Volly Tanner trifft Björn Mencfeld hin und wieder bei Aktivitäten im Stadtteil. Dann schnattern sie über Frauenfußball oder Mitmenschlichkeit. Nun war der Björn mit seinen Freunden in der DFB-Zentrale um den Integrationspreis für den Verein Lindenau 1848 abzuholen. Grund für Tanner mit Björn Mencfeld zu reden - über Frauenfußball, Mitmenschlichkeit, Ängste und Integration. Und auch ein bisschen über Verantwortung und Zukunft.
Hallo Björn, fein Dich hier vor dem Areal vom Lindenau 1848 zu treffen. Ihr habt gerade den Integrationspreis des DFB bekommen. Wofür eigentlich?
Hallo Volly, ich freue mich ebenso, dich hier am altehrwürdigen Charlottenhof zu treffen. Deine Frage habe ich mir in den letzten Wochen auch oft gestellt: Wofür haben wir eigentlich den DFB-Integrationspreis 2014 bekommen? Wir haben nichts weiter gemacht, als zur Zeit der Eröffnung der dezentralen Asylunterkunft in der GSS 31 den dortigen Betreuerinnen unsere Sportangebote vorzustellen – das sind neben Fußball ja auch Leichtathletik, Tennis, Tischtennis, Gymnastik und Volleyball – und die Asylsuchenden zum Training bei uns einzuladen.
Ideengeber dafür war Fußball-Nachwuchstrainer Martin Hammel, aber sehr schnell haben auch andere Vereinsmitglieder gesehen, dass man auf diese Weise der sozialen Verantwortung des Sports gerecht werden kann. Schon ein paar Tage später kamen die ersten Kinder zum Training. Als sich dann gleich beim zweiten Training in meiner F-Jugend zwei libanesische Brüder, die erst seit wenigen Wochen in Deutschland waren, auf Deutsch “pass” und “schieß” zuriefen, wusste ich: davon haben alle etwas. Sehr schnell hat dann auch die Zahl der Fußballschuhspenden zugenommen, Eltern haben Spielsachen gespendet, es sind Freundschaften entstanden.
Aber die Sprachschwierigkeiten … das ist doch mehr als “pass” und schieß” …
Dank unseres arabischsprachigen Trainers Rody Meilicke konnten auch die Eltern mit einbezogen werden, bei der Bambini-Weihnachtsfeier gab es Gebäck aus aller Herren Länder – im Übrigen nicht nur von Asylbewerbern, sondern auch von anderen Familien mit Migrationshintergrund aus über 20 Nationen, die schon seit längerem bei uns im Verein Sport treiben. Durch diese Vielfalt wachsen auch unsere deutschen Spielerinnen und Spieler ohne Vorurteile auf – eine Win-win-Situation.
Mittlerweile haben wir im Verein Sportler aus mehreren Asylunterkünften hier im Westen, auch im Erwachsenenbereich. Besonders hilfreich ist dabei, dass die Betreuer in den Unterkünften mit Herz bei der Sache sind und unsere Angebote auch unterstützen. Anders zu sein, ist beim SV Lindenau 1848 mittlerweile normal. Ich hoffe, diese Normalität ist bald keinen Preis mehr wert sondern allerorts alltäglich.
Und was gab es? Ich hörte von einem fahrbaren Untersatz – stimmt das?
Ja, das stimmt. Einen Mercedes Benz Vito haben wir gewonnen. Die offizielle Übergabe wird in den nächsten Wochen in einem Leipziger Autohaus erfolgen. Aber schon allein die Art der Preisverleihung – insgesamt 10 Preisträger aus ganz Deutschland wurden für drei Tage inklusive Länderspiel, Workshop in der DFB-Zentrale und Preisverleihung mit Nationalspielern nach Frankfurt eingeladen – war eine tolle Auszeichnung, bei der wir gleich neue Ideen aufschnappen und gute Kontakte z. B. nach Löbau knüpfen konnten.
Eigentlich sollte es in einer Demokratie – vor allem in einer christlich geprägten, die ja u. a. Nächstenliebe predigt – ganz natürlich sein, Menschen, die herkommen, zu helfen. Daneben sollte es auf einem Planeten auch ganz natürlich sein, dass jedermensch da leben darf, wo er will. Warum, denkst Du, gibt es da so viele Widerstände, Ängste und Einigelungen. Das scheint mir persönlich ja schon pathologische Ausmaße anzunehmen. Was denkst Du?
Es ist Angst. Existenzangst, Verlustangst, Angst vorm Unbekannten, die die Menschen in die Einigelung treibt. Diese Ängste sind leider eine Triebkraft unserer Leistungsgesellschaft, sie lassen Menschen stets danach streben, besser als andere Menschen zu sein. Und nun plötzlich ist neue “Konkurrenz” da, aber eben auch jemand, dem man sich “überlegen” fühlen kann. Ähnlich haben ja auch viele Westdeutsche empfunden, als immer mehr DDR-Bürger in die BRD flohen.
Ein friedliches Zusammenleben von Menschen ist aus meiner Sicht nur dauerhaft möglich, wenn man diese Angst überwindet. Das geht am besten über Freude: wer sich über kleine Dinge freuen kann, den kümmern Vorurteile nicht mehr. Manche Vorurteile treffen ja auch zu – na und? Menschen sind nun mal verschieden, nicht alle sollen gleich aussehen, gleich denken, gleich essen oder die gleiche Musik mögen.
Sport kann einen Teil zu dieser Freude beitragen: im Fußballtraining zum Beispiel will zwar jeder einen Zweikampf für sich gewinnen, wenn man aber ein Spiel erfolgreich bestreiten will, muss man miteinander spielen. Wenn daraus ein Tor entsteht, wird gejubelt – in schwarzer, in weißer oder in gelber Haut.
Ihr habt doch auch eine Frauenmannschaft aus dem Boden gestampft (wobei ich den Begriff Frauenmannschaft irgendwie eigenartig finde). Wie stehen denn da die Aktien? Unsre Fußballfrauen im Nationaldress sind ja schon seit Perioden Weltmeisterinnen. Erzähl mal bitte.
Wir haben seit etwa einem Jahr eine Frauenmannschaft – oder besser eine Frauschaft – bestehend aus 16- bis über 50-Jährigen, die überwiegend noch nie zuvor Fußball gespielt haben. Eines haben sie alle gemeinsam: Lust, sich ein- bis zweimal pro Woche auszupowern, und das machen sie nicht mit weniger Einsatz als Männer. Unsere Lindenauer Ladies haben dabei schon einiges gelernt, was man an der Entwicklung ihrer Spielweise eindeutig erkennen kann. Wir führen gelegentlich Freundschaftsspiele durch, und natürlich können auch gern weitere Damen zu unserem etwa zwölfköpfigen Team hinzustoßen.
Warum heißt der Verein eigentlich Lindenau 1848? Was war denn in diesem Jahr so Einschneidendes geschehen?
Nicht loszulösen von den bürgerlich-revolutionären Bestrebungen dieser Zeit wurde am 14. Juli 1848 der Allgemeine Turnverein Lindenau gegründet. Damals war Lindenau noch ein Dorf, gehörte nicht zu Leipzig. 1860 wurde durch Ferdinand Goetz der Männerturnverein Lindenau gegründet, 1882 dann der Lindenauer Turnverein. 1921 fusionierten die drei Vereine, 1924 erwarb der Verein den früheren Vergnügungspark Charlottenhof. Aus DDR-Zeiten kennen uns viele noch als Empor Lindenau mit dem etwas dürren Völkerschlachtdenkmal im Logo. Seit 1990 schließlich steht “SV Lindenau 1848” im blauen Sechseck. Diese lange Tradition belehrt uns: es macht durchaus Sinn, zu den ersten zu gehören, statt sich Veränderungen zu verschließen.
Du selbst bist ja auch noch im Quartiersrat Leipziger Westen zugange. Auch dies, wie Dein Engagement im Verein, ehrenamtlich. Von irgendwas musst Du aber auch leben. Was machst Du eigentlich im Broterwerb?
Von Haus aus bin ich Biologe, habe meine Doktorarbeit aber aus verschiedenen Gründen abgebrochen. Die Belastung war hoch und die persönliche Befriedigung durch Forschung gering. Mir wurde viel zu spät klar: diese Form von Wissenschaft ist nichts für mich.
Über das Weihnachtsgeschäft von Amazon bin ich dann in die Logistikbranche gekommen, arbeite nun drei Tage pro Woche bei einem anderen Unternehmen. Eigenartig: obwohl ich ein Kopf-Mensch bin, bin ich damit zufriedener als ich es in der Forschung war; am Ende des Tages weiß man, was man geschafft hat. Noch wichtiger: wenn ich das Betriebsgelände verlasse, ist die Arbeit komplett aus dem Kopf und der Geist für Familie und Gemeinschaft frei.
Natürlich kann ich allein davon nicht leben, bin einer der vielen “Aufstocker”. Ich sage aber auch ganz selbstbewusst: durch meine ehrenamtliche Arbeit tue ich der Gesellschaft nachhaltig Gutes, warum soll sie dann nicht einen Teil meiner Miete zahlen. Ich denke, die Millionen Ehrenamtlichen in Deutschland tun durch ihre kostenfreie Arbeit weitaus mehr für unser aller Leben als viele Banker, die sich ihre Millionenboni über Steuergelder finanzieren lassen.
Und abschließend natürlich auch Dir die Möglichkeit zu präzisieren und aufzurufen, Euch zu helfen. Wie kann ich Euch Gutes tun?
Klingt wie fürs Phrasenschwein, aber wer seinen Mitmenschen Gutes tut, tut auch uns Gutes. Soll heißen: in einer offenen, lebenswerten Gesellschaft macht Vereinsarbeit einfach mehr Spaß.
Ganz konkret suchen wir, auch wegen unserer steigenden Mitgliederzahl, Engagierte, die als Trainer in unseren sechs Abteilungen mit anpacken. Auch für Öffentlichkeitsarbeit, interne Verwaltung, Rechtsberatung etc. sind Ehrenamtliche bei uns immer gern gesehen.
Um den Trainingsbetrieb nachhaltig zu sichern, plant die Abteilung Fußball den Bau eines Kunstrasenplatzes. Dafür nehmen wir natürlich gern Spenden an, genauso ist ein Sponsoring beim SV Lindenau 1848 möglich.
Selbstverständlich sollen gern auch andere Vereine unterstützt werden, auch die brauchen immer Ehrenamtliche – zum Beispiel, um in ihrem Umfeld gezielt auf sozial Schwache oder Asylbewerber zuzugehen.
Den Vereinen wiederum kann ich nur empfehlen, den ersten Schritt in eine solche Richtung zu wagen; er ist z.B. über Sozialarbeiter leichter, als gedacht! Ebenso kann man sich in Asylunterkünften direkt engagieren, z. B. bei Hausaufgaben und Behördengängen helfen oder “Pate” werden. Wer die Augen offen hat, wird schnell etwas finden, wo sie oder er sich einbringen kann.
Danke für Deine Antworten, Björn. Und weiter so zusammen. Und miteinander.
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