende erfahren. In einigen Wohnungssegmenten ist das Angebot deutlich ausgedünnt.
Umsteuern, bevor Leipzigs Wohnungsmarkt tatsächlich aus dem Lot gerät
Und in eine Situation wie Frankfurt oder München möchte Dorothee Dubrau mit Leipzig gar nicht erst kommen. “Deswegen machen wir jetzt unser neues Wohnungspolitisches Konzept”, sagt sie. Und man habe auch schon mit allen Wohnungsmarktakteuren gesprochen, wie man schon jetzt mit Wohnungsneubau gegensteuern könne, damit es in Leipzig gar nicht erst zu einem angespannten Wohnungsmarkt kommt, der die viel diskutierte “Mietpreisbremse” erst zu einem scharfen Schwert machen würde, wie sie sich ausdrückt.
Die LWB würde dabei schon eine Rolle spielen – im Wohnungsneubau genauso wie bei der Asylunterbringung oder auch der Schaffung notwendiger Infrastrukturen wie Kindertagesstätten. Das Problem, das bleibt: die fehlende Förderung für sozialen Wohnungsbau.
“Sie können sicher sein, dass wir mit dem Thema in nächster Zeit immer wieder in Dresden auf der Matte stehen werden”, sagt Dubrau. Und damit meint sie nicht die Landeshauptstadt, die das Problem mittlerweile in noch etwas verschärfterer Form hat. Immerhin ist es eine jener Städte, “die auch noch ihre Wohnungsgesellschaft verkauft hat” (Dubrau) und damit weniger Handlungsfreiheit besitzt. Ziel der Dresdenfahrt wird die Staatsregierung sein, die zwar vom Bund die Wohnungsbaufördermittel bekommt, sie aber vor allem für Wohnungsabriss einsetzt und für Wohneigentumsbildung. “Aber ich bin zuversichtlich”, sagt die Baubürgermeisterin, “denn die Sache mit dem geförderten Wohnungsbau steht auch im Koalitionsvertrag.”
Netzwerk “Leipziger Freiheit” und Milieuschutz
Froh ist sie, dass die Wohnungsmarktakteure das “Wohnungspolitische Konzept” mittragen. Immerhin geht es da nicht nur um einkommensschwache Haushalte und ihre Möglichkeit, im ganzen Stadtgebiet angemessenen Wohnraum zu finden. Es geht um das wichtige Thema soziale Durchmischung, um das wachsende Thema Barrierefreiheit für einen immer größeren Anteil älterer Leipziger, um Kinder- und Familienfreundlichkeit. Aber auch um die notwendigen Freiräume für alternative Wohnformen, die vor allem in einem Netzwerk “Leipziger Feiheit” gebündelt werden sollen. Und ein neues Wort taucht auf: Milieuschutz.
Das hat Dorothee Dubrau aus Berlin mitgebracht, wo sie miterlebt hat, welche Verdrängungsprozesse in Gang kommen, wenn die zweite Sanierungswelle durch ein Stadtquartier rollt. Dann werden aus bezahlbaren Wohnungen schnell luxussanierte Wohnungen – was Stadtteile endgültig in die Gentrifizierungsfalle führt.
„Teil des Entwurfs sind auch Instrumente und Maßnahmen, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden sollen, um im Zusammenspiel miteinander einem angespannten Wohnungsmarkt vorzubeugen“, erläuterte Stefan Heinig. „So erfordern diese Rahmenbedingungen beispielsweise erweiterte Aufgaben für die Bauleitplanung, die Erprobung neuer Instrumente wie die Vergabe städtischer Grundstücke nach Konzept, eine verstärkte Kooperation mit den Wohnungsunternehmen zur Wohnraumversorgung, die Unterstützung vielfältiger Wohnformen etwa durch Beratung oder Vernetzung engagierter Akteure sowie eine kontinuierliche Wohnungsmarktbeobachtung.“
Am Montag, 29. Juni, beginnt der öffentliche Diskussionsprozess. Binnen vier Wochen haben die Leipziger Gelegenheit, sich in den Diskussionsprozess einzubringen. Im Herbst, vielleicht im Oktober, so hofft Dorothee Dubrau, könnte das neue “Wohnungspolitische Konzept” vom Stadtrat beschlossen werden.
Für den Haushalt 2016 wurden bereits Mittel in Höhe von 1 Million Euro eingestellt, sodass unmittelbar nach der für Herbst 2015 geplanten Beschlussfassung mit der Umsetzung begonnen werden kann. Und ein Teil der Mittel ist gleich für das Netzwerk “Leipziger Freiheit” vorgesehen.
Die vier Leitlinien für das Konzept in der Übersicht
1. Damit ein ausreichendes Angebot an Wohnungen in angemessener Qualität zur Verfügung steht, soll einerseits die Erweiterung des Wohnungsangebotes trotz noch vorhandener Leerstände befördert werden. Andererseits sollen qualitative Anforderungen an Wohnraum, wie zum Beispiel ein Angebot an vielfältigen Wohnformen an stadtstrukturell geeigneten Lagen, städtebauliche oder architektonische Aspekte, berücksichtigt werden (zum Beispiel durch Beratung von Bauherren sowie im Zuge der Bauleitplanung). Wohnraum soll dabei sowohl bezahlbar als auch wirtschaftlich sein.
2. Um genügend Wohnungen für einkommensschwache Haushalte zu erhalten, wird eine engere Zusammenarbeit mit Wohnungsmarktakteuren zur Sicherung günstiger Wohnungsangebote angestrebt (zum Beispiel durch Kooperationsvereinbarungen mit Eigentümern).
3. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der sozialen Verantwortung sollen das Wohnen für Familien, Senioren und Menschen mit Behinderungen besonders unterstützt werden. (Dazu werden zum Beispiel Anforderungen an eine soziale Wohnungsbauförderung im Freistaat Sachsen formuliert.)
4. Durch den Erhalt sozial und in der Nutzung gemischter Stadtteile und die Gestaltung eines nachhaltigen Wachstums soll Wohnungspolitik einen Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung leisten (zum Beispiel durch die Beratung und Unterstützung von Projekten für bezahlbares Wohnen).
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